Freie Presse: In den letzten Jahren landen immer mehr Punkbands, die sich jahrelang in den Clubs abgerackert haben, plötzlich in den Charts. Warum?
Ingo Knollmann: Auf der einen Seite kannst du sagen: Schlechte Zeiten sind gute Zeiten für authentische Texte und Gegenkultur. Auf der anderen Seite ist es so, dass bei der ganzen Internetkultur die Schere immer weiter aufklappt. Du kannst Leute nur eine bestimmte Zeit lang verarschen. Sportgitarrenmusik ist vielleicht nicht so groß wie Hip-Hop heutzutage, aber sie schweißt die Leute umso mehr zusammen. Denn sie kriegen etwas, das lebt und gelebt ist. Die Leute goutieren, wenn sich Bands über lange Zeit den Arsch aufreißen.
Freie Presse: Gibt es Dinge, die als kleine Combo einfacher waren?
Ingo Knollmann: Ich glaube, dass alles, was wir getan haben, auch die Fehler, die wir gemacht haben, dazu geführt haben, dass wir sind, wer wir heute sind. Natürlich war das damals ultraspannend, durch die Lande zu tingeln und alles hat sich ganz frisch und neu angefühlt. Jeder Abend war ein First-Time-Erlebnis. Nach 1400 Konzerten hast du das natürlich so nicht mehr, wir kennen jeden Club auswendig. Aber dafür hast du andere Highlights. Tatsächlich macht es mich sauglücklich, dass man nach fast drei Dekaden immer noch überraschen kann und Leute gewillt sind, sich das anzuhören. Und dass wir nicht so eine Band sind, die ihrem eigenen Schatten hinterher läuft. Was wir jetzt haben, darf niemals normal werden! Du musst einfach demütig bleiben und die eigene Band auch aus Fanperspektive ansehen. Der Anspruch muss sein: Jede Show muss die fucking beste der Welt werden! Wenn du so high and mighty durch die Gegend läufst wie so manche Stadion-Ami-Produktion, die Choreografien von irgendwelchen geilen Gesten auf der Bühne machen, weil die gerade der Szene entsprechen: Das ist ekelhaft.
Freie Presse: Kann man als Punk noch Leuten auf die Füße treten? Viele Bands schreiben heute ja Triggerwarnungen vor ihre Videos und Texte, um möglichst niemanden vor den Kopf zu stoßen…
Ingo Knollmann: Ich bin ja eigentlich ganz froh darüber, dass Punk und Leftism gerade auf Wiedervorlage gelebt wird. Dass gewisse „Traditionen“ gebrochen werden oder zumindest hinterfragt. Nimm dir etwa die Descendents, eine meiner All Time Lieblingsbands: Im Song „I’m not a Looser“ gibt es die Textzeile „you fucking homo“, das war damals ganz klassischer Sprachgebrauch als Beschimpfung. Mittlerweile haben sie sich davon distanziert und singen „you fucking disco“, aber das Ding besteht weiter auf Platte. Es ist gut, dass so etwas infrage gestellt wird! Es ist super und wichtig, dass Sichtbarkeit von Frauen endlich Thema ist! Ich habe nur ein großes Problem damit, wenn die Überschriften größer als die Inhalte sind. Und auch da, wenn man Dinge tut, weil man denkt, dass das en vogue ist, schick oder Feigenblatt-mäßig und nicht, weil man das so fühlt. Und das Gefühl habe ich momentan bei ganz vielen Bands.
Freie Presse: Gab es je Gedanken, mit steigendem Erfolg diplomatischer zu agieren?
Ingo Knollmann: Nein, genau das Gegenteil ist wichtig! Das habe ich über all die Jahre gespürt und gelernt: mit der größeren Reichweite kannst du eben viel mehr Leute erreichen. Das ist der Punkt, an dem du aktiv bleiben musst! Wenn du jetzt diplomatischer wärst, wäre das genau der falsche Ansatz!
Freie Presse: Ihr hauseigenes Label, Solitary Man Records, wurde 2006 zuerst in Japan gegründet, dort sind Sie regelmäßig live unterwegs und legen auch Platten anderer Bands auf. Ein reines Leidenschaftsprojekt?
Ingo Knollmann: Das ist uns auch wieder eher so aus Versehen passiert. Wir sind in Japan Anfang der Nullerjahre mal ganz hoch in die Charts gegangen und haben dann gemerkt, wenn wir dort Bands in Interviews oder so gehyped haben, haben die in der Woche darauf maßgeblich mehr Alben verkauft. Daraufhin ist unsere Verlagschefin in Japan an uns herangetreten mit der Idee, doch ein interkontinentales Label aufzumachen, weil wir ja die ganzen Bands auch kennen. Mit der Idee: Wenn die in Japan nicht offiziell zu haben sind, bringen wir die eben da raus. Dann sind wir an die Dropkick Murphys herangetreten, die Toy Dolls, die Beatsteaks, Muff Potter, Dover und so weiter und haben die alle dort rausgebracht. Und das mit dem Backing von Nippon Television, das ist dort so etwas wie das ZDF, die zweitgrößte Fernsehstadion in Japan. Riesige Reichweite, unendlich viel Geld und die hofieren unter ihrem Dach ganz viele Indielabels. Das hat sich aber alles nach Fukushima sehr gewandelt. Da ist der Markt zusammengebrochen und die Leute haben mehr Heile-Welt-K-Pop gehört. Shows fangen erst jetzt so gerade wieder an, sich zu konsolidieren. Aber da wir diese Strukturen in Japan hatten, haben wir uns dann gesagt, lass uns das auch hier nach Deutschland importieren und hier auch unser eigenes Label haben. Denn DIY fühlt sich einfach am besten an.