Shoah Cordelia Edvardsons Buch „Gebranntes Kind sucht das Feuer“ liegt endlich in einer Neuübersetzung vor und ist dringend zu empfehlen
Nach Auschwitz deportiert, zwangen die Nazis Edvardson, die Nummern derer zu notieren, die vergast werden sollten
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Cordelia Edvardsons 1984 erstveröffentlichtes Buch Gebranntes Kind sucht das Feuer, das uns Daniel Kehlmann in seinem Nachwort zur Neuausgabe dringlich ans Herz legt, beginnt so: „Das Mädchen hatte schon immer gewusst, dass etwas mit ihm nicht stimmt.“ Cordelia bekam so lange verschwiegen, dass sie im Sinn der NS-Ideologie Jüdin war, bis es nicht mehr ging – ihr Schicksal ist ein tiefschwarzes deutsches Anti-Märchen und Teil einer schillernden Familiengeschichte. Hat ihre Mutter, die katholisch-obsessive Schriftstellerin Elisabeth Langgässer, ihr Leid auf dem Gewissen?
In der restaurativen Phase der Nachkriegszeit war Langgässer ein großer Name, einige ihrer formstreng-klangvollen Gedichte überlebten in Lesebüchern; 1950, in ihr
chern; 1950, in ihrem Todesjahr, wurde ihr posthum der Büchner-Preis zugesprochen. In ihrer Geburtsstadt Alzey wird ihr Andenken durch einen Literaturpreis hochgehalten, aber selbst die Auserkorenen müssen gelegentlich schauen: Wer war das eigentlich? Kehlmann, den der Ruf ereilte, ist nicht der erste, der offen auf Distanz gegangen ist. Bereits die Jüdin Barbara Honigmann sagte in ihrer Dankesrede, Langgässers Werk würde von ihrer Lebensgeschichte überschattet, „weil die dramatischer und tragischer ist als alles, was sie geschrieben hat“.Kehlmann konnte mit ihrem Werk überhaupt nichts anfangen, es sei „nicht gut gealtert“, die Gedichte empfand er als schwerfällig und pompös und die Prosa als weihevoll und abstoßend. Das lässt allerdings durchaus spannende Aspekte außen vor. Bei der Gelegenheit entdeckte er aber dann doch etwas, das ihn tief erreicht hat: das Buch ihrer unehelichen Tochter Cordelia Edvardson (1929 – 2012), die nach Auschwitz musste, dort entronnen ist, die nach Schweden kam und sich in dessen Sprache an ihrer Mutter abgearbeitet hat, an ihrem Ausgesetztsein, an dem, was ihr im Jüdischen Krankenhaus, in Theresienstadt und schließlich in Auschwitz widerfahren ist. Und wie es hinterher war, im viel zu heilen Schweden, wo sie sich entschloss, nach Israel zu ziehen. Kehlmann konnte es nicht fassen, dass diese „furchtbare Lektüre“ vergriffen war und nicht nachhaltig genug wahrgenommen worden ist. Nun gibt es mit der Neuübersetzung von Ursel Allenstein eine zweite Gelegenheit.Cordelia wurde von ihrer Mutter katholisch erzogen und blieb der Schutzmantelmadonna treu, auch als sie sich in Schweden dazu entschloss, die Kirche zu verlassen, um sich ihrem Volk anzuschließen. Der Rassenwahn des NS-Regimes hat sie zur Jüdin gemacht. Und ihre Mutter zur Halb-Jüdin deklariert – was jene indes kurios fand. Antijudaismus war ihr gar nicht fremd, aber mit der Taufe war für sie alles im Lot. Langgässers Vater kam aus einer jüdischen Familie und konvertierte einen Tag vor der Hochzeit. Cordelias Vater war ebenfalls Jude, der bereits eine Familie hatte, sodass eine Heirat nicht infrage kam. Darüber sprach man nicht. Bis das NS-Regime daraus eine Angelegenheit auf Leben und Tod gemacht hat.Angeblich hat Langgässer als junge Dichterin 1933 Hitler gewählt. Aus ihrem politisch sehr gemischten Bekanntenkreis gingen einige ins Exil und schrieben ihr von dort. Sie wurde zwar in die Reichsschrifttumskammer aufgenommen, flog aber wieder heraus, als sie den Ariernachweis schuldig blieb. Das bedeutete: Berufsverbot. Inzwischen hatte sie in Berlin den Mann fürs Leben gefunden und geheiratet, drei Kinder kamen zur Welt. An Emigration hat sie wohl nie gedacht, ihr anhänglicher Bruder ernährte die Familie.Langgässer ließ erst an sich heran, wie gefährdet ihre uneheliche Tochter war, als ihr der Judenstern bevorstand, der auch an die Wohnung gekommen wäre und die gesamte Familie gefährdet hätte. Nun erst handelte sie. Die von Mythen und Märchen Besessene schuf beinahe selbst eines – unweit der Kirche, wo sie zur Messe ging, war ein Feldlazarett, dort sprach sie einen jungen Franco-Offizier an. „Er brachte“, so Cordelia Edvardson, „die Mutter auf die Spur einer uralten Dame, die in einem Schloss außerhalb Münchens lebte. Angeblich war sie die letzte bayrische Kronprinzessin und entstammte selbst dem spanischen Königsgeschlecht“. Kann die Greisin helfen und der 14-Jährigen die spanische Staatsbürgerschaft beschaffen? Ja, sie kann, denn ihr treues Dienerpaar war gewillt, das Mädchen zu adoptieren und zu retten.Aber die Rettung war nur scheinbar, musste sie dann doch, in Begleitung der Mutter, in die „Drachenhöhle“ des Gestapo-Hauptquartiers. Und sollte dort unterschreiben, dass sie anerkennen würde, dass die Rassengesetze für sie weiterhin gelten. Weigerte sie sich, könnte der Adoptionsversuch als schweres Verbrechen der Mutter eingestuft werden. Langgässer machte keinen Pieps, die Tochter unterschrieb: „(…) es gab keine Wahl, es hatte nie eine Wahl gegeben, sie war Cordelia, die ihren Treueschwur hielt, sie war auch Proserpina, sie war die Auserwählte, und nie hatte sie dem Herzen ihrer Mutter nähergestanden.“Weder Kind noch ErwachseneIn Gebranntes Kind sucht das Feuer gelingen Cordelia Edvardson schnörkellos-eindringliche Sequenzen, die zeigen, was ihr, die weder Kind noch Erwachsene war, widerfahren ist, im Jüdischen Krankenhaus in der Iranischen Straße in Berlin – „der Vorhof zur Hölle“ –, wo sie untergebracht wurde nach der Entfernung aus ihrer Familie, dem „Eichkatznest“: „In der Zwischenzeit galt es zu leben und zu überleben, um jeden Preis. Alle schliefen mit allen.“ Von dort ging es nach Theresienstadt und schließlich nach Auschwitz, in die „Schreibstube“, eine privilegierte Stellung, die ihren Preis hatte: „Zu diesem Preis gehört auch, bei Dr. Mengeles Selektionen im Lager anwesend zu sein und die Nummern derjenigen zu notieren, die vergast werden sollen.“Edvardson berichtet nicht linear, sondern schafft sich ihre eigene Anordnung. Sie zeigt auf, wie es für sie war, in Vorgänge hineinzuwachsen, die für sie undeutbar sein mussten; was ihr unter dem Judenstern zustieß; und wie es für sie war, überlebt zu haben, nach Schweden entronnen zu sein, früh geheiratet zu haben in ihrer Wundheit. Sie führt aus, was sie ausführen will, und lässt weg, was sie weglassen mag oder muss. Immer wieder kommt sie auf die Mutter zu sprechen, die sie nach ihrer Befreiung aus dem KZ nur ein einziges Mal sehen wird – ein Lebensthema. Als Kind kostet sie die „elektrische Spannung in der Atmosphäre um die Mutter“ und bewundert ihre Sprachmagie. Aufgrund der bitteren Erfahrungen bezweifelt sie schließlich Langgässers Realitätsbezug: „Wie immer erdichtete und erschuf sie ihre eigene Wirklichkeit, die Welt, die sie genau in diesem Moment brauchte.“ Wäre Cordelia dieses Schicksal erspart geblieben, wenn die Mutter sie nicht geopfert und die Unterschrift verhindert hätte? Das lässt sich nicht beantworten. Langgässers Katholizismus war freilich eher literarischer Natur, als dass er sie zum Kreuz gedrängt hätte. Das unfassbare Leid anderer, auch der Tochter, redet sie sich schön, die eigenen Bekümmernisse hingegen stellt sie aus. Gilt das nicht für das Gros der konservativ geprägten Literatur der Adenauerzeit? Als sich Cordelia bei ihr als Überlebende gemeldet hatte, schrieb sie ein Gedicht, das bekannt geworden ist: „Holde Anemone, / Bist Du wieder da / Und erscheinst mit heller Krone / Mir Geschundenem zum Lohne / Wie Nausikaa?“ Die Geschundene, das ist in ihrer Selbstwahrnehmung sie selbst.In ihrer Übergriffigkeit und Selbstbezogenheit trat sie der Tochter viel zu nahe. In Briefen wollte sie für ihr eigenes literarisches Unterfangen unverblümt wissen, wie es denn so war in Auschwitz, äußerte die dringende Bitte um Details, die sie unbedingt brauche. Ihre Proserpina musste nicht nur in die Unterwelt, sie sollte der Mutter dann auch noch behilflich sein, für deren Werk das Grauenhafte plastisch werden zu lassen. „Es war zu viel und doch zu wenig“, urteilt die Tochter, nachdem sie las, was die Mutter aus ihrem Auschwitz-Antwortversuch gemacht hat. „Es wurde vom Feuer gesprochen, aber über die Asche geschwiegen. Wie sollte es auch anders sein, es war von einer Lebenden geschrieben worden.“ Die Aneignung konnte schon deshalb nicht gelingen. Man kann nicht gestalten, was man vermieden hat; das blieb der vorbehalten, in kargeren Sätzen, die hinabsteigen musste.Placeholder infobox-1