Weltweit existieren 14.000 Atomwaffen. Die Anschaffung von neuen wird diskutiert – auch in Deutschland. Doch trotz aller angeblichen Abschreckung bleibt ihr Einsatz eine reale Gefahr. Warum es eine Rückkehr zu Abrüstung und Vernunft braucht
Robert Oppenheimer sah in seiner Erfindung das Ende aller Kriege
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Zweifel an der amerikanischen Schutzzusage für Europa haben in Deutschland zu einer merkwürdigen Debatte über Nuklearwaffen und Sicherheit geführt. Darin werden unterschiedliche Thesen vertreten.
Nationalistische Alarmisten meinen, Deutschland müsse sich nun selbst atomar bewaffnen, da auf die USA kein Verlass mehr sei. Anhänger einer Großmacht EU plädieren für eine europäische Nuklearmacht oder mehr Konvergenz mit der kontinentalen Atommacht Frankreich. Traditionelle Atlantiker halten diese Überlegungen für unangebracht, weil sie weiter an die US-Nukleargarantie glauben.
Risiken werden ausgeblendet
Allen Auffassungen ist gemeinsam, dass sie sehr großes Vertrauen in die abschreckende Wirkung von Kernwaffen haben und die damit ve
halten diese Überlegungen für unangebracht, weil sie weiter an die US-Nukleargarantie glauben.Risiken werden ausgeblendetAllen Auffassungen ist gemeinsam, dass sie sehr großes Vertrauen in die abschreckende Wirkung von Kernwaffen haben und die damit verbundenen Risiken als vertretbar erachten oder völlig ausblenden. Es entsteht der Eindruck, dass man die Wirkungen eines Nuklearwaffeneinsatzes entweder gar nicht kennt oder nicht zur Kenntnis nehmen will.Zugegeben, die Gefahr eines thermonuklearen Konflikts ist trotz des Ukrainekrieges immer noch relativ gering, doch wäre der Schaden, wenn es trotzdem dazu käme, unvorstellbar.Es existieren weltweit immer noch gut 14.000 Atomwaffen. Russland und die USA verfügen über neun Zehntel davon. Während die Zahl der Sprengköpfe sinkt, erhöht sich zugleich das Quantum einsatzbereiter Systeme. Noch nie seit Ende des Kalten Krieges haben Atomwaffen eine so große Rolle gespielt wie im Moment.Es existieren weltweit immer noch gut 14.000 AtomwaffenDaher sollte man sich vergegenwärtigen, was es heißt, sie einzusetzen. Ein totaler Nuklearkrieg kann zur Zerstörung der Welt führen. Die Detonation einer Thermonuklearwaffe beginnt mit einem Lichtblitz und unfassbaren Hitzewellen von 100 Milliarden Grad Celsius – mehr als die Hitze im Kern der Sonne. Die atomare Explosion verursacht eine enorme Druckwelle, die sich mit Überschallgeschwindigkeit fortbewegt. Es folgt eine tödliche Sogwirkung, die alles ins flammende Inferno saugt. Radioaktiver Fallout verseucht die Erde. Es ist mit zahlreichen Megafeuern zu rechnen, die durch Winde in Hurrikan-Stärke verbreitet werden. Der durch Explosion ausgelöste elektromagnetische Impuls legt Radio, Internet und Fernsehen komplett lahm. Kommunikation und Hilfe sind ausgeschlossen. Für die Überlebenden beginnt der Kampf um Wasser und Nahrung. Einem nuklearen Weltkrieg unter Einsatz vieler Kernwaffen in Megatonnenstärke würden Milliarden Menschen zum Opfer fallen. Ob die Überlebenden den folgenden nuklearen Winter überstehen, ist fraglich.Wo ist die strategische Stabilität?Die nuklearen Supermächte UdSSR und USA wussten um diese desaströsen Wirkungen. Deshalb einigten sie sich nach der Kubakrise, die 1962 fast zu einem Atomkrieg geführt hätte, auf mehr strategische Stabilität. Diese beruht seither auf der Einsicht, dass ein Atomkrieg von keinem zu gewinnen ist. Denn: Wer zuerst schießt, stirbt als zweiter. Die Fähigkeit zum Zweitschlag bedeutet gegenseitige Vernichtungsfähigkeit.So verständigten sich Sowjets und Amerikaner auf eine strategische Balance, die sie durch Rüstungskontrolle zu steuern suchten. Dieses System ist zwar weniger stabil, als seine Protagonisten behaupten, da ein Atomkrieg aus technischem Versehen oder durch Fehlwahrnehmung weiter möglich ist – gleichwohl ist es einem regellosen Zustand allemal vorzuziehen. Ein solcher ist in den zurückliegenden Jahren wahrscheinlicher geworden.Die nuklearen Supermächte UdSSR und USA wussten um diese desaströsen WirkungenDarum dürften für die USA und Russland bei ihrem derzeitigen Bemühen, die bilateralen Beziehungen neu zu regeln, nuklearstrategische Fragen eine wichtige Rolle spielen. Zu Recht hat Donald Trump Kernwaffen als „große Monster“ bezeichnet und gefragt, weshalb für etwas viel Geld ausgeben, das entweder gar nicht zu verwenden ist oder – falls doch – die Welt vernichten kann. Im Februar 2026 läuft mit dem New Start-Vertrag das letzte gemeinsame Abkommen über die Begrenzung strategischer Systeme aus, nachdem die USA zuvor bereits die Verträge über die Begrenzung von Raketenabwehrsystemen und zum Verzicht auf Mittelstreckenraketen gekündigt haben. Die strategische Stabilität erodiert zudem durch die Entwicklung von Nuklearwaffen mit niedriger Sprengkraft („low yield“), durch Hyperschallwaffen, Anti-Satellitenwaffen, zielgenauere weitreichende Raketen, leistungsfähigere Raketenabwehrsysteme und eine Rhetorik der nuklearen Optionen.Erschwerte Lage für AbrüstungDer regionale Rüstungswettlauf und die geografische Asymmetrie zwischen den USA und Russland in Europa erschweren die Lage zusätzlich. Zwar haben die fünf offiziellen Nuklearwaffenstaaten noch kurz vor Beginn des Ukrainekrieges versichert, dass ein Atomkrieg nicht gewinnbar sei und deshalb nicht geführt werden dürfe. Das hinderte Moskau aber kurz darauf nicht daran, mit Kernwaffen zu drohen, um seinen konventionellen Krieg abzusichern.Das hinderte Moskau nicht daran, mit Kernwaffen zu drohen, um seinen konventionellen Krieg abzusichernEtwas später setzte Wladimir Putin die Implementierung des New Start-Vertrages aus, solange die Vereinigten Staaten die Ukraine mit Waffen unterstützen. Außerdem senkt die neue russische Nukleardoktrin die Einsatzschwelle, indem Nichtatomwaffenstaaten eine nukleare Antwort erteilt werden kann, wenn sie Russland mit weitreichenden konventionellen Raketen angreifen und dabei von einem Atomwaffenstaat unterstützt werden.Keine Rechtfertigung Nur rechtfertigt diese beunruhigende Tendenz keinen Ruf nach einer europäischen oder gar deutschen Atombombe. Es gilt immer noch das Diktum des einstigen französischen Präsidenten Charles de Gaulle: Die Entscheidung über den Einsatz von Nuklearwaffen lässt sich nicht teilen („Le nucléaire ne se partage pas“).Es gibt zwar Formen der nuklearen Teilhabe zwischen Nuklear- und Nicht-Nuklearmächten. Aber dies ändert nichts daran, dass die Einsatzentscheidung allein bei den Atommächten liegt. Die werden alles daran setzen, dass es so bleibt – womit sich die Träume von einer europäischen Atommacht quasi erledigt haben.Schließlich eint etablierte Nuklearstaaten das Interesse, einer atomaren Weiterverbreitung Grenzen zu setzen. Das gilt besonders im Blick auf Deutschland, dem wirtschaftlich und künftig wohl auch konventionell stärksten Land in der EU.