Beim Thema Abtreibung scheint in fortschrittlichen Kreisen, wie bei Cannabis, nur eine Forderung akzeptabel: Legalisieren! Da es für eine Frau kaum eine weniger persönliche Angelegenheit gibt, werde ich hier, ich bitte um Entschuldigung, mal ganz konkret.

Ich habe zwei Töchter und zwei Söhne – und zwei abgebrochene Schwangerschaften. Lange wusste ich nicht, ob oder wie ich den Kindern von den nicht geborenen Geschwistern erzählen soll, aber triumphierend à la France wäre so ein Gespräch nicht. Eher nachdenklich, offen, auch für die Trauer.

Denn so eindeutig ist es ja nie, das Pro und das Contra. Gleiches gilt für das sogenannte unabhängige Individuum: Wir brauchen es für politische Kämpfe und für die Rechtsprechung,

Rechtsprechung, doch in der Wirklichkeit existiert es nicht. Kein Mensch ist unabhängig von anderen – zum Glück ist das so. Bei diesem Thema bringen Beschwörungen von „Freiheit“ nicht wirklich weiter, weil diese, mit Blick auf menschliche Beziehungen, eine Fiktion ist. Wer Mutter oder Vater ist, wer Eltern hat, wer jemanden liebt, mitdenkt oder abwehrt – der ist ja nicht „frei“. Die Kategorie stimmt hier einfach nicht.Das fünfte Kind wollte ich. Deshalb bin ich wieder schwanger geworden, habe unbewusst nicht aufgepasst. Körper sind schlau. Aber der Mann war sehr dagegen. Und die anderen Kinder waren noch sehr klein. Und Abtreibung sehr leicht.Ich ging also zu einer Frauenärztin – einer handfest feministischen Person –, dann zu einer Beratung. Alle waren lieb zu mir, das war erleichternd, aber niemand ermutigte mich, das Kind zu bekommen, das war verwirrend. Laut dem oft gescholtenen Paragrafen 219 dient die Beratung „dem Schutz des ungeborenen Lebens“: Dort heißt es, die Beratung habe sich „von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen; sie soll ihr helfen, eine verantwortliche und gewissenhafte Entscheidung zu treffen“.In meiner Beratung war es eigentlich gerade umgekehrt. Meine Beraterin war nett und zugewandt, aber mit dem Schutz des ungeborenen Lebens haben wir uns nicht beschäftigt. Sie hat mir eher dabei geholfen, meine Zweifel einseitig zu sedieren. Ich konnte, erschöpft von anderthalbjährigen Zwillingen, in dem Moment nicht voll überzeugt „Ja“ zu dem Leben in meinem Bauch sagen. Und so hat sie mich zu einem „Nein“ begleitet.Sie meinte, dass eine Entscheidung im Moment des Entscheidens richtig ist. Dass man nicht alle Eventualitäten abdecken könne. Daran muss ich seitdem oft denken, denn es ist im Grunde ein sehr guter Rat. Aber im Nachhinein hätte ich mir ein ergebnisoffenes Gespräch gewünscht. Eines, das nicht quasi automatisch hinführt zu einem „fortschrittlichen“, „frauenfreundlichen“ Abbruch. Das nicht gleichsam schon davon ausgeht, dass ich nur zur Beratung gehe, um den Schein zu kriegen statt des Kindes.Denn es ist ja nicht schön, sich ungeborenes Leben aus dem Bauch saugen zu lassen. Das einzig Schöne daran ist die Narkose. Ich wurde mit Güte behandelt. Dafür bin ich dankbar. Es gab – das war in Berlin – auch keine radikalen Abtreibungsgegner, die vor der Praxis demonstrierten. Absurd hätte ich das gefunden, denn was ging die das Leben in mir an? Es ist nicht so, dass ich Schuldgefühle habe, eher Vermissensgefühle, wie bei jedem Verlust. Es muss aber möglich sein, davon zu sprechen, ohne gleich als reaktionär zu gelten.Beim zweiten Abbruch war die Sache klarer. Die Beziehung mit dem Erzeuger kriselte vor sich hin, mir war sofort furchtbar schlecht, aber seltsam, auch dieses werdende Kind wurde von meinem Körper irgendwie gewollt, sonst hätte er es ja nicht empfangen. Wo also hört der Körper auf, wo beginnt die Seele, und was hat der Verstand damit zu tun?Eine Schwangerschaft ist für mich keine rationale Angelegenheit, sondern in erster Linie eine von Körper und Seele. Da gibt es keine pur vernünftige Lösung, nur die Notwendigkeit einer Entscheidung. Das Strafrecht ist ein ungemütlicher Ort dafür, das „Nein, aber“ des Paragrafen 218 ein mühsam ausgehandelter Deal zwischen ultrakonservativ und ultrafeministisch.Der Staat darf keine Frau verpflichten, ein Kind zu bekommen, das sie nicht will. Grundsätzlich sollte ein medizinisch durchgeführter Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen nicht strafbar sein, wenn die Frau sich dafür entscheidet und sich vorher beraten lässt. Aber ist vernünftigerweise jetzt die Zeit für eine dermaßen polarisierende Debatte?Eine Abtreibung ist kein Grund zum Triumphieren, sondern ein notgedrungen mieser Kompromiss mit dem Leben und mit dem Tod. Damit sollte keine Frau alleingelassen werden.Bevor sie sich – wieder – bei der Frage der grundsätzlichen Legalisierung verkämpft, muss die Gesellschaft alles tun, um Kinder in diesem Land tatsächlich willkommen zu heißen. Und allen, die sich um diese Kinder kümmern, muss das Dasein radikal erleichtert werden. Damit wir in die Lage kommen, das Leben zu feiern, nicht die Möglichkeit zum Töten.Placeholder infobox-1



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Von Veritatis

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