Die Menschen kriegen „das Fleisch zurück“: Nach der schon schwachen Ampel-Agenda kommt es nun in Sachen Tierwohl noch schlimmer. Was hilfreich und notwendig wäre, ist nur noch „bürokratisches Hemmnis“


Von vielen anscheinend auf dem Brot am meisten geschätzt

Fotomontage: der Freitag, Material: imago images


Eine dürfte das Ende der Ampel ganz besonders gefeiert haben: Michaela Kaniber. Als nämlich Cem Özdemir in der vergangenen Legislatur den Entwurf des neuen, letztlich mit dem Regierungs-Aus gescheiterten Tierschutzgesetzes vorlegte, malte sie, die bayrische Landwirtschaftsministerin, das Menetekel vom großen Höfesterben an die Wand. Dabei war schon das Papier des grünen Politikers allenfalls ein klitzekleiner Schritt hin zu mehr Tierwohl. Dass die CSU-Frau nun aller Wahrscheinlichkeit dessen Nachfolge antreten soll, verheißt zumindest für Schweine, Kühe & Co nichts Gutes.

Von Tieren ist fast keine Rede mehr

Unterstrichen werden die schlimmsten Befürchtungen in der Tierschützer:innen-Szenen überdies durch den Koalitionsvertrag. Bei dem entsprechenden Themenpassus handelt es sich um eine Reise zurück in die Steinzeit. Mit Ausnahme lediglich einer Prüfung von Videoüberwachungen von Schlachthöfen, was in der Tat aufgrund der dortigen massenweisen Verstöße gegen Tierschutzbestimmungen dringend geboten wäre, ist von den betroffenen Kreaturen an sich kaum mehr die Rede. Stattdessen will man die Entschädigungssätze bei Tierseuchen für die Landwirte anpassen und überhaupt alles, wo es um das Tierwohl geht, „praxistauglich“ machen – eine nette Vokabel, die aber Übles meint.

Denn Vorschriften zur besseren Überwachung und Standardisierung, mithin die jetzt wieder zur Reform auserkorene Tierwohlkennzeichnung, werden damit ausschließlich als bürokratische Hemmnisse umschrieben. Im Zentrum stehen allein die Landwirt:innen. Für sie soll es umfassende Erleichterungen auf Kosten der Tiere geben. Dies sieht man schon an der Textverteilung im Papier. Allein die Behandlung von Stallsystemen nimmt fast zwei Drittel des sogenannten Tierschutzkapitels ein. Kein Wort zu den Bedürfnissen von unseren Mitwesen. Sie erscheinen ausschließlich als Objekte innerhalb eines Wirtschaftszweigs mit Potenzialen zur Effizienzsteigerung.

Sie geben „den Menschen das Fleisch zurück“

Auch außerhalb des entsprechenden Passus wird der ideologische Rollback, anknüpfend an die Ära von Julia Klöckner und Alexander Dobrindt im Bundeslandwirtschaftsministerium, deutlich sichtbar. Etwa bei der Ernährung. Obgleich alle Welt weiß, dass wir tierische Produkte reduzieren müssten, um erstens die Klimaziele zu erreichen und zweitens den moralischen Ansprüchen gegenüber animalen Wesen gerecht zu werden, liest man nichts mehr von der Förderung pflanzlicher Nahrung. Abgesehen von der Willensbekundung, alternative Proteinquellen hierzulande auszubauen, setzt man wieder auf die gute, alte Trias „Freiwilligkeit, Anreize und Eigenverantwortung“ – weil die ja, ironisch gesprochen, früher schon so erfolgreich war. Das Markus Söder’sche Credo „Gebt den Menschen das Fleisch zurück!“, es durchdringt also buchstäblich jede Faser dieser Floskeltextur.

Und damit nicht genug. Auch der Wolf, dieser Dauerrandalierer, muss nun weg, wozu er jetzt ins Jagdrecht aufgenommen wird. Als brisant an dieser Formulierung erweist sich übrigens, dass letzteres mit dieser Intervention nur „punktuell“ verändert werden soll. Heißt: Jäger:innen werden weiterhin kaum überwacht, können betrunken oder mit schwindender Sehkraft auf Wild schießen, dürfen weiterhin mit Fallen und Treibjagden gegen Tierschutzbestimmungen verstoßen. Auch wenn ein Großteil dieser Bestimmungen unter die Länderhoheit fällt, wäre der Bund gut beraten gewesen, klare Konturen für den Tierschutz im Wald festzulegen.

Ein Sprachrohr der Agrarkonzerne

Bemerkenswert ist am Koalitionsvertrag somit, was alles er nicht erwähnt und unter den Tisch fallen lässt. Hier nur die ganz großen Brocken, die liegen bleiben: Die Anbindehaltung von Rindern wird nicht angegangen, gleiches gilt für die dringende Neuregelung der Tiertransporte. Zudem werden die Aufnahme des Tierschutzes in das Strafgesetzbuch und eine Stärkung der Jurist:innenausbildung zum Tierrecht voraussichtlich nicht kommen. Ebenso wenig darf man auf eine Ausweitung der Tierwohlkennzeichnung beispielsweise auf Milchprodukte hoffen. All diese Mankos und noch viele mehr summieren sich zur Erkenntnis auf, dass nicht-menschlichen Kreaturen unter dieser bevorstehenden Regierung grauenhafte Zeiten bevorstehen. Das gigantische Leid in den Schlachthöfen und den Ställen ohne Tageslicht wird weiter bestehen.

Derweil muss die konventionelle Landwirtschaft nichts befürchten. Zwar will man, so die Ankündigung, den Biolandbau stärken. Aber der Geist dieses Vertrags ist ein ganz anderer. Aus ihm spricht die Stimme der finanzstarken Agrarkonzerne und -lobby, nicht jene der Verbraucher:innen oder gar nur im Ansatz der Fürsprecher:innen für die Belange der Tiere. Klar scheint daher nur: Die kommenden vier Jahre erfordern eine starke Opposition aus Linken, Grünen sowie zivilgesellschaftlichen Kräften, um zumindest das Allerschlimmste zu verhindern.



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Von Veritatis

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