Pipi Wer kennt es nicht? Wildpinkeln wie die Männer ist für Frauen eher unangenehm, wenn Frau draußen unterwegs ist. Ein Pilotprojekt des Berliner Senats testet nun kostenlose Urinale für Frauen


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Ausgabe 32/2023

Endlich entspannt im öffentlichen Raum die Blase leeren

Endlich entspannt im öffentlichen Raum die Blase leeren

Illustration: der Freitag

Am Invalidenpark in Berlin-Mitte kommt eine Parkbesucherin lächelnd aus einem gelben Holzhäuschen, das einer Packstation ähnelt. „Hock-Urinal“ steht über der Tür, die sie hinter sich schließt. „Und?“, fragt die Freundin, die auf sie wartet.

Sie streckt den Daumen nach oben – die Freundin will das auch gleich ausprobieren. Denn nicht nur für die 50-Jährige aus Berlin-Pankow sei das eine Premiere: Diejenigen, die im Hocken urinieren, kennen das in der Öffentlichkeit nur, wenn sie sich dafür hinter einem Busch oder zwischen zwei Autos verstecken. Weil sie unter einer chronischen Blasenentzündung leidet, begrenzt sie die Zeit, die sie draußen verbringt, wenn der Toilettengang zu kompliziert zu werden droht

rden droht. „Ein Picknick mit Freunden/Freundinnen kann für mich zum Albtraum werden.“ Auch ohne Blasenentzündung werden weibliche Personen in der Stadt benachteiligt, wenn es um Grundbedürfnisse geht.Die Alternativen? Es im Stehen mithilfe einer „Urinella“, einem trichterförmigen Utensil zum Aufsetzen auf die Vulva, zu probieren. Oder in einem Café zu fragen und auch dort fürs Pinkeln bezahlen zu müssen. Diese bekannten Odysseen sind in der Hauptstadt vorerst Geschichte – zumindest bis Ende März 2024. Bis dahin testet die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt mit einem Pilotprojekt 24 Kabinen mit Hockurinalen an zwölf Standorten in der Stadt.In welchen Parks sie stehen, verrät eine Internetseite des Senats oder die „Berliner Toiletten-App“. Die Toiletten sind nicht nur gendergerecht, sondern auch autark, brauchen also keinen Strom- und Wasseranschluss. Zudem sind sie barrierefrei, nachhaltig und kostenlos. Um Energie und Wasser zu sparen, werden beide Modelle durch eine 400-Watt-Solaranlage versorgt, das Wasser bekommen sie durch einen 300 Liter großen Regenwassertank.Männer haben es leichterDiese und alle weiteren technischen Details sind an den Außenwänden des Klohäuschens zu lesen. Die Freundinnen schauen sich die Infoplakate an, als wären sie in einer Ausstellung, und machen Fotos. Zwei Toiletten-Anbieter haben eine Ausschreibung des Senats Berlin, um die Situation der öffentlichen Toiletten zu verbessern, gewonnen.Während die Finizio GmbH ihr eigens entwickeltes Uni-Sex-Steh-Urinal einsetzt, arbeitet EcoToiletten mit Lena Olvedi und ihren Hockurinalen „Missoirs“ zusammen. Für Lena Olvedi, die seit Jahren für „Geschlechtergerechtigkeit in öffentlichen Toiletten“ kämpft, bedeutet diese Initiative „ein Licht am Ende des Tunnels“.Jedes Mal, wenn Lena Olvedi „Hä, was? Missoir?“ hört, wiederholt sie gerne, was auch auf ihrer Website steht: „Das ist wie Pullern hinterm Busch – nur besser.“ Ihre Erfindung sei „angepasst an die natürliche Hockhaltung von Flinta*s“.Ein Gittersieb auf dem Boden dient als Spritzschutz und lässt keinen Müll in den Abfluss des Trockenurinals passieren. Die Kabinen sind mit Klopapier, Mülleimern, Desinfektionsspendern und Kleiderhaken ausgestattet. Das alles mache den Toilettengang nicht nur komfortabler, sondern auch schneller, sagt Olvedi.Gleichberechtigung bei einem GrundbedürfnisDass es bei Frauen länger als bei Männern aufs Klo dauert, sei für sie kein Mythos, sondern Teil des Problems. Aus hygienischen Gründen setzten sie sich nicht auf eine öffentliche Kloschüssel, ohne diese beispielsweise mit Klopapier auszulegen oder sie vor der Benutzung zu säubern. In anderen Fällen versuchen sie durch komplizierte Pinkelstellungen, nichts zu berühren.„Das alles dauert, die Frauen-Schlangen vor den Damentoiletten werden länger, während Männer gleich zwei Möglichkeiten haben, sich zu erleichtern: Toilettenkabinen und Pissoirs“, sagt sie. Weil sie das als Club-Besucherin schon immer aus eigener Erfahrung kennt, kam sie eines Abends in einem Berliner Club auf die Idee, Hockurinale für Frauen beziehungsweise Flinta*s zu entwickeln. „Es war wie eine Erleuchtung“, sagt Olvedi.Auch wenn sie anfangs keine feministischen Ansätze hatte („Ich wollte nur rascher pinkeln gehen“), wurde ihr später bewusst, dass sie damit etwas zur Gleichberechtigung bei einem Grundbedürfnis beitragen könnte. Das Motto „Ich habe keinen Penis und keine 50 Cent“ gehört zur Kampagne „Pee4free“ des Buschfunk Bündnisses e. V., mit der es sich für „die Abschaffung der Benutzungsgebühr, der Gewährung von Hygiene und der Erhöhung der Anzahl der öffentlichen Toiletten“ einsetzt.„Wie kann es sein, dass es immer noch öffentliche Toiletten gibt, in den meisten Fällen sogar kostenpflichtige, auf die man sich als Flinta* nicht hinsetzen kann, weil sie total verdreckt sind?“, fragt Sophie Menzel vom Buschfunk Bündnis in einem Interview mit der taz. Unfair sei das und unpassend für eine Stadt wie Berlin.Die Töchter der CDU-StaatssekretärinDas bestätigte Anfang Juni die Staatssekretärin der Senatsverwaltung für Klimaschutz und Umwelt, Britta Behrendt (CDU), bei der Eröffnung der Toilettenanlage am Invalidenpark in Berlin-Mitte. „Ich habe zwei Töchter im Teenageralter, die fast jedes Wochenende in Berlin unterwegs sind.Sie berichten mir oft von einer Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, was die Anzahl und Präsenz von öffentlichen Toiletten in den Berliner Parks betrifft“, sagt sie, bevor sie die grüne Schleife vor den Kabinen durchschneidet. Neben ihr steht auch Lena Olvedi. Es sind „ihre“ Flinta*-Urinale, die in die Prototypen der Firma EcoToiletten eingebaut sind. Sie habe „Pipi in den Augen“, sagte sie nach ihrer Rede und erntet Applaus.Als Olvedi ihren „Aha-Moment“ mit den Missoirs hatte, arbeitete die 43-jährige Berlinerin seit 15 Jahren als Scouterin und Requisiteurin fürs Fernsehen. Dass ihre „Schnapsidee“ zu einem Lebensprojekt werden würde, ahnte sie damals nicht. Trotz aller Startschwierigkeiten, die Lena Olvedi hatte, kündigte sie 2018 ihre Festanstellung und probierte die ersten Missoirs auf einem von Freunden organisierten Festival aus.Das Feedback war so positiv, dass bereits 2019 der erste Prototyp stand. Mit einer Crowdfunding-Kampagne hatte sie zum Anfang der Corona-Pandemie genug Geld, um das erste mobile Missoir zu bauen.Auch in Hamburg und KopenhagenDoch mit dem Lockdown wurden alle Veranstaltungen abgesagt. Erst von 2021 an konnte sie einige Festivals mit dem Missoir besuchen. Auch 2023 ist Lena Olvedi mit den Modellen „Neon“ und „Holo“ auf Musikfestivals unterwegs, beide sind mit Vulven in knalligen Farben dekoriert.Als feste Toilette stand das Missoir schon einmal auf den Straßen Berlins. Von Juli 2021 bis Januar 2022 gab es im Hasenheide-Park in Berlin-Neukölln ein Hockurinal. Nach Auslaufen des Mietvertrags musste es allerdings abgebaut werden. Doch auf einige neue Missoirs freut sich Lena Olvedi bereits: Neben Berlin steht nun auch eines in Hamburg und eines in Kopenhagen.Sollten die genderneutralen, nachhaltigen und klimagerechten Toilettenanlagen in Berlin die Testphase (zum Beispiel wegen Vandalismus) nicht überstehen, wird Olvedi weiter versuchen, das Konzept von gendergerechten Toiletten voranzubringen. „Peequality for you and me“, sagt sie, sei weiterhin das Ziel.



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Von Veritatis

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