Bundesbildungsministerin Karin Prien hatte in einem kürzlichen Interview gegenüber BILD erklärt, es gäbe über 200.000 Palästinenser in Deutschland, dies seien „mehr, als wir Juden haben“, und diese Palästinenser seien laut ihr „offensichtlich ordentlich radikalisiert“. Darauf intervenierte der palästinensische Botschafter in Deutschland, Laith Arafeh, äußerte seine tiefe Beunruhigung über die „anti-palästinensischen Rassismus“ verstärkenden Äußerungen der Ministerin und forderte diese auf, ihre Aussagen zurückzunehmen und Kontakt zur deutsch-palästinensischen Community aufzunehmen. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, ob die Bildungsministerin die Äußerungen des Botschafters zur Kenntnis genommen hat und ob sie plant, dessen Aufforderung nachzukommen. Von Florian Warweg.
Hintergrund:
In dem Interview am 28. Juni erklärte die Bundesbildungsministerin im Videoformat BILD Talk unter dem Titel „So werden Deutschlands Schüler wieder besser“ auf die Frage nach Antisemitismus in deutschen Schulen (ab Minute 08:31):
„Wir haben schlicht in Deutschland eine riesengroße palästinensische Community. Die ist auch über Jahrzehnte gewachsen. Ähm, wir haben rund 200.000 Palästinenser in Deutschland, wir haben allein hier in Berlin 40.000 Palästinenser, die hier leben. Die sind offensichtlich ordentlich radikalisiert durch ihre entsprechenden Communities, mich stört das sehr. Aber wir müssen die Schulen in der pädagogischen Ausbildung so schulen, dass sie auch Extremisten ordentlich in die Schranken weisen können.“
Diese zweifellos für eine Bildungsministerin sehr generalisierenden Aussagen nahm der palästinensische Botschafter in Deutschland zum Anlass, um zwei Tage danach in einer umfangreichen Stellungnahme auf X sich gegen die Aussagen der Ministerin zu verwehren, sie aufzufordern, „diese Aussagen unverzüglich zurückzuziehen“ und an sie zu appellieren, den Dialog mit Mitgliedern der palästinensisch-deutschen Gemeinschaft zu suchen:
„Wir sind zutiefst beunruhigt über kürzlich getätigte Äußerungen einer Bundesministerin, die die palästinensische Gemeinschaft in Deutschland als „radikalisiert“ bezeichnete. Solche Aussagen sind nicht nur schädlich und ungenau, sondern verstärken auch anti-palästinensischen Rassismus. Und sie bergen die Gefahr, Vorurteile zu schüren, insbesondere angesichts des zunehmenden xenophobischen Verhaltens, das systematisch Menschen palästinensischer Herkunft in Deutschland betrifft.
Ebenso beunruhigend ist der Vergleich der Größe der jüdischen und palästinensischen Gemeinschaften in Deutschland. Diese Darstellung ist bedauerlich, da sie einen lokalen Konflikt zwischen zwei Gruppen impliziert, die seit langem Seite an Seite als gleichberechtigte Bürger leben. Solche Narrative verzerren die Realität und säen Misstrauen, anstatt das Verständnis zu fördern, das heute dringend erforderlich ist.
Es muss auch anerkannt werden, dass die fortgesetzten Vergehen Israels im besetzten palästinensischen Gebiet weltweit weiterhin die Emotionen der Menschen anheizen. Dies schließt viele Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft ein, die — geleitet von Engagement für Gerechtigkeit und Menschenrechte — oft Seite an Seite mit ihren Mitbürgern palästinensischer Herkunft gegen die Aggression und Besatzung Israels demonstrieren. Diese breite und prinzipiengeleitete Forderung nach Gerechtigkeit als „Radikalisierung“ zu reduzieren, ist sowohl irreführend als auch ungerecht.
Wir fordern die Ministerin auf, diese Aussagen unverzüglich zurückzuziehen. Wir appellieren auch an die Ministerin, den Dialog mit Mitgliedern der palästinensisch-deutschen Gemeinschaft zu suchen, um ein Verständnis für die Vielfalt, die zivilen Beiträge und das tiefe Engagement für ein friedliches Zusammenleben der Gemeinschaft zu gewinnen. All das steht im direkten Widerspruch zu den getätigten Aussagen.
Während wir die Aufrufe der Bundesregierung zu einem sofortigen Waffenstillstand, zum Ende der illegalen Besatzung Israels und zur Unterstützung der Zwei-Staaten-Lösung anerkennen, fordern wir sie auf, ihre diplomatischen Bemühungen zu intensivieren, um diese Ziele zu verwirklichen, die den einzigen realistischen Weg zu einem gerechten und dauerhaften Frieden in der Region darstellen.“
Wir sind zutiefst beunruhigt über kürzlich getätigte Äußerungen einer Bundesministerin, die die palästinensische Gemeinschaft in Deutschland als „radikalisiert“ bezeichnete. Solche Aussagen sind nicht nur schädlich und ungenau, sondern verstärken auch anti-palästinensischen…
— Laith Arafeh 🇵🇸 (@ArafehLaith) June 30, 2025
Diese Stellungnahme des palästinensischen Botschafters wurde, das geht aus den Antworten des Ministeriums auf die Anfrage der NachDenkSeiten hervor, bis zum heutigen Tag von Bundesbildungsministerin Prien komplett ignoriert. Weder korrigierte sie ihre generalisierenden Aussagen zur angeblichen Radikalisierung aller Palästinenser, noch nahm sie das Angebot zur Kontaktaufnahme mit der deutsch-palästinensischen Gemeinschaft an. Die Begründung hierfür ist mehr als bezeichnend:
„Neben einem Kommentar des Palästinensischen Botschafters, S.E. Laith Arafeh, auf X ist uns keine Einladung zum Gespräch bekannt, auf die die Ministerin hätte reagieren können.“
Das heißt die Ministerin lässt verlautbaren, da der Appell nur auf dem X-Kanal des Botschafters veröffentlicht worden sei, müsse sie darauf nicht reagieren. Wie dürftig dieses „Argument“ ist, lässt sich allein durch das Gedankenexperiment aufzeigen, wie die Ministerin auf eine ähnlich gelagerte Stellungnahme auf X des israelischen oder US-amerikanischen Botschafters in Deutschland reagiert hätte. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie diese ebenfalls in derselben Form ignoriert hätte, tendiert gegen Null.
Die Bildungsministerin und X…
Das Verhalten von Karin Prien auf X wirft zudem weitere Fragen auf. Exemplarisch sei auf den 29. Juni verwiesen, nur ein Tag nach ihrem Skandal-Interview bei BILD. An diesem Tag hatte die amtierende Bildungsministerin in Anspielung auf den völkerrechtswidrigen Angriff der USA auf den Iran auf Ihrem X-Account, der den Vermerk „verifizierter staatlicher Account“ trägt, den Beitrag eines bekannten pro-zionistischen-Aktivisten (Andreas Hallaschka) mit dem Foto eines B-2 Bombers in Hefezopf-Form und dem Text „Schabbat Schalom“ retweetet.
Auch dies sorgte für viel Kritik. Zahlreiche Beobachter und auch Stimmen aus dem politischen Raum hinterfragten die Neutralität und Vorbildfunktion der Ministerin, etwa der Menschenrechtsaktivist Alex Reimann oder auch die Bundestagsabgeordnete (Linkspartei) Nicole Gohlke:
Völlig normales Verhalten für eine Familien- und Bildungsministerin @BMBFSFJ @PrienKarin pic.twitter.com/Yo7JpfivtD
— Alex Reimann (@realAlexReimann) June 29, 2025
Als Bildungs- & Familienministerin verherrlichende Inhalte von US-Bombern zu teilen, die aktuell hunderte Zivilist:innen im Iran töten, ist ein absolutes No-Go.
Karin Prien sollte sich schleunigst erklären und den retweet löschen! pic.twitter.com/cjvpd8fdBH— Nicole Gohlke (@NicoleGohlke) June 30, 2025
Dieser Repost ist keine Ausnahme, sondern eher die Regel. Der offizielle X-Account der Bundesbildungsministerin ist seit Monaten dominiert von pro-israelischen, pro-zionistischen Stellungnahmen von Vertretern der israelischen Regierung, des Zentralrats der Juden sowie von geteilten Beiträgen von Volker Beck, dem Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Allen gemeinsam: Der Versuch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Israels gegen den Iran zu rechtfertigen:
Welcher Schüler, welcher Student, welcher Lehrer soll diese Bildungsministerin vor diesem Hintergrund ihres Agierens auf X noch als unvoreingenommen wahrnehmen? Und wie lassen sich dieses Post und Reposts mit dem Neutralitätsgebot einer Bundesministerin vereinbaren? Fragen über Fragen…
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 7. Juli 2025
Frage Warweg
An das Bildungsministerium: Bundesbildungsministerin Karin Prien hat gegenüber den Kollegen von Springer bzw. der „BILD“ kürzlich erklärt, es gebe über 200 000 Palästinenser in Deutschland. Dies seien mehr, als wir Juden hätten, und diese Palästinenser seien laut ihr „offensichtlich ordentlich radikalisiert durch ihre Communities“. Im weiteren Verlauf stellte sie noch alle Palästinenser in Deutschland mindestens implizit als Extremisten dar. Daraufhin intervenierte der palästinensische Botschafter in Deutschland, Laith Arafeh, und äußerte seine tiefe Beunruhigung über die nach seinen Worten Rassismus verstärkenden Äußerungen der Ministerin, und er forderte sie auf, ihre Aussage zurückzunehmen und Kontakt zur deutsch-palästinensischen Community aufzunehmen. Da ich diesbezüglich nichts mehr gehört habe, würde mich interessieren: Hat Frau Prien die Äußerungen des Botschafters mittlerweile zur Kenntnis genommen, und plant sie, auf seine Forderung einzugehen?
Lenz (BMBFSFJ)
Vielen Dank für die Frage. – Ich würde gerne grundsätzlich noch einmal sagen, dass die Äußerungen der Ministerin Teil eines längeren Interviews waren, in dem sie im Zusammenhang zu weiteren Aussagen stehen. In demselben Interview – das ist einfach nur ein paar Zeilen weiter – wirbt die Ministerin auch für Verständnis für die palästinensische Sicht auf den Nahostkonflikt.
Karin Prien spricht sich immer wieder sehr klar gegen jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit aus, so zum Beispiel auch in ihrer Rede vor dem Deutschen Bundestag am 15. Mai. Da sagte sie:
„Demokratie funktioniert nur, wenn Demokraten das Gespräch suchen, auch, um das Verbindende zu finden. Aber ich sage auch sehr deutlich: Das wird nur dann funktionieren, wenn wir jeder Form von Antisemitismus, Rechtsextremismus, Islamismus, Linksextremismus den Kampf ansagen. Das gilt ebenso für jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, von Fremdenhass, Frauenverachtung und Diskriminierung von Minderheiten, und das in aller Konsequenz.“
Das ist das, was ich dazu sagen kann.
Zusatzfrage Warweg
Meine Frage – ich hoffe, Sie haben sie richtig verstanden – war aber, ob sie auf die Kritik und die Forderung des Botschafters eingegangen ist. Das ist ja keine Kleinigkeit; da hat sich der palästinensische Botschafter öffentlich an Frau Prien gewandt. Mich würde interessieren, ob sie diese Kritik wahrgenommen hat und auch plant, auf seine Forderung einzugehen, oder ob sie diese komplett ignorieren will.
Lenz (BMBFSFJ)
Dazu liegen mir zum jetzigen Zeitpunkt keine Erkenntnisse vor.
Zusatzfrage Warweg
Können Sie das bitte nachreichen?
Lenz (BMBFSFJ)
Kann ich machen.
Schriftliche Nachreichung des Bundesbildungsministeriums am 8. Juli 2025:
„Bundesministerin Karin Prien spricht sich immer wieder klar gegen jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit aus. Die besagten Äußerungen der Ministerin, sind Teil eines längeren Interviews, in dem sie im Zusammenhang zu weiteren Aussagen stehen. So wirbt die Ministerin im selben Interview auch für Verständnis für die palästinensische Sicht auf den Nahost-Konflikt. Neben einem Kommentar des Palästinensischen Botschafters, S.E. Laith Arafeh, auf X ist uns keine Einladung zum Gespräch bekannt, auf die die Ministerin hätte reagieren können.“
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 07.07.2025