Eigentlich sollte Finanzminister Christian Lindner (FDP) inzwischen die Eckpunkte des Haushalts 2024 sowie die mittelfristige Finanzplanung bis 2027 im Kabinett vorgelegt gaben. Doch jüngst wurde bekannt, dass Lindner den Termin auf unbestimmte Zeit verschoben hat. Der Grund: Die Ministerinnen und Minister der Regierung aus SPD, Grünen und FDP hatten sich nicht einigen können, für welche Vorhaben wie viel Geld eingeplant werden soll. Am heftigsten umstritten: Die Etats von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der zehn Milliarden Euro extra verlangt, und von Familienministerin Lisa Paus (Grüne), die auf der Umsetzung eines der zentralen Reformprojekte der Koalition besteht: der Kindergrundsicherung. Dafür seien elf oder zwölf Milliarden Euro nötig, heißt es. Geld, das Lindner offenbar nicht herausrücken will.

Etwa drei Millionen Kinder wachsen hierzulande arm oder armutsgefährdet auf, das ist jedes fünfte Kind. Der Trend ist steigend, denn die Energiekrise und die hohe Inflation wirken sich auf Familien mit kleinen Kindern besonders stark aus. Wenn Kinder von Armut betroffen sind, ist das – so weit herrscht Konsens – skandalös. Ebenso herrscht Einigkeit darüber, dass Kindern, die in Armut aufwachsen, Chancen verwehrt werden, die sie im Laufe ihres Lebens nicht mehr aufholen können. Eigentlich ist man sich also über die politischen Lager hinweg einig, dass Kinderarmut bekämpft werden sollte. Trotzdem fehlt bis jetzt ein politisches Instrument, das dazu in der Lage wäre.

Die Gründe dafür liegen vor allem in unserem System zu wirtschaften. Denn im Kapitalismus kann sich nur finanzieren, wer seine Arbeitskraft veräußert oder aber über Vermögen verfügt. In der Regel trifft beides auf Kinder nicht zu. Für die Eltern gilt: Wer Kinder hat, kann oft nicht Vollzeit arbeiten. Auch deswegen sind Familien mit kleinen Kindern überdurchschnittlich häufig von Armut betroffen.

Konservative haben in der Vergangenheit versucht, Kinderarmut mit dem politischen Instrument des Familienlastenausgleichs zu bekämpfen. Der setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: Zum einen den steuerlichen Freibeträgen, also einer Entlastung bei der Einkommenssteuer. Zum anderen einer monatlichen, einheitlichen Vorauszahlung, dem Kindergeld. Sofern die Familie von der Grundsicherung lebt, wird bislang das Kindergeld als Einkommen des Kindes angerechnet und mindert daher dessen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen.

Doch dieser duale Familienlastenausgleich steht als sozial unausgeglichen schon lange in der Kritik. Wegen der progressiven Einkommensbesteuerung profitieren besonders hohe Einkommensgruppen auch besonders von den familialen Freibeträgen. Da mehrheitlich Männer die familienbezogenen Freibeträge beziehen und mehrheitlich Frauen die unbezahlte Betreuungs- und Erziehungsarbeit erbringen, fördert das Instrument auch das männliche Ernährermodell, wodurch Frauen – wenn die Beziehung scheitert – in Armut getrieben werden. Und mit ihnen ihre Kinder.

Das Problem ist altbekannt. In der Ampelkoalition wollen die Grünen – und Lisa Paus, eine ehemalige Finanzexpertin, die nun Chefin des Familienministerium ist – das Thema nun endlich angehen. Der duale Familienlastenausgleich soll 2025 durch eine Kindergrundsicherung ersetzt werden. Der dafür erforderliche Gesetzesentwurf soll nach dem Sommer seinen Weg durch das Parlament nehmen. Lisa Paus bezeichnet die Kindergrundsicherung als „das wichtigste sozialpolitische Vorhaben dieser Regierung“, an dem sich die Koalition messen lassen müsse.

Wie soll so eine Kindergrundsicherung aber aussehen? Anstatt der Eltern soll nun das Kind Träger des eigenen Rechtsanspruches sein, unabhängig davon, in welcher Familienform es lebt. Das Einkommen der Eltern bleibt dennoch relevant, denn je nach Höhe des elterlichen Einkommens funktioniert die Kindergrundsicherung entweder als bedingungslose Grundsicherung oder als einkommensabhängige Leistung. Sie besteht aus zwei Teilen: zum einen aus einem Garantiebetrag, der unabhängig vom Einkommen der Eltern und für jedes Kind in gleicher Höhe ausgezahlt werden soll, und zum anderen aus einem gestaffelten Zusatzbeitrag, bei dem das Alter des Kindes, aber auch die Höhe des elterlichen Einkommens berücksichtigt wird. Der bedingungslose Grundbetrag wird mindestens dem Kindergeld in seiner jetzigen Höhe – also monatlich 250 Euro – entsprechen. In der ursprünglichen Konzeption der Grünen waren 290 Euro vorgesehen.

Vereinfacht und transparent

Ausgehend von dem zweijährlichen Bericht zum Existenzminimum soll die Höhe des Betrags überprüft und angepasst werden: Anders als beim bisherigen Kindergeld soll die Kindergrundsicherung aber nicht mit Sozialleistungen wie etwa dem Bürgergeld der Eltern verrechnet werden. Erhalten sollen sie analog zum derzeitigen Kindergeld alle Kinder bis zu einem Alter von 18 Jahren, Auszubildende bis zum 25. und Studierende bis zum 27. Geburtstag. Gleichzeitig bleibt der Anspruch auf BAföG und ähnliche Förderleistungen neben dem Grundbetrag der Kindergrundsicherung bestehen. Sofern das Kind nicht mehr im elterlichen Haushalt lebt, soll es die Leistung direkt erhalten.

Eltern erhalten die einkommensabhängige Leistung nur bis zu einem festgelegten Höchstbetrag. Je höher das elterliche Einkommen ausfällt, desto geringer werden die Zusatzleistungen. Ab einem bestimmten Jahreseinkommen entfallen sie ersatzlos. Allerdings ist die Einkommenshöchstgrenze noch Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen den Koalitionsparteien. Als einkommensabhängige Leistung ersetzt die Kindergrundsicherung eine Vielzahl von Leistungsansprüchen, sie bündelt das Sozialgeld, den Kinderzuschlag, den Kinderfreibetrag und Teile des Bildungs- und Teilhabepaketes sowie das Kindergeld.

Einig sind sich SPD, Grüne und FDP darin, dass mit der Reform der Bezug von familienpolitischen Leistungen vereinfacht und transparenter werden soll. Weil bei dem entsprechenden Antrag künftig über ein digitales Portal die Einkommensnachweise vom Finanzamt bezogen werden, komme der Staat zukünftig seiner Bringschuld bei der Entlastung von Familien nach, wie Paus betont.

Wie bei so vielen Reformvorhaben der Ampelkoalition entwickelten sich auch bei der Kindergrundsicherung die damit verbundenen Kosten zum Zankapfel zwischen den Koalitionär*innen. Während Familienministerin Paus von Kosten in Höhe von zwölf Milliarden Euro ausgeht, rechnet Finanzminister Christian Lindner eher mit einem einstelligen Milliardenbetrag.

Und weil Lindner in seinem Haushalt trotz gestiegener Zinsen auch im kommenden Jahr die Schuldenbremse einhalten will und zugleich Steuererhöhungen ausschließt, soll nun offenkundig bei jenen gespart werden, die sich nicht wehren können: den Kindern. Ob die Grünen sich mit ihrem Herzensprojekt der Kindergrundsicherung am Ende durchsetzen, ist derzeit noch nicht absehbar. Entscheidend dafür wird die Auseinandersetzung um den Etat der Bundeswehr von Boris Pistorius sein.

Lisa Yashodhara Haller arbeitet am Institut für Sozialforschung der Goethe-Universität Frankfurt am Main als Politikwissenschaftlerin zu Elternschaft im Kapitalismus

Finanzminister Christian Lindner (FDP) inzwischen die Eckpunkte des Haushalts 2024 sowie die mittelfristige Finanzplanung bis 2027 im Kabinett vorgelegt gaben. Doch jüngst wurde bekannt, dass Lindner den Termin auf unbestimmte Zeit verschoben hat. Der Grund: Die Ministerinnen und Minister der Regierung aus SPD, Grünen und FDP hatten sich nicht einigen können, für welche Vorhaben wie viel Geld eingeplant werden soll. Am heftigsten umstritten: Die Etats von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der zehn Milliarden Euro extra verlangt, und von Familienministerin Lisa Paus (Grüne), die auf der Umsetzung eines der zentralen Reformprojekte der Koalition besteht: der Kindergrundsicherung. Dafür seien elf oder zwölf Milliarden Euro nXX-replace-me-XXX246;tig, heißt es. Geld, das Lindner offenbar nicht herausrücken will.Etwa drei Millionen Kinder wachsen hierzulande arm oder armutsgefährdet auf, das ist jedes fünfte Kind. Der Trend ist steigend, denn die Energiekrise und die hohe Inflation wirken sich auf Familien mit kleinen Kindern besonders stark aus. Wenn Kinder von Armut betroffen sind, ist das – so weit herrscht Konsens – skandalös. Ebenso herrscht Einigkeit darüber, dass Kindern, die in Armut aufwachsen, Chancen verwehrt werden, die sie im Laufe ihres Lebens nicht mehr aufholen können. Eigentlich ist man sich also über die politischen Lager hinweg einig, dass Kinderarmut bekämpft werden sollte. Trotzdem fehlt bis jetzt ein politisches Instrument, das dazu in der Lage wäre.Die Gründe dafür liegen vor allem in unserem System zu wirtschaften. Denn im Kapitalismus kann sich nur finanzieren, wer seine Arbeitskraft veräußert oder aber über Vermögen verfügt. In der Regel trifft beides auf Kinder nicht zu. Für die Eltern gilt: Wer Kinder hat, kann oft nicht Vollzeit arbeiten. Auch deswegen sind Familien mit kleinen Kindern überdurchschnittlich häufig von Armut betroffen.Konservative haben in der Vergangenheit versucht, Kinderarmut mit dem politischen Instrument des Familienlastenausgleichs zu bekämpfen. Der setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: Zum einen den steuerlichen Freibeträgen, also einer Entlastung bei der Einkommenssteuer. Zum anderen einer monatlichen, einheitlichen Vorauszahlung, dem Kindergeld. Sofern die Familie von der Grundsicherung lebt, wird bislang das Kindergeld als Einkommen des Kindes angerechnet und mindert daher dessen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen.Doch dieser duale Familienlastenausgleich steht als sozial unausgeglichen schon lange in der Kritik. Wegen der progressiven Einkommensbesteuerung profitieren besonders hohe Einkommensgruppen auch besonders von den familialen Freibeträgen. Da mehrheitlich Männer die familienbezogenen Freibeträge beziehen und mehrheitlich Frauen die unbezahlte Betreuungs- und Erziehungsarbeit erbringen, fördert das Instrument auch das männliche Ernährermodell, wodurch Frauen – wenn die Beziehung scheitert – in Armut getrieben werden. Und mit ihnen ihre Kinder.Das Problem ist altbekannt. In der Ampelkoalition wollen die Grünen – und Lisa Paus, eine ehemalige Finanzexpertin, die nun Chefin des Familienministerium ist – das Thema nun endlich angehen. Der duale Familienlastenausgleich soll 2025 durch eine Kindergrundsicherung ersetzt werden. Der dafür erforderliche Gesetzesentwurf soll nach dem Sommer seinen Weg durch das Parlament nehmen. Lisa Paus bezeichnet die Kindergrundsicherung als „das wichtigste sozialpolitische Vorhaben dieser Regierung“, an dem sich die Koalition messen lassen müsse.Wie soll so eine Kindergrundsicherung aber aussehen? Anstatt der Eltern soll nun das Kind Träger des eigenen Rechtsanspruches sein, unabhängig davon, in welcher Familienform es lebt. Das Einkommen der Eltern bleibt dennoch relevant, denn je nach Höhe des elterlichen Einkommens funktioniert die Kindergrundsicherung entweder als bedingungslose Grundsicherung oder als einkommensabhängige Leistung. Sie besteht aus zwei Teilen: zum einen aus einem Garantiebetrag, der unabhängig vom Einkommen der Eltern und für jedes Kind in gleicher Höhe ausgezahlt werden soll, und zum anderen aus einem gestaffelten Zusatzbeitrag, bei dem das Alter des Kindes, aber auch die Höhe des elterlichen Einkommens berücksichtigt wird. Der bedingungslose Grundbetrag wird mindestens dem Kindergeld in seiner jetzigen Höhe – also monatlich 250 Euro – entsprechen. In der ursprünglichen Konzeption der Grünen waren 290 Euro vorgesehen.Vereinfacht und transparentAusgehend von dem zweijährlichen Bericht zum Existenzminimum soll die Höhe des Betrags überprüft und angepasst werden: Anders als beim bisherigen Kindergeld soll die Kindergrundsicherung aber nicht mit Sozialleistungen wie etwa dem Bürgergeld der Eltern verrechnet werden. Erhalten sollen sie analog zum derzeitigen Kindergeld alle Kinder bis zu einem Alter von 18 Jahren, Auszubildende bis zum 25. und Studierende bis zum 27. Geburtstag. Gleichzeitig bleibt der Anspruch auf BAföG und ähnliche Förderleistungen neben dem Grundbetrag der Kindergrundsicherung bestehen. Sofern das Kind nicht mehr im elterlichen Haushalt lebt, soll es die Leistung direkt erhalten.Eltern erhalten die einkommensabhängige Leistung nur bis zu einem festgelegten Höchstbetrag. Je höher das elterliche Einkommen ausfällt, desto geringer werden die Zusatzleistungen. Ab einem bestimmten Jahreseinkommen entfallen sie ersatzlos. Allerdings ist die Einkommenshöchstgrenze noch Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen den Koalitionsparteien. Als einkommensabhängige Leistung ersetzt die Kindergrundsicherung eine Vielzahl von Leistungsansprüchen, sie bündelt das Sozialgeld, den Kinderzuschlag, den Kinderfreibetrag und Teile des Bildungs- und Teilhabepaketes sowie das Kindergeld.Einig sind sich SPD, Grüne und FDP darin, dass mit der Reform der Bezug von familienpolitischen Leistungen vereinfacht und transparenter werden soll. Weil bei dem entsprechenden Antrag künftig über ein digitales Portal die Einkommensnachweise vom Finanzamt bezogen werden, komme der Staat zukünftig seiner Bringschuld bei der Entlastung von Familien nach, wie Paus betont.Wie bei so vielen Reformvorhaben der Ampelkoalition entwickelten sich auch bei der Kindergrundsicherung die damit verbundenen Kosten zum Zankapfel zwischen den Koalitionär*innen. Während Familienministerin Paus von Kosten in Höhe von zwölf Milliarden Euro ausgeht, rechnet Finanzminister Christian Lindner eher mit einem einstelligen Milliardenbetrag.Und weil Lindner in seinem Haushalt trotz gestiegener Zinsen auch im kommenden Jahr die Schuldenbremse einhalten will und zugleich Steuererhöhungen ausschließt, soll nun offenkundig bei jenen gespart werden, die sich nicht wehren können: den Kindern. Ob die Grünen sich mit ihrem Herzensprojekt der Kindergrundsicherung am Ende durchsetzen, ist derzeit noch nicht absehbar. Entscheidend dafür wird die Auseinandersetzung um den Etat der Bundeswehr von Boris Pistorius sein.Placeholder infobox-1



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Von Veritatis

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