Donald Trumps Attacken auf das amerikanische Unisystem sind alarmierend – aber vorher war beileibe auch nicht alles in Butter. Ein Plädoyer für eine demokratische Kultur in Forschung und Lehre
Auch als oberster „Elitenjäger“ stellt sich Donald Trump sehr gern als Alumnus der Wharton School vor
Collage: der Freitag, Material: Midjourney
Einige Jahre lebte ich in den USA, um an einer Forschungsuni im Mittleren Westen zu promovieren – nicht an einer „top school“, sondern an einer „mittel- bis niedrigklassigen“, wie man drüben so sagt. Unter den Kulturschocks, die ich dort erlebte, stach einer besonders hervor: wie stark im amerikanischen Wissenschafts- wie Gesellschaftssystem der Wert einer Person davon abhängt, an genau welcher Institution sie studiert hat. Alle wissen: Stammt dein Zeugnis von einer Uni der Ivy League – Harvard, Yale, Princeton, Penn, Dartmouth, Brown, Cornell, Columbia – oder einer sogenannten Ivy-Plus-Institution wie etwa Stanford, Berkeley oder dem Massachusetts Institute of Technology (MIT), dann hast du gewonnen.
Doch darf man gerade jetzt kritisch da
ritisch davon berichten, wo Präsident Donald Trump die Unis aufs Korn nimmt? Wo teils buchstäblich handgreifliche und unverblümt politisch-ideologische Attacken auf die Freiheit von Hochschule und Wissenschaft stattfinden? Man darf – und sollte. Denn bei aller Solidarität mit denen, die das jetzt betrifft, und bei aller Aufmerksamkeit für die Themen, die unter Beschuss stehen, wäre der Schluss verfehlt, dass vorher alles gut war. Mehr noch: Tritt man einen Schritt zurück, fügt sich beides stimmig zusammen: Diese Frontstellung zwischen einem sich „meritokratisch“ verstehenden liberalen Elitensystem und einem wütenden, autoritären Rechtspopulismus ist ein Symbolbild der wankenden Spätmoderne in der westlichen Welt unserer Tage.Unter solchem Vorzeichen denke ich heute etwa an jene Professorin, die bei jeder Gelegenheit ihre Ivy-Plus-Promotion erwähnte – unter uns Promovierenden ein Running Gag. Oder an jenen Professor, der mir in aller Nüchternheit vermittelte, dass wir – mein Graduiertenkolleg – nicht wirklich gut seien, weil wir nicht von guten Unis kämen. Notabene wurde derlei gar nicht beleidigend vorgetragen, sondern als objektive Feststellung. Eine weitere Professorin suggerierte in einer Nachwuchs-Veranstaltung mehr oder minder, sie habe sich dort, wo wir promovierten, eigentlich nicht bewerben wollen, prädestiniere sie ihr Elite-Abschluss doch für Besseres.Der Tanz ums NamensschildUnd es ist ja etwas dran an dieser Prädestinationslehre: Wer einen Blick auf „junior hires“ wirft, also auf neu angestellte Assistenzprofs an US-Unis, stellt fest: Es sind sehr oft nicht die Forschungen oder Publikationen, die ihnen den Job verschaffen, obwohl die offizielle Ideologie das beschwört. Eher geht es primär um die Institution, an der sie promoviert haben – sowie die Institutionen jener Gelehrten, die ihre Referenzschreiben verfasst haben.Für mich war das zutiefst befremdlich. In Deutschland – wie in den meisten anderen europäischen Ländern, abgesehen von gewissen Tendenzen in Großbritannien und Frankreich – kennt man ein derart stratifiziertes Universitätssystem höchstens im Ansatz. Es wirkte bizarr, dass Menschen, die es auf Professuren geschafft hatten, weiterhin so stark von ihrer Herkunftsuniversität definiert wurden, vom Ort ihres Masters oder gar Bachelors. Noch seltsamer war, wie diese Distiktionen gespielt wurden: vergleichbar mit dem Neureichen, der ganz nebenbei seine Ferrari-Schlüssel auf dem Tisch platziert. Bemerkenswert war auch, dass die Regeln der liberalen „polite society“ es nicht verboten, Doktorandinnen ob ihrer „bescheidenen“ Bildungsherkunft zu degradieren, um sich selbst besser zu fühlen, so primitiv und kindlich das auch klingen mag.In der Wildnis der PhilosophieOffenbar bringt der psychologische Druck eines Kastensystems die hässlichen Seiten von Menschen ans Licht – auch wenn das manchmal urkomisch wirkt. Ich erinnere mich etwa an eine Szene auf einer Konferenz in Indiana. Dort lief ein Professor einer guten kalifornischen Universität mit einem Namensschild herum, das ihn mit jener Eliteschule assoziierte, wo er einst promoviert hatte. Selbst der Inhaber einer durchaus beneidenswerten Position zog derselben also den Glanz seiner Ausbildungsuni vor, um mit seinem gefühlten Abstieg aus dem akademischen Olymp „copen“ zu können. Auf derselben Konferenz kam ein anderer Professor auf mich zu. Er wolle sehen, „was die lokalen Philosophinnen so machen“. Wie ein Film-Agent ließ er sein unter dem Sakko verstecktes Namensschild kurz aufblitzen – darauf der Name einer der ganz großen Unis. Oho! Aha! Offenbar dachte der Mann, seine Safari in die „Wildnis der Philosophie“ des Mittleren Westens erfordere ein Tarnoutfit, um die „locals“ nicht zu verschrecken.Ja, das alles ist wirklich so geschehen – und im Grunde nicht schwer zu erklären: Wo Bildung so sehr eine Ware ist wie in den USA, funktioniert auch der Markt für Uniabschlüsse wie der Markt für andere Konsumgüter: nach dem Prinzip der Marke. Es kommt ja auch bei Sneakers weniger auf die stoffliche Qualität an als auf die Zuschreibungen, die das Logo aufruft. So verwundert es wenig, dass sich diese Besessenheit mit Referenzen oder „credentials“ nicht auf Akademia beschränkt. Wir haben es mit einem ausgewachsenen mandarinischen Klassifizierungssystem eines elitären Credentialismus zu tun. Er wirkt vom Bildungswesen über die Unterhaltungsindustrie bis in Politik und Wirtschaft.In zwei TV-Serien etwa, die ich mir jüngst angesehen habe, wird mehrfach erwähnt, dass die Hauptfiguren in Stanford studiert haben. Eine ist Privatdetektivin, der andere Supermarktverkäufer. Beides sind Szenarien, in denen der Stanford-Abschluss natürlich unglaublich nützlich ist. Auch in der englischsprachigen Populärwissenschaft stößt man regelmäßig auf dieses „university dropping“. Oft beginnen solche Bücher mit Passagen, in denen beiläufig erwähnt wird, wo die Autorin lehrt oder der Verfasser studiert hat: Da wird etwa ganz harmlos von einer Autofahrt nach Cambridge, Massachusetts erzählt – lies: Harvard – , oder vom Wochenmarkt in Berkeley.Credentialismus als ReligionÄhnlich scheinen zumal prestigeträchtige US-amerikanische Firmen im Bewerbungsprozess in fast schon erster Linie auf „Top-Universitäten“ zu achten. Wunderbar karikiert wird dies etwa in einem Segment aus John Olivers Late Show ‚Last Week Tonight‘, in dem es um die Unternehmensberatung McKinsey geht: „Der beste Teil meiner Harvard-Ausbildung“, spottet da ein Darsteller, „war der Ausdruck auf den Gesichtern der Leute, wenn ich sagte: ‚Ich studiere in Harvard.‘ Ich liebe es, zu Gruppen zu gehören, die andere beeindrucken.“Längst also trägt dieser Credentialismus alltagsreligiöse Züge. Selbst in die Umgangssprache hat er sich eingeschrieben. Fast überall – selbst in Großbritannien mit der Ausnahme von Oxbridge und einzelnen anderen Elite-Institutionen – bezieht man sich eher generisch auf Universitätserfahrungen oder nennt etwa den Namen der betreffenden Stadt. Man hat also „in Frankfurt studiert“, nicht „an der Goethe-Universität“. Im amerikanischen Umgangs_englisch hingegen ist es weithin üblich, den Namen der Institution zu nennen. So beginnen dann Anekdoten oft mit „back at Stanford“ oder „I had a professor at Harvard“. Diese Sprechpraxis beginnt sich zwar auch auf weniger prestigeträchtige Institutionen zu beziehen, doch geht sie wohl eindeutig von Alumni der sogenannten Eliteuniversitäten aus.Da kann es kaum verwundern, dass die „Top-Universitäten“ auch im politischen Selbstmarketing prominent sind. Und zwar auch bei Leuten wie etwa dem republikanischen Senator Ted Cruz, der seinen „volkstümlichen“ Anspruch schon mal in einen Wahlspot gießt, in dem er mit dem heißgeballerten Lauf seiner Schnellfeuerwaffe Schinken brät. Und selbstredend verschweigt auch der oberste Elitenjäger, Donald Trump himself, mitnichten, dass er an der Wharton School der Penn studiert hat und sein Onkel John Trump einst Professor am MIT war. Womit wir quasi wieder am Anfang wären.KastensystemeSeit jeher und stets zunehmend verkörperte das Bildungssystem der USA ein Kernzeichen des Neoliberalismus: eine technokratische Elitenherrschaft, die durch diesen Credentialismus rechtfertigt und fortschreibt: Die Kinder der Mächtigen studieren an Eliteuniversitäten, und die Managerklasse tut es ihnen gleich. Forschende wie Kulturschaffende an und von diesen Eliteuniversitäten sind zutiefst von deren elitären Dogmen beeinflusst. Und der Neoliberalismus liebt Kastensysteme, ob tatsächlich „meritokratisch“ oder nicht. Sie unterminieren gesellschaftliche Kohäsion und spalten Gesellschaften in Blöcke, die nicht gemeinsam agieren können oder wollen.Und nun steht alldem eine falsche Alternative gegenüber. Eine reaktionäre Agenda, die nicht etwa Schranken aufheben und Dünkel verblassen lassen will, indem sie No-Name-Unis im Mittleren Westen anerkennt und fördert. Wenn der stolze Penn-Alumnus Trump die „Eliteunis“ angreift – wegen ihrer Diversitätsprogramme oder vermeintlich unpatriotischer Lehrinhalte, wenn nicht gar „terroristischer“ Umtriebe unter Studierenden –, geht es ja nicht um das Prinzip des Elitismus, sondern darum, die Eliten auf Linie zu bringen. Der Präsident hasst nur die „kulturliberalen“ Eliten, die wirtschaftlichen bewundert er. Der Trumpismus entkleidet auf diese Weise die Elitenherrschaft ihres Beiwerks und will die soziale Zerklüftung bei allem volksnahen Gebrüll noch weiter vertiefen.Schleichende Neoliberalisierung auch in DeutschlandDas US-amerikanische Universitäts- und Wissenschaftssystem versinnbildlichte also bis in die jüngste Zeit den Neoliberalismus in seiner reinsten Form. Nun aber droht es zu einer Bühne zu werden, auf der ein Übergang von einem verbrämt elitären Neoliberalismus zu einem ganz unapologetisch elitären Autoritatismus quasi exemplarisch aufgeführt wird.Was aber lernen wir auf unseren Zuschauerbänken? Auch Deutschland wurde, wie viele kontinentaleuropäische Länder, schleichend neoliberalisiert. Das zeigt sich auch im Hochschulwesen: Nicht nur darin, dass allerlei Rankings an Bedeutung gewinnen und allenthalben von „Exzellenz“ und „Eliteuniversitäten“ die Rede ist. Sondern auch darin, dass selbst in Deutschland deutsche Abschlüsse und Institutionen – zu schweigen von Deutsch als Wissenschaftssprache – gegenüber transatlantischen Äquivalenten massiv an Anerkennung verlieren. Ist dies eine Folge epistemischer Überlegenheit des US-Systems? Oder geht es eher um geschicktes Marketing und sozialdistinktive Mechanismen?Während der neoliberale Credentialismus in seinem Mutterland vor einer autoritären Umformung stehen könnte, ist er gerade dabei, den Ozean zu überqueren. Bei allem Entsetzen über die trumpistischen Attacken auf Wissenschaft und Universitäten sollte uns auch diese Entwicklung bedenklich stimmen. Noch ist es in Deutschland nicht so wichtig, an welcher Uni man forscht oder studiert. Ist uns an demokratischer Wissenschaftskultur gelegen, sollten wir uns nicht nur gegen mögliche Attacken à la AfD wappnen. Sondern auch dafür sorgen, dass das so bleibt.Alexander Jeuk ist Philosoph und Publizist. Er hat in Cincinnati, Ohio, promoviert