Deutschland müsse wieder mehr arbeiten, sagt Friedrich Merz. Weiß er, wie das klingt? Eine Erinnerung an eine Kindheit voller Blasen an den Händen und Abwrackprämien, die alles schlechter machen
Schon einmal wollten SPD und CDU gemeinsam die Wirtschaft retten. Damals hieß es Abwrackprämie
Illustration: Julia Specht für der Freitag
Meine Füße taten weh, ich hatte Blasen vom Eisportionierer an den Händen. Die Sonn- und Feiertage waren Gold für uns. Weil ich an diesen Tagen stundenlang bunte Biene-Maja-Becher in Glasgefäßen zubereitete und mir dadurch die Klassenfahrt leisten konnte. Für meine Mutter bedeutete die Arbeit an den Feiertagen einen zusätzlichen Schichtzuschlag.
Führende Ökonomen stellen nun zur Debatte, einen Feiertag zu streichen. Zur Rettung der Wirtschaft! Im Koalitionsvertrag ist die Deregulierung der gesetzlichen Arbeitszeit festgehalten. Die Zeiten des Paradieses seien vorbei, sagt der Kanzler in spe, Friedrich Merz. Große Reformen, riesige Einsparmöglichkeiten! Deutschland müsse wieder mehr arbeiten, mehr leisten.
Wenn meine Mutter f
gulierung der gesetzlichen Arbeitszeit festgehalten. Die Zeiten des Paradieses seien vorbei, sagt der Kanzler in spe, Friedrich Merz. Große Reformen, riesige Einsparmöglichkeiten! Deutschland müsse wieder mehr arbeiten, mehr leisten.Wenn meine Mutter für die Spätschicht eingetragen war, wurde ich für das Abendessen eingespannt. In den Schränken unserer abgenutzten Einbauküche lagerte ein Sammelsurium aus alten, zerkratzten und matten Tellern. Einige hatten abgeschlagene Ecken. Wenn ich auf unseren gedeckten Holztisch starrte und gedankenabwesend an der Rinde einer Brotscheibe kaute, schämte ich mich für die unterschiedlichen Teller, die Formen und abweichenden Größen vor uns. Ich sehnte mich nach den einheitlichen Tellern und Schüsseln, wie sie die Abendbrottische einiger Klassenkameraden schmückten. Weiß, aus Porzellan.Schon einmal wollten SPD und CDU gemeinsam die Wirtschaft retten. Damals hieß es Abwrackprämie. Ein Geschenk an die Mittelschicht, das Milliarden an Steuergeld kostete.In dieser Zeit fuhren wir einen roten Ford Fiesta. Baujahr 1989. Jeden Morgen, wenn der Motor zum Schichtbeginn ansprang, rußte es schwarz aus dem Auspuff heraus. Kurz nachdem die Abwrackprämie 2009 eingeführt wurde, schaffte es der ausgefahrene Ford nicht mehr durch den TÜV. Auf den Straßen sah man plötzlich überall fabrikneue Autos. Gleichzeitig landete unser völlig lädierte Ford in der Schrottpresse neben Autos, die teils erst neun oder zehn Jahre alt waren. Weil viele Autohalter ihre Gebrauchtwagen abwrackten, um die 2500 Euro für einen umweltfreundlichen Neuwagen einzustreichen. Für unseren roten, rußigen Ford wollte niemand eine Abwrackprämie zahlen, denn an einen Neuwagen als Ersatz war nicht zu denken.Einheitliche Teller aus weißem PorzellanDoch auch bei den Gebrauchtwagenhändlern gingen wir leer aus. Das Abwracken funktionstüchtiger Autos hatte den Markt für gebrauchte Kleinwagen in unserer Preisklasse leergefegt. Die Abwrackprämie zur Rettung der Wirtschaft war für uns ein wirtschaftlicher Totalschaden. Die Preise für alte Passats, Nissan Micras oder VW Golfs wurden künstlich in die Höhe getrieben. Inmitten der subventionierten Neuwagen gingen wir wieder zu Fuß.Ich kaute weiter auf der zähen Brotrinde herum und musste an das Geschirr eines Schulfreundes denken. Einheitliche Teller aus weißem Porzellan. Jeder Tellerrand hatte eine andere Farbe. Gelb, Orange, Blau, Grün, Rot. Sie waren so ausnahmslos gleich geformt, dass sie sich einen bunten Rand erlauben konnten. So normiert und identisch, dass sie unterschiedlich sein durften. Ihr aus der Reihe tanzen war ein Akzent. Eine mutige Entscheidung. Ich legte den harten Teil der Brotrinde auf dem Teller ab, starrte weiter auf die zerkratzte Keramikplatte vor mir.Die Zeiten des Paradieses, wo jeder Wunsch auch möglich ist, seien nun vorbei, heißt es. Deutschland müsse wieder mehr arbeiten, mehr leisten. So steht es im Koalitionsvertrag. Ich denke an die Schichtzulagen und die Klassenfahrten. An den roten Ford Fiesta. An die Dienstpläne meiner Mutter und die Blasen auf meinen Händen.Und ich denke an die Biene-Maja-Becher. Ich habe nie einen davon gegessen. Denn dieses Paradies, von dem Friedrich Merz spricht, das gab es nie.