Im Gespräch „Kommunistisches Manifest“ statt Chanukka: In der DDR spielte die jüdische Identität kaum eine Rolle. Kuratorin Tamar Lewinsky hat für die Ausstellung „Ein anderes Land“ zusammengetragen, was es hieß, in der DDR jüdisch zu sein


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Ausgabe 36/2023

Barbara Honigmann: „Ein Freund von früher (Thomas Brasch)“

Barbara Honigmann: „Ein Freund von früher (Thomas Brasch)“

Es klopft und hämmert, Lampen werden angebracht, Beschriftungen an die Wände geklebt, viele Vitrinen sind noch zugedeckt, Audios laufen zum Testen durch – im Jüdischen Museum Berlin herrscht Hochbetrieb, die neue Sonderausstellung soll bald eröffnen. Die Kuratorinnen Tamar Lewinsky, Martina Lüdicke und Theresia Ziehe widmen sich darin jüdischem Leben in der DDR, zwischen Antifaschismus und Unsichtbarkeit, jenseits der großen Namen geht es dabei vor allem um das Alltagsleben. Tamar Lewinsky führt während des Gesprächs durch die Ausstellungsräume.

der Freitag: Frau Lewinsky, mit der Ausstellung wollen Sie jüdisches Leben in der DDR sichtbar machen. War es denn so unsichtbar?

Tamar Lewinsky: Wir versuchen, das Jüdische zu fi

Tamar Lewinsky: Wir versuchen, das Jüdische zu finden, was es hieß, jüdisch zu sein in der DDR. Gerade weil man es gar nicht so richtig gesehen hat, es trat hinter dem Sozialismus zurück. Es war mehr eine Erfahrungs- oder Schicksalsgemeinschaft. Das Jüdische und das Politische sind durch diese Idee vom Sozialismus auf neue Art zusammengekommen, durch den Idealismus, die Utopie vom antifaschistischen Staat.Und wie machen Sie es nun sichtbar?Wir haben Menschen aufgerufen, uns ihre Objekte zu zeigen, das hat großes Interesse geweckt. Immer wieder sagten mir Menschen: Jetzt sehe ich erst, dass ihr euch dafür interessiert. Die Leute merken, dass ihre Geschichte relevant ist. So sind sehr viele Fotos und Objekte gekommen, teilweise auch als Schenkung für unsere Sammlung. Wir zeigen eine Interviewspur und Videoinstallation von Yael Reuveny – aber eben auch Fotos aus Alltagssituationen jüdischer Familien in der DDR. Das kann einfach die Familie auf dem Sofa oder beim Spaziergang sein. Es sind nicht explizit religiöse Momente.Die Ausstellung beginnt mit einem Raum über Remigranten. Kamen Juden bewusst in die DDR, weil sie ein antifaschistischer Staat sein wollte?Ja, dieses Versprechen eines antifaschistischen Staates war für jüdische Überlebende und Rückkehrer entscheidend. Dieses klare Bekenntnis zur Sowjetischen Besatzungszone war schon 1946 zu spüren, lange bevor die DDR gegründet wurde. Wobei die Rückkehr natürlich auch damit zu tun hatte, wo man vorher gelebt hat. Aber zum Beispiel bei den Eltern des Sängers der Stern-Combo Meißen war es nicht so klar. Der Vater war aus Dresden, die Mutter aus Antwerpen. Sie ist sehr widerwillig mit ihrem Mann in die DDR gegangen, Israel war auch eine Option. Wir zeigen auch die Geschichte einer Familie, die im Gulag überlebt hat und dann in die DDR ging – wo es natürlich untersagt war, über diese Erfahrung öffentlich zu sprechen. Aber sie sind geblieben.Placeholder image-2Was hat es mit dem Koffer auf sich, der hier mitten im Raum steht?Er gehörte dem Ehepaar Zimmering und ist mit seinen Besitzern aus dem Exil in Großbritannien zurückgekehrt. Man sieht darauf die Etappen der Rückkehr: London, Brüssel, Berlin. Wie so viele waren sie West-Emigranten, was aufseiten der Kommunisten zu einigem Misstrauen führte. In einem Zitat dazu blickt die Enkeltochter, Esther Zimmering, aus der Perspektive der dritten Generation auf diesen Koffer ihres Großvaters. Unsere Ausstellung ist ansonsten aber nicht chronologisch aufgebaut, sondern thematisch.Oft ist es die zweite oder dritte Generation, die dann über ihre Eltern und Großeltern reflektiert.Ja, über deren Hoffnung, diesen Impuls, wieder zurückkehren zu wollen. Es ist Verständnis und Würdigung dessen, was diese erste Generation nach Deutschland gebracht hat. Aber es zeigt auch den Bruch in den Familien. Wie sehr sich ihr Blick auf die DDR unterscheidet.Inwiefern war die Rückkehr auch mit Selbstaufgabe verbunden, wollte man die eigenen Traditionen ablegen?Viele hatten das Jüdische schon vor ihrer Emigration, vor der NS-Zeit hinter sich gelassen. Waren als Kommunisten und Sozialisten aktiv. Das Religiöse hat für sie keine Rolle gespielt. Und dann gab es die, die wirklich in die Gemeinden zurückkehren wollten. Das hat nebeneinander existiert.Sie zeigen Schwarz-Weiß-Bilder von der zerstörten Synagoge an der Oranienburger Straße.Ja, Matthias Brauner machte diese Fotos als junger Mann. Er hat sich durch den Sammlungsaufruf bei mir gemeldet und gesagt, er hätte da noch ein paar Fotos. Sie dokumentieren den Zerfall, die Vernachlässigung durch den Staat, der sich dann erst Ende der 80er Jahre intensiv um den Wiederaufbau bemüht hat – auch aus außenpolitischen Gründen, da Honecker vor den USA gut dastehen wollte.Apropos Gemeinden, wie sah das Leben dort aus?Am Ende der DDR gab es ungefähr 400 Gemeindemitglieder in allen Gemeinden des Landes, Berlin war mit Abstand die größte und die einzige, in der regelmäßig Gottesdienste stattfanden. Es gab aber nur bis 1965 dauerhaft einen Rabbiner, Martin Riesenburger, den wir hier auch zeigen. Es gab auch kaum Judaica in der DDR, man konnte keine Thora-Rollen schmücken. Und hat improvisiert: In Magdeburg verwendeten sie zum Beispiel Tonbänder, die der Westberliner Kantor Estrongo Nachama für sie gesungen hatte, um den Gottesdienst durchzuführen. Oder dieser Leuchter vom VEB Wohnraumleuchten, der sieht nur zufällig aus wie eine Menora.Placeholder image-1Es gab auch nur eine koschere Fleischerei.Ja, die war im Prenzlauer Berg. Es gab aber keinen Schächter, also kam einmal im Monat ein Schächter aus Ungarn angereist, der die Koscher-Fleischversorgung gewährleistet hat. Sogar Botschaftsangehörige aus muslimischen Ländern haben dort eingekauft, es war ja halal. Sein Sohn hat uns dann das Schächtmesser und den Koscher-Stempel geschenkt. Er hatte mich, als wir die Dauerausstellung gemacht haben, kontaktiert. Ein schönes Beispiel für eine Schenkung.Auch der jüdische Friedhof in Berlin-Weißensee war ein wichtiger Ort.In den 80er Jahren sollte eine Durchgangsstraße mitten durch den Friedhof gebaut werden. Da kam aus der Bürgerrechtsbewegung und christlich-jüdischen Kreisen Protest. Stefan Heym hat dann sinngemäß gesagt: Ich möchte bitte nicht mit einer Autobahn vor der Nase hier liegen. Es ist gelungen, den Bau der Straße zu verhindern. Wir zeigen hier ein Buch, in dem die Pläne abgebildet sind, wie es ausgesehen hätte.Sie widmen sich auch den „nichtjüdischen Juden“, also jenen Familien, bei denen das Jüdische scheinbar überhaupt keine Rolle spielte, etwa die Braschs.Genau, und trotzdem gibt es auch hier Spuren. Wir zeigen ein Porträt Thomas Braschs von Barbara Honigmann. Und es gibt ein Bild, auf dem seine Schwester Marion als junges Mädchen von Yassir Arafat begrüßt wird. Sie durfte für Arafat ein Gedicht vortragen. Erst viel später hat sie verstanden, was das für eine absurde Konstellation war, angesichts ihrer Familienbiografie. Marion sagte, sie wusste zwar, dass sie jüdisch sind, aber es war in der Familie nie ein Thema. Ähnlich war es bei André Herzberg, der uns einen Sederteller aus seiner Familie gegeben hat.Der Sänger der Band Pankow, auch bei den Herzbergs war das Jüdische nicht sehr präsent.Gleichzeitig wurden bei der Mutter gewisse Traditionen gefeiert. Der Teller hing an der Wand, einmal im Jahr wurde er abgenommen, um die Mazze draufzulegen. Die wurde gegessen, ohne zu wissen, was es damit auf sich hat. Die Kinder haben sich später intensiv damit auseinandergesetzt.Viele waren aus Überzeugung in die DDR gekommen, wie sah das Verhältnis zu Partei und Staat denn später aus?Wir haben dazu einen Raum, in dem wir einige Knotenpunkte zeigen, die nicht unbedingt die der offiziellen DDR-Geschichtsschreibung sind, aber die aus einer jüdischen Perspektive zentral waren. Das fängt mit 1952/53 an, dem Slánský-Prozess in Prag, den antisemitischen Kampagnen und Prozessen in der Sowjetunion – die Angst, dass das überschwappen könnte, war sehr groß. Es sind damals etwa 500 Juden in den Westen geflohen. Das hat sich nach dem Tod Stalins etwas entspannt. Besonders einschneidend war auch der Sechstagekrieg 1967. Da wurden Juden in der DDR aufgefordert, eine Erklärung gegen Israel zu unterzeichnen. Da war klar, das Jüdische spielte eben doch eine Rolle, man wurde sofort identifiziert. Viele haben sich geweigert, zu unterschreiben.Wie waren denn die Beziehungen der DDR-Juden zu Israel?Viele hatten Familie dort, aber es war schwierig, Kontakt zu halten. Briefaustausch gab es, Besuche gingen kaum. Eine Mutter und ihr Sohn haben zum Beispiel ein Dutzend Anträge gestellt, 1961 durften sie dann drei Monate nach Israel.Warum machen Sie diese Ausstellung eigentlich gerade jetzt? Weil die Frage nach dem Leben in der DDR und Identitäten im Moment sehr hochkocht?Man kann jetzt anders an solche Themen herantreten, mit Abstand. Es ist nicht mehr diese Aufregung, dieses Schwarz-Weiß der unmittelbaren Nachwendezeit.Es gibt das passende Zitat von Barbara Honigmann: Es interessierte sich nach der Wende doch niemand für ostdeutsche Juden. Die Stasi war da wichtiger.Genau. Und auch die jüdische Geschichte wurde nicht aus einer jüdischen Perspektive erzählt, sondern aus einer politischen: Wer war IM, wer war Parteimitglied? Es gibt jetzt eine größere Freiheit, sich auf einer anderen Ebene mit dem Thema zu beschäftigen. Und natürlich gibt es die Debatten: Was ist Westen, was ist Osten? Wer marginalisiert hier wen? Wer hat welche Sprecherposition? Wir erweitern diese Diskussion um eine ostdeutsch-jüdische Perspektive.



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Von Veritatis

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