Interessiert an einer Art Reiseführer zu überirdischen Orten? Ein wunderbarer Atlas führt zu den „Welten des Jenseits“

Illustration: Ausschnitt aus dem Cover


Düsterer November mit seinen Totenfeiern: Aber dieses Buch, Lesern empfohlen ab zehn Jahren, ist glänzend und prächtig. Was Emily Hawkins und dem in Bangkok lebenden Illustrator Manasawee Rojanaphan zu verdanken ist. So wunderbar sind uns die verschiedenen Totenreiche ausgemalt, wie sie in der Fantasie von uns Menschen seit jeher existierten, und das wohl auf ewig.

Ewig: Dass zumindest unsere Seelen weiterleben, manchmal möchte man es sich erträumen. Auch wenn einem klar ist, dass es unsere Endlichkeit ist, die den Antrieb bildet für unsere Taten, unseren Glauben, unsere Fantasien. Aus diesem Konflikt wurden die Geschichten geboren, die in diesem Buch versammelt sind. Das Erstaunliche ist, dass es sie überall auf der Welt gibt, dass sie in unterschiedlicher Weise erzählt werden, dass sie sich aber auch gleichen. Niemand verschwindet wirklich, sondern jeder bewegt sich nach dem Tode irgendwohin: in den Hades, die Unterwelt der alten Griechen, nach Svarga zwischen den sieben Himmeln bei den Hindus, in ein mystisches Unterwasserreich bei den Inuit oder zu einem Ort jenseits des Ozeans wie im japanischen Shintoismus. Meist wird eine Auswahl getroffen zwischen den Seelen. Christlicher Himmel oder Hölle, so was gibt es auch bei anderen Glaubensrichtungen. In der altägyptischen Unterwelt wird das Herz des Reisenden von Gott Anubis gewogen. Im Islam hat der Mensch zwei Engel, welche die guten und die schlechten Taten vermerken.

Grenzübertritte

Immer ist auch eine Grenze zu überschreiten – über die Himmelsleiter oder, so eine Überlieferung der Sumerer, über eine Treppe, die im Zagros-Gebirge in die Tiefe führt, den Geisterpfad der Milchstraße wie bei den Lakota in Nordamerika oder über eine gefährliche Brücke wie im persischen Zoroastrismus. Für reine Seelen weitet sie sich, für die anderen wird sie scharf wie eine Schwertklinge, sodass sie in die Tiefe stürzen. Eine Auswahl, die den Lebenden zur Warnung gereicht. Aber wäre es wirklich so und würde man an Wiedergeburt glauben, müsste sich die Menschheit inzwischen auf eine Weise vervollkommnet haben, dass wir auf Erden das Paradies hätten. Und dann sind auch noch diverse Geister unterwegs: in Deutschland und Großbritannien bei der Wilden Jagd oder auf einem geisterhaften Seelenschiff in der Bretagne.

Und was wünschte ich mir? Die „Anderswelt“ der Kelten? Aber eigentlich sind mir die slawischen Völker näher, die an einen Kreislauf des Lebens glauben und an „Vyrai“, einen Paradiesgarten jenseits der aufgehenden Sonne. Der sieht so wunderschön aus im Buch – mit Schmetterlingen, einem Storch, der als Führer zwischen den Welten gilt, einem feurigen Falken, der das Tor bewacht, und zwei Vogelfrauen auf dem Weltenbaum, Alkonost und Sirin: „Wer ihre Gesänge hörte, vergaß alles.“

Aber eigentlich sehnt man sich doch, etwas mitzunehmen von den eigenen Erfahrungen, den Menschen wiederzubegegnen, die man liebt. Emily Hawkins findet tröstliche Worte: „Am Ende wird das Leben nach dem Tod immer ein Geheimnis bleiben.“ Und sie zitiert Rabindranath Tagore: „Sterben ist das Auslöschen der Lampe im Morgenlicht, nicht das Auslöschen der Sonne.“



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Von Veritatis

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