„Die Freude, das gestalten zu können, was man als Opposition schon lange anders machen wollte, hält auf jeden Fall an!“ So umtriebig und redefreudig wie je antwortet der grüne Energieminister Wolfram Günther auf die Frage nach dem Verschleiß in dreieinhalb Jahren Schwarz-Rot-Grüner Koalition in Sachsen. Seit Ende 2019 sitzt er auf dem eigentlich gar nicht bequemen Stuhl des Ministers für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft. „Die Grundhaltung, aus der heraus wir Politik machen, hat sich ja nicht geändert, weil wir koalieren.“
Nicht? Genau diese Frage stellen sich viele derzeit angesichts der Grünen-Politik im Bund. Doch zumindest das Spitzenpersonal der sächsischen Bündnisgrünen zeigt sich erstaunlich unbeeindruckt vom schlechten oder als schlecht kolportierten Image in der Berliner Ampel. Mit 8,6 Stimmenprozenten erreichten sie im Herbst 2019 ihr bislang bestes Ergebnis im Freistaat und landeten sogar einen Prozentpunkt vor der SPD. Mit ihr und der im Endspurt doch noch vor der AfD eingekommenen CDU bildeten sie eine so genannte Kenia-Koalition. Der damals beinahe düpierten konzessionsbereiten CDU rangen die Grünen einen verblüffend grünen Koalitionsvertrag ab.
Anders als beim ersten Kenia-Experiment 2016 bis 2021 in Sachsen-Anhalt stand Schwarz-Rot-Grün in Sachsen nicht mehrfach vor der Selbstdemontage. Differenzen dringen selten nach außen, mit dem Bruch der Koalition hat noch niemand gedroht. Keine Selbstverständlichkeit bei einer unverändert stockkonservativen Union und einem Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, der die Grünen für wirtschaftsfeindliche Ideologen hält.
Die Haken, die er derzeit schlägt, um ein Jahr vor der nächsten Sachsenwahl den Umfragevorsprung der AfD doch noch einzuholen, können nicht einmal alle Unionsanhänger nachvollziehen. Und erst recht nicht die Grünen. „Die CDU, auch die sächsische, muss sich fragen lassen, wie stark sie die AfD gerade macht“, äußert deren Fraktionsvorsitzende Franziska Schubert im Landtag offen und seslbstbewusst. Nicht anders ihr Kollege Valentin Lippmann, der im Innenausschuss den Polizeieinsatz in Leipzig am „TagX“ nach der Verurteilung der mutmaßlichen Linksextremistin Lina E. als „unverhältnismäßig“ bezeichnete. Diese „Beinfreiheit“, wie Minister Günther sagt, haben die Koalitionspartner.
Der größte grüne Landesverband im Osten
Bei aller herzlichen Abneigung erkennen sächsische Spitzengrüne an, dass sich die CDU an intern getroffene Abmachungen hält. Fast geräuschlos, aber gegen große Widerstände hat man sich vor zwei Jahren grundsätzlich auf ein Energie- und Klimaschutzprogramm geeinigt. Wolfram Günther spricht von einer 180-Grad-Wende. „Wir kamen aus einer Tradition des Verhinderns, aus einer Kohlewelt. Die Tore für die Energiewende stehen jetzt offen!“ Das gilt auch für den Windkraftausbau, bei dem Sachsen bislang die Rote Laterne der Bundesländer trug. Bei den langen Planungszeiten wirke das Erbe verschleppter Genehmigungen nach. Jetzt sei das Tal durchschritten, die Windräder werden gebaut. „Die Pflöcke, die wir hier einrammen, bekommt man auch nach der nächsten Wahl nicht mehr heraus“, ist der Umweltminister überzeugt.
Das CDU-geführte Regionalministerium trägt Veränderungen mit, wenn auch oft zähneknirschend. Über die unterstellte Wirtschaftsfeindlichkeit kann Günther angesichts intensiver Kontakte seines Hauses zu Unternehmen nur lächeln. Insbesondere junge Start-Ups und Zukunftsunternehmen seien oft weiter als die CDU.
Auch der Grüne Landesverband in Sachsen gedeiht. Auf 3.400 Mitglieder ist er mittlerweile angewachsen, der größte in Ostdeutschland. Anders als etwa in Thüringen bleibt er in den vergangenen Jahren von Turbulenzen verschont. 2014 zur Landtagswahl endete der Aufstieg ihrer Spitzenfrau Antje Hermenau und begann deren Odyssee durch mehrere politische Schattenreiche. Der sperrige Johannes Lichdi errang zwar im Dresdner Szenewahlkreis Äußere Neustadt fast ein Bundestags-Direktmandat, zog sich aber wegen Differenzen aus dem Landtag in den Dresdner Stadtrat und dort mittlerweile in die Dissidentenfraktion zurück. Der ehemalige Landessprecher Jürgen Kasek blieb hingegen den Grünen treu, konzentriert sich aber auf Leipzig. Als Organisator und Vermittler machte der Jurist jüngst bei den Demonstrationen zum „TagX“ wieder von sich reden.
Die breite Skepsis in Sachsen gegenüber den Grünen und ihre noch stärkere Konzentration auf Großstädte als im Westen könne man jedoch nur schrittweise überwinden, räumt Landesvorsitzende Marie Müser ein. Um die „Vielschichtigkeit“ der Mitgliedergruppen macht sie sich weniger Sorgen. Es gebe „kein starkes Gegeneinander“ etwa von DDR-Bürgerrechtlern, Naturschützern oder hinzugestoßenen Aktiven der Fridays-For-Future-Bewegung. „Aber diese Gruppen könnten mit ihrer breiten Expertise stärker voneinander profitieren!“
Jaja, das grüne Heizungsgesetz….
Die Grüne Jugend immerhin hat den EU-Asylbeschluss heftig kritisiert. Eine Front zwischen Pazifisten und Ukraine-Unterstützern im Krieg ist in Sachsen aber nicht spürbar geworden. Die Klarheit der Ziele als konsequenteste Nachhaltigkeits- und Klimaschutzpartei lasse bei den Mitgliedern eine größere Bereitschaft zu, auch Kompromisse in der Koalition mitzutragen, konstatiert Marie Müser.
Weniger eindeutig fallen Antworten auf die Frage aus, ob sich das Erscheinungsbild der Grünen in der Berliner Ampel hinderlich auf Sachsen auswirkt. Jaja, die Kommunikation beim Gebäudeenergiegesetz… „Es gibt leider eine große Einigkeit der Ampel, auf die Grünen einzuschlagen“, meint Minister Günther. Von der CDU-Opposition gar nicht zu reden. „Man kann nicht immer nur erzählen, was die Leute hören wollen“, beschwert sich Fraktionschefin Schubert. Sie verlangt ein Zusammengehen aller demokratischen Kräfte in Zukunftsfragen und gegenüber dem weiteren Vordringen rechter Gesinnungen in die vermeintlich bürgerliche Mitte. „Es gibt mit ziemlich großer Sicherheit kein Zurück zu altbekannter Normalität!“ Für Umweltminister Günther geht es auch nicht um irgendeinen Öko-Spleen, sondern um unvermeidliche Aufgaben, um unseren Planeten bewohnbar zu erhalten.
Noch ein Jahr haben die sächsischen Grünen Zeit bis zur nächsten Landtagswahl. Der Kenia-Koalition verbleiben aus grüner Sicht bis dahin noch Aufgaben im Naturschutz, beim Gleichstellungsgesetz und bei einer Verfassungsänderung zur Lockerung der Schuldenbremse. Welche Leitgedanken sollten über einem Wahlprogramm 2024 stehen? „Dass wir als Team für den Zusammenhalt der Gesellschaft auch in schwierigen Zeiten antreten“, sagt Franziska Schubert. Nicht nur Zumutungen beklagen, sondern gemeinsam Notwendigkeiten begreifen.
Um den Wiedereinzug in den Landtag müssen die sächsischen Bündnisgrünen jedenfalls nicht fürchten. „Vielleicht kommt der momentane Gegenwind vor dem Multi-Wahljahr sogar rechtzeitig“, lächelt Wolfram Günther ein bisschen schelmisch.