Von Daniel Weinmann
Es klingt wie aus einer längst vergessenen Zeit, wie das Bundesamt für Verfassungsschutz aktuell seine Arbeit definiert. „Der Verfassungsschutz ist als deutscher Inlandsnachrichtendienst ein wichtiger Bestandteil der Sicherheitsarchitektur dieses Landes“, heißt es auf der Website des deutschen Inlands-Nachrichtendienstes. „Durch das Sammeln und Auswerten von Informationen zu extremistischen und terroristischen Bestrebungen sowie Tätigkeiten fremder Nachrichtendienste betreibt er wichtige Vorfeldaufklärung. Diese ist zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und damit aller in Deutschland lebenden Menschen unerlässlich.“
Behördenchef Thomas Haldenwang hat diese Grundsätze längst ad absurdum geführt. Erst vor wenigen Wochen bekannte sich der CDU-Mann in einem Gastbeitrag für die „FAZ“ ganz offen dazu, dass seine Behörde als eine Gesinnungspolizei agiert (Reitschuster.de berichtete). Genau dies bestätigt nun ein Insider, der selbst beim Inlandsgeheimdienst beschäftigt ist. „Was gestern legale Kritik war, kann heute ein Grund sein, ins Visier des Verfassungsschutzes zu geraten“, sagte der 36-Jährige gegenüber der „Schwäbischen Zeitung“.
Mittlerweile wurde Gregor S., wie ihn die Zeitung anonymisiert, vom Verfassungsschutz selbst zum Sicherheitsrisiko erklärt – weil er „die unglaublichen Zustände und Missstände in dieser Behörde angesprochen“ hat. Zugleich bestätigt er, was kritische Medien wie Reitschuster.de immer wieder auf den Punkt bringen: „Die Ängste vieler Menschen, dass hier derzeit ein Überwachungsstaat wie in der DDR aufgebaut wird, diese Ängste sind nicht ganz unberechtigt, ja.“
Verfassungsschutz kann es nicht mit ernstzunehmenden Gegnern aufnehmen
Als Diplom-Verwaltungswirt, Fachbereich Nachrichtendienste, war S. studierter Nachrichtendienstler. Der Großteil seiner Arbeit fand „draußen im Feld“ statt. Er berichtet von einem „Arbeitsumfeld, das völlig unprofessionell ist und in dem der Dienst seine Aufgabe nicht erfüllen kann“: Beispiele sind unregistrierte SIM-Karten und offiziell auf das Innenministerium des Landes angemeldete Einsatzfahrzeuge, die keine Tarnung ermöglichen, keine Möglichkeit seitens der Behörden, einen Kampfsport zu lernen und eine überbordende Bürokratie.
Weil der Verfassungsschutz es vor diesem Hintergrund nicht mit ernstzunehmenden Gegnern wie gewaltbereiten Links- oder Rechtsterroristen oder radikalen Islamisten aufnehmen könne, kümmere er sich immer mehr um Fälle, für die die Behörde gar nicht zuständig ist – und in der Vergangenheit auch nicht war. Als Beispiel nennt er die während der Coronakrise aus der Taufe gehobene Extremismus-Kategorie „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“.
»Große Gefahr, dass der Dienst instrumentalisiert wird,«“
„Durch eine Umdeutung und Pervertierung der Sprache“ so Gregor S. gegenüber der „Schwäbischen Zeitung“ würden neue Schlagworte geschaffen, um Menschen zu dämonisieren, auszugrenzen und zum Verdachtsfall machten: „Was gestern legale Kritik war, kann heute ein Grund sein, ins Visier des Verfassungsschutzes zu geraten.“ Dabei werde vorgegangen wie bei echten Extremisten auch: „Wir durchleuchten das Umfeld, den Arbeitgeber, die Geliebte, die Kumpels, die zum Grillen kommen, also eigentlich alles, was wir finden können.“
Zudem sieht S. aktuell „die ganz große Gefahr, dass der Dienst instrumentalisiert wird, etwa für politische Zwecke“. „Gewisse gewaltbereite Strömungen etwa bei der Linken“ wolle man nicht sehen. Um für Transparenz zu sorgen, hatte S. Beschwerden seiner Kollegen in einem Vermerk notiert und eine Bilanz erstellt – mit zielführenden Verbesserungsvorschlägen, wie man etwas besser machen könnte. Was folgte, war eine gleichermaßen grundlose wie miserable Dienstbeurteilung und ein Disziplinarverfahren.
»Thomas Haldenwang: Die Meinungsfreiheit hat Grenzen«“
Den Dienst beschreibt S. als „Kakistokratie, also eine Herrschaft der Schlechtesten“. Er beobachtet „ein Pervertieren von Werten, ein Pervertieren der Grundpfeiler dessen, wie man sich die neue Gesellschaft nach Ende des Zweiten Weltkrieges gedacht hat“ – und spricht von einer Aushöhlung des Rechtsstaats.
„Mein Mandant gilt als Nestbeschmutzer und soll deswegen entfernt und kaltgestellt werden“, sagt Christiane Meusel, die S. als Rechtsanwältin vertritt. Zwischenzeitlich habe man ihm in Aussicht gestellt, entweder nach Görlitz versetzt zu werden oder in Rente zu gehen.
Die „Schwäbische Zeitung“ bat das Bundesamt für Verfassungsschutz um eine Stellungnahme. In ihrer Antwort verwies die Behörde auf den anfangs in diesem Beitrag zitierten Gastbeitrag von Thomas Haldenwang in der „FAZ“ mit der Überschrift „Die Meinungsfreiheit ist kein Freibrief für Verfassungsfeinde“. Besonders bezeichnend für die Gesinnung von Deutschlands oberstem Verfassungsschützer ist die Aussage „Die Meinungsfreiheit hat Grenzen“.
Stinke-Socken vom Vorgänger und Fenster-Öffnungs-Verbot – „Dschungelcamp“-Gefühle im Berlin-Urlaub.
Wie Habeck über Stalins Schnurrbart stolperte – und Esken sich dringt verriet.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.
Bild: Shutterstock