Wie der Frosch aus der unbelegten Geschichte, der die steigende Wassertemperatur erst bemerkt, als er lebendig gekocht wird, fällt uns als globaler Gesellschaft weiter die Erkenntnis schwer, dass die vom Menschen verursachte globale Erwärmung uns auf eine unumkehrbare Umwelt- und Ökokatastrophe zutreibt. Unter Klimawissenschaftler:innen herrscht Konsens über die Dringlichkeit der Lage und es ist weithin politisch anerkannt, dass die Nutzung von Kohlenstoff-Brennstoffen reduziert werden muss. Dennoch wurden gesteckte Ziele nicht erreicht. Laut dem Vorsitzenden der UN-Klimakonferenz Cop26, Alok Sharma, zeigen die fehlenden Fortschritte bei der Cop27, dass das Ziel der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Celsius ums „Überleben kämpft“. Zudem mehrten sich die Beweise, dass wir uns schon näher an einem Kipppunkt befinden, als bisher angenommen.

Einige Wissenschaftler:innen beginnen bereits zu argumentieren, dass es nicht reicht, nur den CO₂-Ausstoß zu verringern, sondern Notmaßnahmen erforderlich sind. Dazu gehören als Geoengineering bekannte Eingriffe in die Natur. Dazu gibt es zahlreiche Vorschläge, manche ausgefallener als andere. Sie reichen vom Bau gigantischer Spiegel im Weltraum, die das Sonnenlicht ablenken, bis zum Weißmalen von Häuserdächern, um Hitzewellen in Städten abzumildern.

Besondere Sorge bereitet das Gebiet der Arktis, die sich nach neuesten Untersuchungen norwegischer Wissenschaftler viermal so schnell erwärmt wie der Rest des Planeten. Je wärmer es in der Arktis wird, desto mehr ihrer Eisdecke geht verloren, was einen sogenannten positiven Feedback-Loop auslöst (dessen Wirkung in diesem Fall paradoxer Weise komplett negativ ist).

Stratosphärische Aerosolinjektionen sollen Sonnenlicht reflektieren

Zwei Vorschläge für die Klimabeeinflussung an den Polen durch Geoengineering machten ernsthaft auf sich aufmerksam und wurden zum Gegenstand theoretischer Modellierung. Der populärste und vielleicht revolutionärste wird als Stratosphärische Aerosolinjektion bezeichnet. Diese Methode sieht vor, Schwefeldioxide so in die Stratosphäre, also die mittlere Schicht der Erdatmosphäre, zu bringen, dass sie sich an den Polen ansammeln. Die Idee ist, dass die Aerosole eine ähnliche Wirkung haben wie Vulkan-Aschewolken, die eine hohe Höhe erreichen und Sonnenlicht reflektieren, wodurch die Temperatur auf der Erde abkühlt.

Der Vorschlag hat aber auch viele Kritiker. Sie weisen darauf hin, dass Schwefeloxide, die mit saurem Regen, Asthma und chronischer Bronchitis assoziiert werden, selbst umweltschädlich sind. Weitere Kritikpunkte: Es fehlt die Garantie dafür, dass die Auswirkungen des Eingriffs auf die Pole beschränkt bleiben. Außerdem ist unklar, welche langfristigen Folgen sie überhaupt haben. Es gibt einige sehr begrenzte Feldstudien, die die Auswirkungen von Aerosolen untersuchen, aber sie sind zu begrenzt, um endgültige Antworten zu geben.

Ben Kravitz, der am Pacific Northwest National Laboratory zur Atmosphäre forscht, erklärt das Problem: „Es ist schwierig zu sagen, ob ich für oder gegen stratosphärische Aerosolinjektion bin, weil es schon schwierig ist, zu verstehen, wozu ich eine Meinung abgeben soll. Die Auswirkungen werden davon abhängen, wie viele Aerosolinjektionen vorgenommen werden sowie wo, wann und welches Material benutzt wird. Dann müssen wir die Folgen (wie Veränderungen der Temperatur, Niederschlag und so fort) in Auswirkungen übersetzen (wie Nahrungsmittel- und Wassersicherheit). Danach muss das Ganze noch damit verglichen werden, was unter den Bedingungen des Klimawandels ohne die stratosphärische Aerosolinjektion passieren würde. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es daher für mich zu schwierig zu sagen, ob Geoengineering eine gute oder schlechte Idee ist.“

Luftmobilisierung ist Aspirin, kein Penicillin. Sie ist kein Ersatz für die Dekarbonisierung. Wake Smith, Dozent an Yale University

Abgesehen von der Unsicherheit, die in diesem Vorschlag liegt, bereitet auch die Politik des Geoengineerings Besorgnis, insbesondere in Bezug auf die indigene Bevölkerung in der arktischen Region. Eine Gruppe von Wissenschaftler:innen argumentierte, dass „solares Geoengineering auf Ebene des ganzen Planeten innerhalb des derzeitigen internationalen politischen Systems nicht auf global inklusive und gerechte Weise umzusetzen ist“.

Eine kürzlich durchgeführte Studie unter Leitung von Yale-Dozent Wake Smith untersuchte die finanziellen und logistischen Implikationen des Einsatzes von Aerosolinjektionen. Die Kosten wurden auf elf Milliarden Dollar jährlich geschätzt – keine kleine Summe, aber ein winziger Bruchteil der Kosten, die die Schäden durch den Klimawandel verursachen werden. Der Studie zufolge wären 175.000 Flüge pro Jahr erforderlich, um eine Wolke mikroskopisch kleiner Schwefeldioxidpartikel in einer Höhe von 13.106 Metern und einem Breitengrad von 60 Grad auf beiden Erdhalbkugeln freizusetzen.

Eine solche massive Luftmobilisierung würde Millionen Tonnen CO₂ in die Atmosphäre schicken, doch laut den Modellen würde in den Polarregionen die Temperatur um zwei Grad Celsius fallen. Smith räumt dabei ein, dass es dabei um eine zeitlich begrenzte Maßnahme geht, die eher die Symptome behandelt als die eigentliche Krankheit. „Es ist Aspirin, nicht Penicillin“, sagte er, „Es ist kein Ersatz für die Dekarbonisierung.“

In der Theorie werden sich die Schwefeldioxide über den Polen sammeln, aber in der Praxis kann sich dessen niemand sicher sein. Das ist einer der Gründe dafür, dass Wolkenaufhellung als weniger riskante und machbarere Option vorgeschlagen wird.

Wolkenaufhellung durch Boote, die Gischt erzeugen

David King ist der Gründer des Centre for Climate Repair at Cambridge (Zentrum für Klimareparatur Cambridge, CCRC). Das multidisziplinäre Team verfolgt drei Ziele: die CO₂-Emissionen zu reduzieren, überschüssige Treibhausgase aus der Atmosphäre zu holen und beschädigte Teile des Klimasystems wieder zu stabilisieren.

Das CCRC unterstützt die Forschung zu „Cloud Brightening“, der gezielten Wolkenaufhellung, um mehr Sonnenlicht zurück ins All zu reflektieren. Laut King ist das kein Geoengineering: „Wir reservieren die Bezeichnung Geoengineering dafür, Sulfate in die Stratosphäre zu bringen.“ Er befürwortet kleinere Experimente mit Sulfaten. Dagegen hält er es für nötig, den Einsatz „im großen Rahmen“ in der Stratosphäre vorerst aufzuschieben. Bei der Aufhellung von Meereswolken (Marine Cloud Brightening, MCB) hingegen handele es sich nicht um Geoengineering, sondern um „Biomimikry“, also die Nachahmung eines natürlichen Prozesses im großem Maßstab. Die wissenschaftliche Vorgehensweise ist in der Theorie einfach.

Die Aufhellung von Meereswolken ist vielversprechend, aber es ist noch viel Forschung nötig. Ben Kravitz, Atmosphären-Wissenschaftler

Wolken, die sich über Meeren formieren, bilden sich tendenziell um Salzkristalle, die zurückbleiben, wenn die Tropfen der Gischt verdunsten. Salzkristalle variieren in der Größe und wenn sie am kleineren Ende des Spektrums sind, dann werden die Wolken aus lauter kleinen Tropfen gebildet. Aus kleineren Tropfen bestehende Wolken erscheinen weißer als solche aus größeren Tröpfchen und reflektieren im Ergebnis mehr Sonnenlicht, selbst wenn die Wassermenge gleich groß ist. Die Idee ist, die Wolken aufzuhellen, indem man mit einer Flotte von Booten, die mit Pumpen und Düsen ausgestattet sind, Gischt erzeugt.

„Sobald sich zeigt, dass alles funktioniert und es keine schädlichen Auswirkungen gibt, bräuchten wir 500 bis 1.000 ozeantaugliche Schiffe, die im arktischen Ozean stationiert sind“, erklärte King.

Auch Kravitz hält Meereswolken-Aufhellung für vielversprechend. „Aber es ist noch viel Forschung nötig. Interaktionen zwischen Aerosolen und Wolken sind derzeit die größte einzelne Unsicherheitsquelle in der Klimaforschung.“

Sollte diese Methode angewandt werden, wäre sie auf die Arktis beschränkt und wäre nicht auf die Antarktis übertragbar. „Der Nordpol ist ein Ozean, der von Land umgeben ist, und der Südpol ist Land, das von Meer umgeben ist“, erklärt King. „Das Schmelzen des Eises des westantarktischen Eisschilds, das ziemlich gefährlich aussieht, passiert, weil warmes Meereswasser zwischen das Land, auf dem das Eisschild liegt, und das Eis gelangt. Das Problem ist extrem schwierig zu managen, weil die Folgen der Erwärmung der Ozeane in der Antarktis direkt damit verbunden sind, was in der Arktis geschieht.“

King bezieht sich damit auf die veränderte „Atlantische Umwälzströmung“, Fachbegriff: „Atlantic Meridional Overturning Circulation“, kurz AMOC, zu der auch der das Wetter in Europa bestimmende Golfstrom gehört. Sie ist Teil des Systems, in dem kaltes Wasser zirkuliert, und von dem man annimmt, dass es durch den Klimawandel geschwächt wurde und selbst einen Kipppunkt erreichen könnte. In jedem Fall hat die Schwächung der AMOC zu einer Erwärmung des Wassers in der Antarktis geführt.

Die notwendigen Tests und Experimente durchzuführen, die Zustimmung der Ureinwohner einzuholen, was Teil des CCRC-Plans ist, dann die Schiffe zu entwerfen, zu bauen und auszustatten sowie den Prozess in Gang zu setzen, wirkt wie ein gewaltiges Unterfangen. Erforderlich hierfür sind eine einheitliche Vision, viel Geld, ein vereinbartes System der internationalen Leitung und Aufsicht und vieles mehr.

Wie lange es nach Kings Schätzung dauern könnte, bis der Betrieb aufgenommen werden kann? Er geht rasch die Hürden durch, die genommen werden müssen, wobei die größte die Finanzierung ist, die von einzelnen Philanthropen stammt. King geht von drei oder vier Jahren Experimentierzeit aus, möglicherweise von einem Schiff auf dem Meer aus, aber auch an Land auf den Orkney-Inseln wäre denkbar. „Ich sage das höchst ungern“, warnt er, „aber insgesamt könnten sieben Jahre vergehen, bis wir in nennenswertem Umfang arbeiten.“

Wenige Länder mit Küsten sind gegen die Risiken immun

Wenn man bedenkt, dass es gefühlt sieben Jahre dauern kann, auch nur eine Baugenehmigung für den Umbau eines Lofts zu bekommen, kommt mir der Zeitplan erstaunlich optimistisch vor, sage ich. Denken Sie daran“, unterbricht er mich, als ich meine Überraschung äußere. „Der Polarkreis erwärmt sich derzeit vier Mal schneller als der Rest des Planeten.“

Sein Team arbeite sehr hart daran, die Akzeptanz potenziell betroffener Menschen zu erreichen, darunter die Inuit und Sami. Aber am zeitaufwendigsten sei die Suche nach dem Startkapital, das er auf „einige Milliarden Pfund“ schätzt. Die Schiffe sollen ferngesteuert operieren und, so hofft er, mithilfe von Solarenergie und der Bewegung des Meerwassers und Wind betrieben werden.

„Eine Größenordnung von 500 oder 1.000 Schiffen“, sagt er, „würde etwa 30 bis 40 Milliarden Pfund (34,8 bis 46,3 Milliarden Euro) kosten. Sobald wir ein paar Schiffe haben, wird alles viel günstiger. Die laufenden Kosten könnten sich auf zehn Milliarden Pfund (11,6 Milliarden Euro) pro Jahr belaufen. Aber vergleichen Sie das mit den Verlusten und Schäden, die entstehen, wenn sich die Arktis weiter so stark erwärmt wie bisher“.

Ohne Eingreifen sei das Schmelzen der Eiskappe nicht mehr rückgängig zu machen, sagt er. Das würde letztlich zu einem durchschnittlichen globalen Anstieg des Meerwasserspiegels um „sieben Meter“ führen. Und das ist nicht das einzige Problem. Im Permafrost der Landmasse in der arktischen Region ist eine enorme Menge Methan gebunden. Durch steigende Temperaturen in Sibirien habe ihre Freisetzung bereits begonnen. „Wenn es über einen Zeitraum von 20 Jahren freigesetzt würde“, prognostiziert King, „würden die globalen Temperaturen um fünf bis acht Grad Celsius steigen.“

Der CCRC ist mit einer Reihe von Regierungen im Gespräch, allen voran den Niederlanden, die aufgrund ihrer Landgewinnung und ihres niedrig gelegenen Staatsgebiets besonders starkes Interesse am Umgang mit dem steigenden Meeresspiegel haben. Aber nur wenige Länder mit bedeutenden Küstenstrecken seien gegen die Risiken immun, so King weiter.

Wolken aufzuhellen oder die Stratosphäre mit Schwefeldioxid zu befüllen, klingt nach Science-Fiction-Lösungen für das Problem unserer Kohlestoffabhängigkeit. Keine der beiden Methoden geht dabei die eigentliche Ursache an. Sie entsprechen einem Pflaster, das auf eine klaffende Wunde geklebt wird, um im besten Fall Raum zum Luftholen zu bringen, wobei es einem nichts ausmachen darf, Schwefeldioxide einzuatmen. Der Zweck kann also nur sein, Zeit für den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen zu gewinnen.

Aber angesichts der Dringlichkeit der Lage und dem Fehlen einer effektiven globalen Führung zu ihrer Verbesserung scheint es vernünftig zu sein, die Wirksamkeit dieser Überbrückungsmaßnahmen zumindest zu testen. Die Klimareparatur lässt sich nicht mit einer einzigen Methode erreichen. Sie wird sowohl Innovation als auch Verzicht erfordern. Wenn die Nachahmung des Vorgangs, durch den mikroskopische Salzkristalle Wasserdampf aufnehmen, die Erwärmung der Arktis verlangsamen kann, würde sie wirklich Wolken mit einem Lichtstreif am Horizont produzieren.



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Von Veritatis

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