Ein Angestellter des Fußball-Weltverbandes FIFA, der früher auf der Pressestelle des FC Bayern München arbeitete, führte in einem Webseminar vor einigen Wochen den deutschen Journalisten, die zur WM reisen würden, vor, wie denn so ein typischer Tag beim großen Turnier in Katar aussehen könnte. Er begann um 8.30 Uhr mit dem Aufbruch vom Hotel und endete 16 Stunden später mit der Rückkehr ins Bett. Dazwischen: 16 Stunden der Rundumbetreuung durch die FIFA.
Der Mustertag enthielt neben den Mahlzeiten von Frühstück bis Dinner den Besuch eines Teamtrainings („Der Shuttlebus bringt sie direkt vom Medienzentrum hin“), einer Pressekonferenz, eines Spiels im echten Stadion und eines im virtuellen. Eine Flut an Bildern, Eindrücken, Zitaten, Informationen.
Das mutet paradiesisch an, wenn man die Mühsal kennt, die eine Fußball-Weltmeisterschaft sonst für Berichterstatter bringt. In der Regel kann man nur einem Team richtig folgen; wer sich vor acht Jahren in Brasilien um die deutsche Mannschaft kümmerte, war im 700 Kilometer vom nächsten Spielort entfernten Dörfchen Santo Andre mit dem legendären Campo Bahia von der WM und ihrer Stimmung abgeschnitten. Und musste zu den deutschen Partien der Mannschaft stundenlang hinterherfliegen. Bei Turnieren mit überschaubaren Distanzen (wie 2006 in Deutschland) schafften manche Reporter an die 20 Spiele.
Viel Fußball, wenig Politik
In Doha spult man das in der Gruppenphase ab. Die acht Stadien in dem Mini-Staat, der gerne als halb so groß wie Hessen oder ein Achtel von Österreich beschrieben wird, liegen maximal 70 Kilometer auseinander. Und weil die WM wegen des ungewöhnlichen Termins um eine Woche gekürzt wurde, finden in der Vorrunde vier Partien pro Tag statt. Die FIFA erlaubt es Reporterinnen und Redakteuren, sich für zwei Matches anzumelden – es muss nur zeitlich zu schaffen sein. Das Programm also: Spiele, Spiele, Spiele. Gianni Infantino bringt so sein Kernprodukt in die Distribution. Und nimmt den Themen, die er als verkaufsschädigend einschätzt, den Raum. Wer, der sich auf die große Versuchung einlässt, an einem Tag über zwei Spiele zu berichten, findet noch Zeit und Energie, um vielleicht einen der Arbeitsmigranten zu kontaktieren, der in der Industrial Area von Doha lebt, wohin die schicke neue Metro nicht fährt?
Der Clou der FIFA bei dieser WM ist die Zentralisierung. Weil alles in einer Region stattfindet, hat sie nach dem Vorbild Olympias ein Main Press Center eingerichtet und es mit dem International Broadcast Center zusammengelegt. Das Zentrum für die elektronischen Medien, also das Fernsehen, gibt es bei jeder Großveranstaltung, das ist aus technischen Gründen erforderlich: Es ist eine kleine Stadt mit diversen Annehmlichkeiten: Supermarkt, Cafés, eine Reinigung, ein Fitnesscenter. In Doha dürfen das alle Journalisten nutzen. Untergebracht ist die Kombination aus IBC und MPC im Qatar National Convention Center, einem tempelartigen Gebäudekomplex. Ein internationaler Konferenzort zu sein, auch das ist eine der Visionen des Emirs.
Fußball-WM im „Virtual Stadium“
Vielen Reportern ging es bei Weltmeisterschaften bisher so, dass sie mit ihren Bewerbungen, ein Spiel live im Stadion zu verfolgen, scheiterten. Wessen Land nicht sportlich qualifiziert ist, der steht in der Hierarchie für die Verteilung der Match-Tickets weit unten. Und für die Extras wie Besuch der Pressekonferenz oder Zutritt zur Mixed Zone, in denen man mit den Spielern sprechen kann (wenn sie wollen und man ihrer Sprache mächtig ist), war eine eigene Genehmigung erforderlich – bei noch begrenzteren Kapazitäten als auf der Pressetribüne.
Nun können alle im Hauptpressezentrum ins „Virtual Stadium“ gehen, einen riesigen Kinosaal wie aus der Zukunft. Fußballerlebnis mit Sensurround-Beben. Als wäre man dabei. Die Stimmen der Spieler und Trainer gibt es obendrein. Die FIFA hat eine eigene Übersetzungs-App fürs Smartphone programmiert und die Zeiten, in denen jeder gegen Pfand ein kleines Funkgerät mit Kopfhörer abholen muss, abgeschafft. Man kann bei einer WM mittendrin, ohne richtig dabei zu sein.