Eine Woche vor der EU-Wahl am Sonntag, 9.6., haben sich die Grünen in Potsdam noch einmal zu einem Kleinen Parteitag versammelt, der dort als „Länderrat“ bezeichnet wird. Die Partei war dabei tunlich bemüht, jeden Eindruck interner Konflikte und Verunsicherung zu vermeiden. #

Neben den Bundessprechern Ricarda Lang und Omid Nouripour sowie den Ministern Annalena Baerbock und Robert Habeck versuchte auch EU-Spitzenkandidatin Terry Reintke, den etwa 100 Delegierten Mut zuzusprechen.

Wahlziele für Grüne nach unten angepasst

Aus den Reden geht hervor, dass sich die Partei mit Verlusten am Wahlabend bereits abgefunden hat. Im Jahr 2019 landeten die Grünen als zweitstärkste Kraft bei 20,9 Prozent. Medialer Rückenwind und die „Fridays for Future“-Demonstrationen hatten zu diesem größten Erfolg der Parteigeschichte auf Bundesebene beigetragen. In den darauffolgenden Jahren stiegen die Umfragewerte auf bis zu 28 Prozent.

Mittlerweile ist nach mehreren großen Krisen und zweieinhalb Jahren grüner Regierungsbeteiligung bei vielen Wählern ein Realitätsschock eingekehrt. Zwischenzeitlich war die Partei auf 12 bis 13 Prozent und damit weitgehend auf ihre Stammwählerschaft zurückgefallen. Entsprechend definiert die Parteiführung den Maßstab des Erfolgs für den kommenden Sonntag bereits um.

Für diesen gibt es nun zwei Idealziele. Das erste ist, ein Ergebnis von mindestens 14,7 Prozent zu erzielen und damit das Niveau der Bundestagswahl 2021 zu halten. Das andere ist, vor der AfD zu bleiben, die man 2019 noch klar auf Distanz halten konnte.

„Mit allem, was wir haben, gegen den Rechtsrutsch“

Vor wenigen Monaten erschien dieses Ziel noch als illusorisch. Die von Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestufte AfD, die vor fünf Jahren auf elf Prozent gekommen war, stieg in Umfragen auf bis zu 24 Prozent. Jüngste Skandale und die Kandidatur des Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit (BSW) haben die ausgewiesenen Werte für die AfD wieder sinken lassen.

EU-Spitzenkandidatin Terry Reintke gab entsprechend den Kampf gegen die AfD als vorrangiges Ziel für das Wahlkampffinish aus: „Wir Grüne stellen uns mit allem, was wir haben, gegen den Rechtsrutsch.“

Die Rückschläge der vergangenen Jahre haben die Partei zumindest nach außen wieder zusammengeschweißt. Anders als 2022 und 2023, wo die Themen Kernkraft und Asyl für hitzige Debatten sorgten, stand in der Potsdamer Schinkelshalle die Harmonie im Vordergrund.

Grüne wollen den Green Deal gegen Rückabwicklung verteidigen

Neben der Selbststilisierung zum Bollwerk gegen die Rechte war auch der Erhalt des sogenannten Green Deals ein Thema, auf das Reintke den Parteitag einschwor. Die jüngsten Töne der konservativen EVP nähren in den Reihen der Grünen den Eindruck, dass diese an der Rückabwicklung des Klimaschutz-Jahrhundertprojekts arbeiteten.

Reintke beschwor das Potenzial des Green Deal, nicht weniger als 2,5 Millionen Arbeitsplätze in Europa zu schaffen. Man wolle „die grünen Jobs in Europa und nicht anderswo in der Welt“, sie brächten mehr Sicherheit und Unabhängigkeit von „Autokraten“.

Die Spitzenkandidatin behauptete, ohne den Green Deal würde die Industrie nach China und in die USA abwandern. In Wirtschaftsverbänden werden allerdings andere Faktoren für die zunehmende Abwanderung verantwortlich gemacht – nämliche hohe Energiekosten in der EU und attraktive Steuervergünstigungen in den USA.

Kritischer Antrag zur Asylpolitik noch vor Parteitag zurückgezogen

Für einen hohen Prozentsatz der Wähler in der EU ist in diesem Jahr auch der Themenkomplex Asyl und Migration ein wahlentscheidendes Thema. Die Grünen haben bereits einige Verschärfungen mitgetragen. Eine noch härtere Linie würde jedoch dazu führen, dass sie eigene Sympathisanten verprellt, ohne in der Mitte oder gar auf der Rechten dazuzugewinnen.

Zudem sandte die Partei auch widersprüchliche Signale aus. Während die Grünen in der deutschen Regierung die EU-Asylrechtsreform GEAS mittrug, stimmte die Fraktion im EU-Parlament dagegen.

Für den Länderrat hatte die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Migration & Flucht einen Antrag vorbereitet. In diesem wurde Kritik am Flüchtlingsdeal laut. Statt Asylverfahren an den EU-Außengrenzen oder einer Auslagerung nach Ruanda, wie sie vielfach diskutiert wird, forderte man ein Bundesaufnahmeprogramm.

Dieses solle Kontingenten im Libanon untergebrachter Syrer einen Weg nach Deutschland eröffnen. Ohne Angabe von Gründen wurde der Antrag jedoch wieder zurückgezogen. Damit dürfte das Thema auf unbestimmte Zeit vertagt sein. Lediglich die BAG-Vorsitzende Svenja Borgschulte beschwor in einem Redebeitrag: „Wir Grüne müssen uns gegen jeden einzelnen Deal stellen, der Menschenrechte gefährdet.“

In diesem Kontext bedankte sie sich bei der Fraktion, die „unsere Werte verteidigt hat, die standhaft geblieben ist und das auch in Zukunft hoffentlich tun wird“.




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Von Veritatis

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