Im BSW rumort es nach internem Machtkampf republikweit: Wird Katja Wolf zur neuen Hoffnungsträgerin? Beim Parteitag in Thüringen jedenfalls hat sie den Bundesvorstand um Sahra Wagenknecht nach allen Regeln der Kunst ausgespielt


Das Bündnis Sahra Wagenknecht beginnt, sich von seiner Namensgeberin zu emanzipieren

Foto: Chris Emil Janßen / Imago


Eigentlich weiß Oskar Lafontaine, wie man einen Parteivorstand verdrängt. Mit feuriger Rede löste er 1995 Rudolf Scharping als SPD-Chef ab, ihretwegen gilt der Parteitag in Mannheim als legendär. Nach dem Thüringer Landesparteitag 2025 von Lafontaines heutiger Partei war auch ein Parteivorsitzender sein Amt los. Doch aufgegeben hatte es Steffen Schütz schon zwei Tage vorher, und von den Reden in Gera erinnerlich bleiben wird am ehesten seine. Ihre sarkastische Pointe galt Lafontaine. Der habe in seiner Karriere zeitweise vier politische Ämter gleichzeitig ausgeübt und sei dabei noch Vater zweier Kinder geworden, so Schütz: „Das nötigt mir Respekt ab.“

Keine Postenhäufung, eine Trennung von Amt und Mandat: Das hatte die BSW-B

28;ufung, eine Trennung von Amt und Mandat: Das hatte die BSW-Bundesspitze um Lafontaines heutige Frau Sahra Wagenknecht verlangt, als hätte sie sich plötzlich der guten Sitten von Linkspartei und Grünen erinnert. Das zielte auf Schütz und vor allem dessen Co-Chefin Katja Wolf, beide Minister in Erfurt. Ein Landesvorstand ohne Verantwortung in der Brombeer-Regierung mit CDU und SPD solle für schärfere BSW-Profilierung sorgen und hätte mehr Zeit für den Parteiaufbau.Brandenburgs Finanzminister Robert Crumbach ging mit gutem Beispiel voran und kündigte seinen Verzicht auf den BSW-Landesvorsitz an. Brandenburg ist Berlin nicht nur geografisch näher als Thüringen, den Parteiaufbau dirigiert dort ein früherer Mitarbeiter Wagenknechts. Zudem hat die Aufstellung eines Landeshaushalts den Finanzminister in Potsdam zuletzt erkennbar stärker ausgelastet als die Finanzministerin in Erfurt.Die bleibt anders als Crumbach Landeschefin, in Gera bestätigten Wolf rund zwei Drittel der knapp 100 anwesenden Mitglieder im Amt. Zur Legende taugt, wie sie und Schütz dabei die Bundesspitze nach allen Regeln der politischen Kunst ausgekontert haben. Vielleicht blitzte noch nie die Möglichkeit eines BSW, das mehr ist als allein Sahra Wagenknecht, so auf wie hier.Bierfrust beim Aktivistentreffen in MünchenAls eine Erklärung mag gelten, dass die Bundesspitze um Wagenknecht, Amira Mohamed Ali und Christian Leye in den vergangenen Wochen mit kaum etwas anderem beschäftigt war als der Vorbereitung des BSW-Einspruchs gegen die Bundestagswahl. Nur 9.529 Stimmen fehlen für den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. Die Zahl der nachträglich zugunsten des BSW korrigierten Stimmen ist hoch, die der dabei überhaupt überprüften Wahlbezirke niedrig und die Annahme, die verlangte Komplettneuauszählung könnte zum Bundestagseinzug des BSW führen, plausibel. Am letzten Tag der Frist reichte Mohamed Ali die Einspruchsunterlagen beim Wahlprüfungsausschuss des Bundestags ein.Doch in dem sitzen die jetzt im Bundestag vertretenen Fraktionen. Wann und wie sie und womöglich im Anschluss das Bundesverfassungsgericht entscheiden werden, weiß niemand. Während die Bundesparteizentrale also Wähler-Meldungen über Ungereimtheiten nachrecherchierte, sie in Excel-Tabellen eintrug, bei Kreiswahlleitern oft vergeblich Daten nachfragte, blieben viele Mitgliedsanträge aus den Landesverbänden liegen. Über die entscheidet beim BSW weiter nur Berlin, Katja Wolf fordert die Befugnis dazu für die Landesvorstände. Dafür war ihr in Gera der Applaus von fünf Dutzend Unerschütterlichen in den hintersten Reihen sicher. Dort hatten Unterstützer zu sitzen, die auf Mitgliedschaft und Stimmrecht noch warten.Vielerorts hat die Frustration zuletzt erheblich zugenommen, beobachten ließ sich das etwa jüngst bei einem „Aktiventreffen“ des BSW in Oberbayern. In einem Brauhaus im Zentrum von München versammeln sich an einem Samstagmorgen circa 60 Menschen. Die Stimmung ist, trotz Weißbierkonsums, angespannt. Denn auch hier im Süden steht die „M-Frage“ im Vordergrund: Wer wird Mitglied? Wer nicht? Und wer muss sich noch gedulden? In Oberbayern gibt es Stand Anfang April 38 Mitglieder, bis zum Sommer soll die Zahl auf maximal 249 anwachsen. Man werde eine „Aufnahmepartei“ bleiben, die behutsam wächst und die Menschen kennenlernen will, so die Ansage. Als ein Mitglied des Landesvorstandes dem sowieso schon wütenden Saal erklärt, dass es zwischen Mitgliedern und Unterstützern im Wahlkampf keine Unterschiede gegeben habe, außer dass die einen Beiträge zahlen und die anderen nicht, platzt einem Unterstützer der Kragen: „Die Leute fühlen sich anders“, brüllt der Mann mit wehendem Kopfhaar. „Wir möchten einfach nicht mehr!“Insgesamt 1.200 neue Mitglieder will der Bundesvorstand bis Ende April aufgenommen haben. Als heikel gilt, wo es wie viele Mitglieder werden und ob das BSW so zur reinen Ost-Partei wird, womöglich mit besonders stark vertretenem Thüringen.Wolf und Schütz bei der Beerdigung eines Unterstützers, der nie Mitglied wurdeDort in Gera führten Wolf und Schütz fast wortgleich drastisch vor Augen, wohin eine bisher verwehrte Mitgliedschaft führen kann: „Ich möchte nie wieder bei der Beerdigung eines Menschen stehen, der mit mir bei sengender Hitze Unterschriften gesammelt hat, damit wir antreten können, der unzählige Plakate aufgehängt hat und dessen Hinterbliebene mir dann erzählen, sein sehnlichster Wunsch ist nicht erfüllt worden“, sagte Wolf.Das saß, ebenso wie der Kompromisskandidat, den die beiden nach Schütz’ Rückzug aus dem Hut gezaubert hatten: Gründungsmitglied in Thüringen, Mann der Basis ohne Regierungsverantwortung, Mitglied der „AG Frieden“: Vor allem aber ist Gernot Süßmuth erster Konzertmeister der Staatskapelle Weimar – ein renommierter Geiger aus Wagenknechts geliebtem Weimar, wo sie im Goethe-Haus schon als Schülerin jobbte.Er sei mit Wagenknecht „nicht Hand in Hand durchs Goethe-Haus geschritten“, hatte Süßmuth dem Freitag gesagt: „Aber sie weiß, wer ich bin und ich hoffe, sie schätzt mich auch.“ Er wolle im BSW Brückenbauer sein.Über diese Brücke ging Generalsekretär Leye in Gera nicht. Er schritt stattdessen die gewaltigen Weiten des Außenbalkons des Kultur- und Kongresszentrums ab, immer mit dem Telefon am Ohr. Zum Abblasen des Angriffs auf Wolf rangen er und seine Bundesvorstandskolleginnen sich nicht durch. Am Fuße des Ostmoderne-Baus warb die AfD derweil mit einem Stand in der Fußgängerzone um Passanten.Nachts zuvor hatte Leye auf der Autobahn aus Thüringen die Order erreicht, doch kein „Grußwort“ zu sprechen, aber bitte einen „Bericht des Bundesvorstands“ abzuliefern. Den beschränkte Leye auf „Wir machen weiter, Sahra Wagenknecht macht weiter“, um dann nach Dank für die „Selbstlosigkeit“ von Schütz auf dem Abdanken Wolfs zu beharren. Doch Wolf steckte die von Leye und Wagenknecht unterstützte Kandidatin auch rhetorisch in die Tasche. Für letztere, die Landtagsabgeordnete Anke Wirsing, wäre der Landesvorsitz neben Kreistags- und Stadtratsfraktionsvorsitz übrigens das vierte Amt gewesen. Für Wolfs neuen Co-Chef Süßmuth ist es das erste. Der Weimarer Geiger wurde wie sie von knapp zwei Dritteln der Mitglieder gewählt, ohne Gegenkandidat. Nun hatte das Herausforderer-Lager zurückgezogen.„Sahra Wagenknecht macht weiter“„Sahra Wagenknecht macht weiter“ galt im BSW zuletzt allenthalben als gesetzt. Wie sie das zu tun gedenke, blieb unklar. Nur dass sie nicht noch ein Jahr erleben will, in dem sie kein einziges Buch zu Ende liest, ließ Wagenknecht erkennen. Schriebe sie selber ein neues, könnten die Erlöse der Parteikasse helfen. Die Mandatsträgerbeiträge aus dem Bundestag fallen weg, die aus Landesparlamenten, -ministerien und Europaparlament werden im BSW-internen Finanzausgleich wichtiger. Landtagsabgeordnete wie Wolf und Schütz führen zehn Prozent an die Partei ab, bei Ämterhäufung als Minister klingelt die Kasse doppelt.Auch der Europaabgeordnete Thomas Geisel leistet seinen Beitrag. Er war eine jener Wagenknecht-Bekanntschaften, die im Mix mit ehemaligen Linken-Mitgliedern den Ursprungskern des BSW bildeten. Doch auf dem Thüringer Landesparteitag ergriff Düsseldorfs ehemaliger SPD-Oberbürgermeister als Bekanntschaft der ehemaligen Eisenacher Oberbürgermeisterin Katja Wolf für deren Sache das Wort.Die Allianzen verändern sich, das Ringen um die Zukunft des BSW ist nicht auf Erfurt, Berlin und Saarbrücken beschränkt. Seine Dynamik werden sie vor den Landtagswahlen 2026 in Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern interessiert registrieren. Das BSW im Nordosten besuchte gerade Bundeschefin Mohamed Ali. Die Parteifreunde dort mischen gerade mit Haustürwahlkampf à la Linkspartei um das Neubrandenburgs Oberbürgermeisteramt mit. Zur Linken rübergemacht hat allerdings gerade der BSW-Fraktionschef in der Rostocker Bürgerschaft, wegen der das BSW kontrollierenden „inneren Zirkel“.Indessen weilt Thüringens Finanzministerin Wolf dieser Tage in Sachsen, um die dort oppositionelle BSW-Fraktion für die Haushaltsverhandlungen zu schulen. Denn deren Stimmen müssen der Minderheitsregierung aus CDU und SPD etwas wert sein. Gute Ratschläge hätte Wolf sicher auch zur Emanzipation eines Landesverbands von seiner Bundespartei zu bieten.



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Von Veritatis

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