Björn Höcke wird zu einer Geldstrafe verurteilt. Mitgewirkt haben an dem Theaterstück mehr als nur Richter und Kläger. Das politische Urteil ist perfekt und Höcke vogelfrei.
von Thorsten Hinz
Das Schmierenstück, das im Staatstheater seit Monaten auf dem Programm steht, heißt frei nach Lessing: „Tut nichts. Der Höcke wird verbrannt.“ Mitwirkende sind Politik, Justiz, Medien, Geheimdienst sowie „Experten“ – ein Begriff, den man heute ebenso wie „Elite“ tunlichst in Anführungszeichen setzt. Das Personal auf der Bühne wechselt je nach Szene. Einzelne Akteure verlassen zeitweilig die Bühne und nehmen im Zuschauerraum Platz, wo sie sich in vermeintlich harmlose Besucher und objektive Kritiker verwandeln. In Wahrheit wirken sie als Animateure und versuchen das Publikum im Zuschauerraum dazu zu bringen, das Affentheater, das ihre Mitakteure auf der Bühne veranstalten, mit Ovationen zu bedenken. Dann werden die Rollen wieder getauscht.
Das Urteil gegen Björn Höcke ist ganz klar eine politische Abstrafung. So gut wie niemand hat gewußt, daß der Spruch „Alles für Deutschland“ von der SA benutzt wurde. Höckes Verteidiger Ulrich Vosgerau hat seine Einschätzung des Prozesses kundgegeben. Als neutraler Beobachter kommt der Rechtsprofessor Volker Boehme-Neßler im Cicero zu ähnlichen Schlüssen. In Strafprozessen, schreibt er, müsse rechtskonform wie folgt verfahren werden: „Jeder Stein wird umgedreht, keine Mühe wird gescheut, um die Wahrheit zu finden. Das ist hier nicht geschehen. Das Gericht hat keine Zweifel zugelassen und den Prozeß in kürzester Zeit zu Ende gebracht.“ Vulgo: Es hat kurzen Prozeß gemacht.
Höcke verteidigen gleicht Scheiterhaufen
Boehme-Neßler weiter: „Am Ende eines langen Verhandlungstages hat das Gericht am Dienstag unmittelbar nach den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung das Urteil verkündet. War da noch Zeit, um die Ergebnisse des letzten Verhandlungstages zu reflektieren und im Urteilsspruch zu berücksichtigen? Oder hatte das Gericht das Urteil schon fertig, als die Plädoyers gehalten wurden?“ Eine gute, eine sehr gute Frage!
Zudem hatte das Landgericht – eine Instanz, vor der sonst Kapitalverbrechen verhandelt werden – darauf verzichtet, Gutachter heranzuziehen. Das mußte die Verteidigung besorgen.
Dazu Michael Klonovsky in seinem Internet-Tagebuch Acta diurna: „Was nicht einfach war; mehrere angesprochene Professoren reagierten auf die Bitte wie auf die Androhung des Scheiterhaufens – ‚Wenn ich zugunsten Höckes aussage, kann ich meinen Lehrstuhl abschreiben‘, sagte einer (was für eine prachtvolle Charade über die Lage der geistigen Freiheit in dieser Republik!) –, so daß am Ende einzig der ‚rechte‘ Historiker Karlheinz Weißmann als Experte vor Gericht erschien und mit beeindruckender Sachkenntnis darlegte, daß diese Parole viel älter als der Nationalsozialismus ist, in der Weimarer Republik über alle politischen Lager hinweg verwendet wurde und sich keineswegs im Sinne des Gerichtes der SA zuordnen ließe.“ Weißmanns Liebesmüh war vergeblich, denn: „Tut nichts. Der Höcke wird verbrannt.“
Die Journallie lobt das politische Urteil
So auch die Reaktion der Medien: Im Focus dröhnte ein journalistischer Jedermann: „So geht Rechtsstaat. Warum das Urteil Höcke hart trifft und genau richtig ist“. Der tapfere Tastenritter konnte zwar keine Richtigkeit nachweisen; sie ergab sich für ihn schlicht und einfach aus der Härte, mit der das Urteil Björn Höcke mitten im Wahlkampf treffen muß. Er begrüßte also den Schuldspruch als eine politische Aktion. Die aber ist nicht Sache eines Gerichts. Zumindest nicht im Rechtsstaat. Anders natürlich im Maßnahmenstaat, wo der politische Zweck der Justiz die Entscheidungen diktiert.
Nun kann man von Focus-Journalisten ohnehin nichts erwarten. Von FAZ-Journalisten im Grunde auch nicht mehr. Schon gar nicht, wenn es um die AfD geht. Die Partei ist für die „Zeitung für Deutschland“ ein „Lagerfeuer des Grauens“ (Juli Zeh), das sie Tag für Tag als wütendes, keifendes, geiferndes Rumpelstilzchen umtanzt.
„Björn Höcke richtet sich selbst“
Dort griff Reinhard Müller in die Kommentartasten – den man bis dato für den letzten ernstzunehmenden Politik-Redakteur der Zeitung halten durfte. Ein Volljurist, der als Rechtsreferendar unter anderem in der Abteilung für DDR-Unrecht bei der Staatsanwaltschaft Dresden Erfahrungen gesammelt hat und folglich den Unterschied zwischen Rechts- und Unrechtsstaat ganz genau kennt. Umso schlimmer sein kurzer Kommentar.
Von der Überschrift kursieren im Netz mehrere Varianten. Stabil geblieben ist die Kernaussage: „Björn Höcke richtet sich selbst.“ Er habe eine Geldstrafe wegen einer „NS-Parole“ oder „SA-Parole“ erhalten, erläutert die Dachzeile. Beides ist natürlich Qatsch. Höcke hat sich keineswegs „selbst“, sondern er wurde vom Landgericht Halle gerichtet. Auch ist der Spruch „Alles für Deutschland“ keine genuine „NS-“ oder „SA-Parole“, wie Müller an anderer Stelle klarerweise einräumt: „Der Spruch ist schon zu Weimarer Zeiten verwendet worden – auch von Hitler-Gegnern. Und er ist nach dem Krieg bisweilen von demokratischen Politikern und Medien benutzt worden.“ Na also.
Trikolon, Klimax und eine „SA-Parole“?
Weiter: „Strafbar ist er als Losung der SA – als solche wiederum war er auch Historikern bis zum Höcke-Prozeß eher weniger bekannt.“ Eben. In diesem Sinne hatte Höcke sich vor Gericht verteidigt.
Nun aber Müller: „Höcke dürfte gewußt haben, was er sagt“. Ja, was hat er denn gesagt? Und warum soll er sich damit strafbar gemacht haben? Müllers Satz erhält nur einen Sinn, wenn er ausdrücken will, daß Höcke sie „als Losung der SA“ benutzt hat. Dafür gibt es nicht nur keinen Nachweis – wie wäre der auch zu erbringen? –, sondern es wird durch den Kontext widerlegt. Der vollständige Satz lautet nämlich: „Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland“. Höcke hat zwei rhetorische Stilmittel, das Trikolon und die Klimax, verwendet. Wie also kommt Müller zur seiner Behauptung? Die dürftige Begründung lautet: „ – davon geht jedenfalls das Gericht aus.“
Weil der Volljurist weiß, daß er sich bloß auf eine unbewiesene Unterstellung beruft, schiebt er nach: „Klar ist jedenfalls, daß er (Höcke) mit Hingabe mit (abgewandelten) Parolen spielt und so sein Publikum bei Laune hält.“ Nicht zu fassen! Offenbar gehört Höcke zu denen, die Kurt Tucholskys „Ratschläge an einen guten Redner“ beherzigen: „Hauptsätze, Hauptsätze, Hauptsätze. Tatsache, oder Appell an das Gefühl. Schleuder oder Harfe. Ein Redner sei kein Lexikon, das haben die Leute zu Hause.“
„Im Zweifel gegen den Angeklagten“
Weil Müller außerdem weiß, daß das Urteil juristisch zweifelhaft ist, konzediert er: „Man kann über die Grenzen und Sinnhaftigkeit des Strafrechts gerade mit Blick auf solche Kennzeichen streiten“ – um dann den Richterspruch mit einem machtvollen „Aber“ politisch zu salvieren: „Aber es waren gerade die Feinde der Nation, die sich national nannten. Diejenigen, die Deutschland im Namen führten, stürzten das eigene Land in den Abgrund. Sie verführten viele dazu, buchstäblich alles zu geben. Wer sich heute an solche Vaterlandsverräter anlehnt, richtet sich selbst.“ Müller knüpft eine hier demagogische Assoziationskette, mit der er das Untier erdrosselt. Eine bemerkenswerte Leistung!
Von den offiziösen Medien hat einzig und ausgerechnet die taz den Prozeß auf den Punkt gebracht. Dort schrieb Christian Rath: „Im Zweifel gegen den Angeklagten“. Während die FAZ den Focus auf der nach unten offenen Journalismus-Skala noch um Längen schlägt. Denn was bedeutet nach all dem „Höcke richtet sich selbst“? Für Nichtjuristen doch wohl dies: Björn Höcke trägt seine Delinquenz, seinen kriminellen Unwert in sich selbst, in der ihm eigenen Verkommenheit und Verworfenheit. Das Gericht muß seine Straffälligkeit gar nicht mehr hieb- und stichfest feststellen, es braucht sie nur anlaßbezogen zu notifizieren. Höcke ist vogelfrei. Kann verbrannt werden. Erinnert sich noch jemand an Pim Fortuyn? Es war kein Theaterblut, das damals floß.
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