Gibst du mir den Mindestlohn, geb’ ich dir Geschenke für Gastronomen – so liest sich der Koalitionsvertrag. Doch trotz der schwarz-roten Steuerpläne bleibt Deutschland weit entfernt von einem Steuersystem à la Irland oder Ungarn – zum Glück
Ein rarer Moment von Hochspannung im Koalitionsvertrag: Schwarz-Rot will die Netzentgelte mindern
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Nein, ein großer Wurf ist es nicht, was die Schwarzen und die Roten da als Ergebnis vierwöchiger Verhandlungen zu Papier gebracht haben. Moderat im Ton, ohne inzwischen übliche bramarbasierende Selbstanpreisungen – das immerhin. Viele gute Absichten im gedämpften Ton, ständig um Nachsicht werbend, bemüht, nicht allzu viel zu versprechen. Mitten im Text des neuen Koalitionsvertrages (PDF) das unübersehbar große Warnschild: Alles, worauf man sich hat einigen können, steht unter dem „Finanzierungsvorbehalt“.
Mit anderen Worten: Ohne Zustimmung des künftigen Finanzministers geht gar nichts!
Der wird, so die Absprache, künftig von der SPD gestellt. Und etwas Besseres als Christian Lindner werden die Sozis hoffentlich finden
künftig von der SPD gestellt. Und etwas Besseres als Christian Lindner werden die Sozis hoffentlich finden.Gibst du mir den Mindestlohn, geb’ ich dir Steuergeschenke für die Gastronomen und Agrarier; gibst du mir das Tempolimit, geb’ ich dir den Abbau des Solidaritätszuschlags – so liest sich der Koalitionsvertrag. Immerhin hält die Koalition an den von den Vorgängern beschlossenen Klimazielen fest. Aber reicht das, um Deutschland und seine schwächelnde Wirtschaft in die Zukunft zu führen?Ab 2028 soll die Körperschaftsteuer um ein Prozent pro Jahr sinkenIm neoliberalen Weltbild spielt der gute alte Homo oeconomicus seit jeher eine komische Rolle: Er ist zur Gliederpuppe verkommen, der man – das heißt: der Staat – „Anreize“ verpassen muss, damit er sich in die richtige beziehungsweise eine andere Richtung bewegt. Statt Unternehmer, abhängig Beschäftigte und Konsumenten als Erwachsene zu behandeln, werden ihnen kleinere oder größere Anstöße verpasst, fein dosiert nach Kassenlage. So kommen die Unternehmen in den Genuss beschleunigter degressiver Abschreibungen auf Ausrüstungsinvestitionen – jeweils 30 Prozent in den nächsten drei Jahren. Wie gehabt, wird mit Steuerersparnissen gewunken. Immerhin soll es einen speziellen Industriestrompreis für die energieintensiven Branchen geben. Ein Lieblingsprojekt der Ampel, immer wieder versprochen, nie realisiert. Nun soll diese Subvention – etwas anderes ist es nicht – also kommen. Das wird teuer, zumal die Entlastung für alle Unternehmen und Verbraucher mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde betragen soll. Energieintensive Branchen gibt es im Industrieland Deutschland so einige, und die Energiekosten sind für alle dank Pandemie und Ukrainekrieg in jüngster Zeit drastisch gestiegen und verbleiben auf hohem Niveau. Um davon runterzukommen, braucht es einen Mix von Industrie- und Preispolitik. Daran doktorierte die Vorgängerregierung herum und ist gescheitert. Die neue Koalition macht es nicht besser. Wie auch – sie hat keinen erkennbaren Plan.Die Chinesen sind der GroKo bei der E-Mobilität weit vorausAuf die gleiche kleinteilige Weise wird die E-Mobilität gefördert. Der entscheidende Punkt – der Ausbau der Ladeinfrastruktur – wird zwar genannt, aber ohne sich da besonders festzulegen. So bleibt es bei Kaufanreizen, beispielsweise durch Kfz-Steuerbefreiung für E-Autos. Alles nicht falsch. Nur: Die Chinesen können das besser. Sie haben vorgemacht, wie man nicht nur die Produktion von E-Autos innerhalb weniger Jahre in Masse wie Klasse hochfährt, sondern auch die Mehrheit der Autofahrer zum Umsteigen bewegt.Um so etwas anzupacken, braucht es den Mut, mit neoliberalen Dogmen zu brechen. Die Ampel hat das ansatzweise versucht – mit dem geplanten Aus für Verbrenner. Gegen den wütenden Widerstand der FDP. Die neue Koalition setzt wieder, wie die FDP, auf eine angebliche „Technologieoffenheit“, an der es in Deutschland noch nie gefehlt hat. Mit anderen Worten: Seine Heiligkeit, der Markt, soll es mal wieder richten.Über allem schwebt das Mantra der „Wettbewerbsfähigkeit“. Die sei verloren gegangen und müsse wiederhergestellt werden, koste es, was es wolle. Seit Jahr und Tag folgt die deutsche Wirtschaftspolitik dieser Logik – gleich, wer die Kanzlerin stellt, gleich, wie die Koalition ausfällt.Nur gibt es da ein Problem.Warum die Klagelieder über mangelnde Wettbewerbsfähigkeit nie aufhören werdenEine Wirtschaft, die derart stark auf den Export ausgerichtet ist, und zwar auf den Export in alle Welt, konkurriert mit der ganzen Welt. Wer gleichzeitig mit Unternehmen in den höchst entwickelten kapitalistischen Ländern wie den USA oder den europäischen Nachbarn und mit Unternehmen in Schwellenländern konkurrieren muss, der braucht schon eine ganz gehörige Spannweite, um auf allen Hochzeiten mittanzen zu können.Es liegt in der Natur der Sache – heißt: an Deutschlands Stellung auf dem heutigen Weltmarkt –, dass die Klagelieder über mangelnde „Wettbewerbsfähigkeit“ nie aufhören werden. Es sei denn, es gäbe tatsächlich eine wirtschaftspolitische Wende, also eine Neuausrichtung der deutschen Wirtschaft.Natürlich ist es richtig, die Energiepreise zu drücken, soweit das geht. Stromsteuern auf das EU-Mindestniveau abzusenken, die Netzentgelte zu mindern, wie Schwarz-Rot es vorhat, ist wünschenswert und machbar. Doch kratzen derlei willkommene Erleichterungen an den Symptomen herum, statt das Problem – die Zersplitterung des deutschen und des europäischen Energiemarkts zwischen einer Handvoll übermächtiger Konzerne, die jeweils „ihre“ Region zum eigenen Vorteil beackern – gründlich anzugehen. Was fehlt, sind europäische LösungenVon strategischen Beteiligungen des Bundes an strategisch wichtigen Unternehmen ist im Koalitionsvertrag zwar die Rede, aber eine politische Linie ist da nicht erkennbar. Strategische Beteiligungen im Energiesektor werden geprüft, erklären die Koalitionäre. Das kannten wir schon. Zu prüfen gibt es da nicht viel – solche Beteiligungen sind notwendig und gehören sofort umgesetzt, damit der Staat wenigstens ein bisschen Kontrolle über das Gebaren der Energiekonzerne bekommt.Dass das bei Weitem nicht reicht, liegt auf der Hand. Für alle großen Vorhaben bei Energie, Verkehr, Infrastruktur und – ja, leider – auch Rüstung sind nur europäische Lösungen sinnvoll und auf Dauer haltbar. Nach dem Vorbild von Airbus, dem weltweit erfolgreichsten Konzern im Flugzeugbau, ließe sich die grenzüberschreitende Kooperation beim Eisenbahnbau oder beim Ausbau und Betrieb von Stromnetzen organisieren.Kurz und schlecht: Den Koalitionären fehlt es an Visionen und Mut. Gute Ärzte, die dieser Mangelerkrankung abhelfen könnten, sind leider dünn gesät – und auch im neuen Bundestag nur schwach vertreten.