Die Grünen seien „die gefährlichste Partei im Bundestag“. Mit dieser Aussage sorgte die Linken-Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht im vergangenen Herbst für Empörung, vor allem in ihrer eigenen Partei. Wie inzwischen üblich, distanzierten sich reihenweise Mitglieder und Funktionär*innen von Wagenknecht und betonten: Die gefährlichste Partei sei und bleibe immer noch die AfD.

Diese Episode illustriert einen fundamentalen Zielgruppenkonflikt, der die Linke schon seit Jahren spaltet. Orientiert sich die Partei an jenen, die sich den Grünen zugeneigt fühlen, aber von deren Regierungshandeln enttäuscht sind – präsentiert sie sich also als die konsequentere Klimagerechtigkeitspartei? Oder versucht sie, AfD-Wähler*in

28;hler*innen zu erreichen? Ob man vor allem die Grünen oder die AfD politisch bekämpft, hängt davon ab, wie man diese Frage beantwortet – und das tun die verschiedenen Strömungen der Linkspartei unterschiedlich.Von links gegen die Agenda 2010Interessant ist, dass es dabei kaum mehr um jene Partei geht, die für die Linke einst eine zentrale Rolle spielte: die SPD. Dabei wäre die Linke ohne die neoliberale Metamorphose der deutschen Sozialdemokratie vermutlich nie entstanden. Ihre Gründung vor mehr als 15 Jahren war im Westen von enttäuschten Sozen angestoßen worden; als gesamtdeutsches Projekt war die Linkspartei angetreten, um die Vollstreckerin der Agenda 2010 von links unter Druck zu setzen, sie entweder zurück auf den Pfad der Sozialstaatspartei zu führen oder aber sie als „bessere“ Sozialdemokratie zu ersetzen. Letzteres ist ähnlichen Projekten in anderen europäischen Staaten durchaus gelungen: Pasok in Griechenland ist zeitweilig implodiert, Syriza dagegen als linkssozialdemokratisches Projekt groß geworden (und gescheitert). In Frankreich ist heute La France Insoumise stark – die alte sozialdemokratische Parti Socialiste erzielte mit ihrer Kandidatin bei den letzten Präsidentschaftswahlen nur 1,75 Prozent.In Deutschland koexistierten SPD und Linkspartei jedoch jahrelang, und die Linke konnte tatsächlich begrenzte Erfolge damit erzielen, als schlechtes Gewissen der SPD zu fungieren. Sie konnte ihr sogar ein bisschen sozialdemokratische Politik abtrotzen: Den gesetzlichen Mindestlohn, 2015 eingeführt, hätte es ohne die Linksfraktion im Bundestag kaum gegeben. Gerade jetzt, da die Sozialdemokratie zum ersten Mal seit Gründung der Linken wieder eine Bundesregierung anführt, wäre es doch naheliegend, wenn die Linke sich auf ihre ursprüngliche Kernaufgabe besinnen und erneut den Versuch unternehmen würde, die SPD zu einer sozialdemokratischeren Politik zu drängen. Oder?Klima, Krieg, FluchtNur wollte ein Teil der Linken nie nur die linkere Schwester der SPD sein, sondern verfolgte den Aufbau eines genuin eigenen Projekts, das derzeit in Parteivorstandskreisen unter dem Stichwort „moderne sozialistische Gerechtigkeitspartei“ firmiert. Die Eskalation des Klimawandels, die Fluchtbewegungen, der Krieg in der Ukraine: Das alles sind Konflikte, die sich mit dem, wofür die Sozialdemokratie in der Epoche des Fordismus stand – nationaler Sozialstaat, Entspannungspolitik in einer bipolaren Welt, Wachstum und Technik-Enthusiasmus –, nur schwerlich bearbeiten lassen.Insofern erscheint ein Zurück zur Gründungsidee der Linkspartei fraglich. Die politischen Herausforderungen haben sich seit 2007 vervielfacht, das Parteienspektrum hat sich durch den Aufstieg der AfD verändert. Die SPD ist nur eine Partei unter vielen, zu denen sich die Linke verhalten muss. Das ist Teil ihres Schlamassels. So sind wir wieder bei der eingangs gestellten Frage: mehr gegen die Grünen oder mehr gegen die AfD?



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Von Veritatis

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