Sexkauf Bordelle sind Ausdruck von Patriarchat und Kapitalismus, Sexarbeit hat mit Selbstbestimmung nichts zu tun. Nötig sind umfangreiche Ausstiegshilfen und langfristig ein Verbot von Sex als Ware
Es geht um die grundsätzliche Frage, was das Wesen der Prostitution ist
Foto: Jen Osborne/Redux/Laif
Im Freitag vom 23. November 2023 schreibt Sonja Dolinsek, dass das nordische Modell die Prostitution nicht abschaffe, sondern sie nur im Verborgenen stattfinden lasse. Es stimmt zwar, dass die Prostitution auch in den nordischen Ländern nicht ganz verschwunden ist. Trotzdem ist diese Behauptung so nicht wahr: Verlässliche Studien zeigen, dass die männliche Nachfrage nach Bezahlsex, der Prostitutionsmarkt und der Menschenhandel in Schweden und Norwegen deutlich geringer sind als in Ländern, in denen Sexkauf und Profit an der Prostitution anderer erlaubt sind.
In Deutschland haben laut einer Studie von 2022 26 Prozent der Männer schon einmal für Sex bezahlt; vier Prozent gaben an, dies im vergangenen Jahr getan zu haben. In Schweden sind die Vergleichszahlen von
eden und Norwegen deutlich geringer sind als in Ländern, in denen Sexkauf und Profit an der Prostitution anderer erlaubt sind.In Deutschland haben laut einer Studie von 2022 26 Prozent der Männer schon einmal für Sex bezahlt; vier Prozent gaben an, dies im vergangenen Jahr getan zu haben. In Schweden sind die Vergleichszahlen von 2020 9,5 Prozent und 0,26 Prozent. Das bedeutet, dass dort viel weniger Frauen Opfer von Prostitution werden als in Deutschland. Auch zeigen Umfragen, dass die Bevölkerung Sexkauf in den nordischen Ländern häufiger als Gewalt und als unvereinbar mit der Gleichheit der Geschlechter betrachtet, während man in Deutschland eher geneigt ist, das Verhalten von Sexkäufern hinzunehmen.Wer Sexkauf legalisiert, legitimiert die Behandlung von Körpern als WarenDie Prostitution in den nordischen Ländern ist auch nicht „verborgen“, da sowohl Käufer als auch Polizei leicht herausfinden können, wo sie stattfindet. Die Probleme sind andere: Die Frauenbewegung fordert seit Langem, mehr Ressourcen darauf zu verwenden, die Prostitutionsgesetze konsequenter umzusetzen, Sexkäufer und Zuhälter zur Verantwortung zu ziehen und allen Opfern zu helfen. Auch eine Änderung der Einwanderungsgesetze, die Frauen davon abhalten, Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist nötig. Es ist also nicht so, als ob in den nordischen Ländern alle Probleme gelöst seien, und das hat auch niemand behauptet.Der Kern der Kontroverse ist vielmehr ein anderer: Es geht um die grundsätzliche Frage, was Prostitution ihrem Wesen nach ist und, daraus folgend, ob man sie akzeptieren oder bekämpfen sollte. Dolinsek scheint der Meinung zu sein, dass Prostitution selbstbestimmt ausgeübt werden kann und für manche Menschen die beste oder einzige Alternative sei. Deshalb will sie Sexkauf und Bordellbetrieb nicht einschränken. Mit dem gleichen Argument könnte man moderne Sklaverei und Lohndumping, Kinderarbeit, Leihmutterschaft oder Organhandel legitimieren: Weil es verzweifelte Menschen gibt, die diese „Dienstleistung anbieten“, muss es erlaubt sein, sie nachzufragen.Wenn man, wie wir, hingegen der Meinung ist, dass Prostitution im Kern Gewalt, hochgradig traumatisierend und ein Ausdruck von Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus ist, kommt man notwendigerweise zu dem Schluss, dass eine „Politik kleiner Schritte“, die Dolinsek fordert, nicht ausreicht. Im Gegenteil bedarf es zur Reduktion und langfristigen Überwindung der Prostitution radikaler Maßnahmen, darunter vor allem: 1) Entkriminalisierung der Menschen in der Prostitution (keine Steuereintreibung, Sperrgebiete oder Anmeldepflichten), 2) bessere Finanzierung umfangreicher Ausstiegshilfen mit intensiver Betreuung und Starthilfen, die wirklich eine Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen, 3) bedingungslose Aufenthaltserlaubnis für Opfer von Menschenhandel, 4) Verbot, aus der Prostitution anderer einen Nutzen zu ziehen, 5) Verbot des Betriebs von Prostitutionsstätten, 6) Verbot von Sexkauf, 7) Schulungen zum Umgang mit Opfern für Polizei, Justiz etc., 8) Präventionsarbeit und Aufklärungskampagnen.Will die Linke wirklich die Interessen von Bordellbetreibern und Sexkäufern vertreten?Es geht um eine grundsätzliche Wandlung in der gesellschaftlichen Betrachtung und staatlichen Regulierung der Prostitution. Der Staat darf nicht länger Profiteur sein und die Gewaltausübung gutheißen. Die Opfer müssen als solche anerkannt werden, statt für ihre eigene Traumatisierung und die Alternativlosigkeit ihrer Lage verantwortlich gemacht zu werden. Als Netzwerk „Linke für eine Welt ohne Prostitution“ haben wir uns diesen Zielen schon lange verschrieben. Hunderte Linke haben unseren Aufruf für eine neue Prostitutionspolitik der Linken unterzeichnet.In den nordischen Ländern wurde das Modell eingeführt, unter federführender Beteiligung der Linksparteien. Die Linke, die Sozialdemokratie, die Gewerkschaften und das christlich-bäuerliche Zentrum stehen dahinter. Rechtspopulisten und -radikale sowie viele Konservative meinen hingegen, es sei legitim, wenn Männer Sex kaufen. In Deutschland ist nun die CDU die erste Partei, die das Modell in den Bundestag trägt. Die SPD wird sich voraussichtlich dem Ruf nach dem nordischen Modell anschließen, gestützt von einer breiten Mehrheit des Europaparlamentes und der Entwicklung in zahlreichen Nachbarländern. Die AfD hat natürlich nichts gegen Sexkauf und Bordelle, und auch FDP und Grüne sind vereint hinter der Legitimierung des neoliberalen Status quo. Wir hoffen, dass die Linke nicht ebenfalls als eine Partei, die die Interessen von Sexkäufern und Bordellbetreibern vertritt, in die Geschichte eingehen wird, wenn das nordische Modell in Deutschland eingeführt wird.Placeholder authorbio-1