Zwei Hardliner, ein Kanzler mit klarer Agenda, und eine Ministerriege, die kaum Widerspruch kennt: Unter dem Druck der AfD-Konkurrenz und einer Zuspitzung internationaler Krisen könnte sich die „konservative Revolution“ durchsetzen
Man kennt sich, man sieht sich: Merz im vertrauten Gespräch mit CDU-Politikern
Foto: Jens Gyarmaty/laif
Wie konservativ wird die neue Regierung? Geht es schnurstracks zurück zu Helmut Kohls geistig-moralischer Wende? Oder wird Friedrich Merz eine autoritäre Restauration einläuten wie Konrad Adenauer während des Kalten Kriegs? Die Oppositionsparteien sind noch unschlüssig, worauf sie sich vorbereiten sollen. Vielleicht wird es nicht so schlimm wie befürchtet. Vielleicht kommt es schlimmer als gedacht.
Entscheidend ist, wie die neue Regierung agiert, wenn sie im Laufe der Zeit erkennen muss, dass ihre hochfliegenden Pläne an einer renitenten Gesellschaft und an falsch eingeschätzten internationalen Kräfteverhältnissen zu scheitern drohen. Wird die Regierung dann Einsicht zeigen und den Kurs ändern, oder wird sie sich verhärten und vers
Kurs ändern, oder wird sie sich verhärten und versuchen, repressiv durchzuregieren? Kommen die Hardliner zum Zug oder die geschmeidigen Realisten?Die zwölf Minister der Union (neun CDUler inklusive Kanzler, drei CSUler) bilden auf den ersten Blick ein homogenes, vergleichsweise moderates Ensemble. Fast alle haben ihre Bundestags-Direktmandate mehrmals hintereinander gewonnen, was sie als weithin akzeptierte Persönlichkeiten ausweist. Sie haben Familien mit durchschnittlich drei Kindern, kommen meist aus der Provinz, ihr Durchschnittsalter beträgt 56 Jahre, man könnte sie als gut situiert, ja als gutbürgerlich bezeichnen. Viele haben Jura studiert (bevorzugt in Bonn), die Männer dienten in der Bundeswehr.Acht der zwölf Ministerinnen und Minister sind katholisch, nur zwei evangelisch, in auffallendem Kontrast zur Ära Angela Merkels. Dieser Trend zum Katholischen erinnert ein wenig an das Kabinett Donald Trumps, aber auch an die berüchtigte Karriere-Seilschaft des katholischen „Andenpakts“ innerhalb der West-CDU. So wird etwa Patrick Schnieder, Merz’ katholischer Bundesbruder aus der Bonner Juristenschmiede, Verkehrsminister, Wolfram Weimer von der „Tegernsee-Connection“ Kulturstaatsminister, Karsten Wildberger, Merz’ Amtskollege im Präsidium des CDU-Wirtschaftsrats, Digitalminister. Man kennt sich, man sieht sich.Auffallend ist auch die Unternehmerdichte im Unionskabinett. Merz war zeit seines Lebens ein eifriger „Anwalt der Wirtschaft“, er saß in zahlreichen Aufsichtsräten, nicht nur bei der US-Investmentgesellschaft Blackrock. Zwei Minister (Katherina Reiche, Wirtschaft, und Karsten Wildberger, Digitales) waren Manager im Energiekonzern Eon, einer Geschäftsführer einer Maschinenbaufirma (Alexander Dobrindt, Inneres), einer Verleger (Wolfram Weimer, Kultur), einer leitet den heimischen Metzgerei-Betrieb (Alois Rainer, Landwirtschaft), die künftige Bildungsministerin Karin Prien arbeitete als Anwältin mit Schwerpunkt Wirtschaftsrecht.Nicht wenige haben Verbindungen in die USA, einige auch zur NATO oder zu Israel. Die Staatsräson und die Atlantik-Brücke sind also gesichert. Parteipolitisch positionieren sich die meisten in der „Mitte“, das ist die gängige Formel für pragmatisches Fahren auf Sicht.Linken-Bashing à la TrumpNur zwei Minister (Dobrindt und Weimer) scheren aus dieser Undeutlichkeit aus. Dobrindt bekannte sich bereits im Januar 2018 in einem Beitrag für die Welt zur „konservativen Revolution“ und definierte seinen Standpunkt selbstbewusst als „Mitte-rechts“. Weimer verfasste im selben Jahr ein gut 100 Seiten langes Konservatives Manifest, in dem er für eine Rückkehr in die gute alte Zeit plädierte, als bürgerlich-christlich-konservative Werte und Tugenden noch etwas galten. Charakteristisch für beide Autoren ist die stammtischkonforme Schlichtheit, mit der sie sich, 50 Jahre nach 1968, am vermeintlich herrschenden „linken Mainstream“ abarbeiten.Dobrindt wettert auch schon mal populistisch gegen die „Klima-RAF“ oder bezeichnet die Grünen als „politischen Arm von Krawallmachern, Steinewerfern und Brandstiftern“, Weimer geißelt den bevormundenden „Gouvernantenstaat“ am Beispiel kleinlicher Verkehrs-, Steuer- und Gender-Vorschriften bei gleichzeitig laxer Haltung dieses Staates gegenüber linksradikalen, islamistischen und demografischen Bedrohungen. Aufgrund der „ethischen Dürftigkeit der materialistischen Wohlstandsgesellschaft“ sei der Untergang des Abendlandes so gut wie sicher.Als einzig wirksamen Abwehrzauber gegen den Untergang empfehlen Weimer und Dobrindt einen wertkonservativen Mix aus Ordnung und Stabilität, Anstand und Ehrlichkeit, Leistung und Freiheit, Tradition und Familie, Heimat und Religion, Abendland und Patriotismus. Mit diesen bürgerlichen Buzzwörtern aus der konservativen Gartenlaube glauben sie Chaos, Hyper-Pluralismus und Genderwahn eindämmen zu können.Zwar gibt es unter den übrigen Unionsministern ebenfalls Vorbehalte gegen gleichgeschlechtliche Partnerschaften, Selbstbestimmungsgesetz, doppelte Staatsbürgerschaften, individuelles Asylrecht, fleischlose Schulspeisungen oder penible Wärmepumpen-Vorschriften, aber das Trump-typische Sammelsurium aus wirrem Wokeness- und Linken-Bashing existiert so lupenrein nur bei Weimer und Dobrindt. Man könnte deren Lamento als periodisch wiederkehrendes Klagelied eines hilflosen Konservativismus abtun, über den die Zeit – siehe Kohls „geistig-moralische Wende“ – irgendwann hinweggeht.Wer erinnert sich etwa noch an die „Konservative Sammlung“ von Hans-Joachim Schoeps, an Günter Rohrmosers „Geistige Wende“ oder an Heinrich Lummers „Christlich-Konservatives Deutschland-Forum“? Was blieb von Gerd-Klaus Kaltenbrunners „Rekonstruktion des Konservatismus“ oder von der angemahnten „Tendenzwende“ der Philosophen Hermann Lübbe, Odo Marquard und Robert Spaemann? Wer hat Jörg Schönbohms „Deutsche Leitkultur“-Forderung noch im Ohr oder nimmt Hans-Georg Maaßens Werteunion ernst? Die neue Bildungsministerin Karin Prien, einst im Kanzlerkandidatenteam von Armin Laschet, rief 2017 die „Union der Mitte“ gegen solche Versuche eines innerparteilichen Rechtsrucks ins Leben. Wie konservativ kann die Merz-Regierung da werden?Gefahr autoritärer LösungenIn seinem 2009 erschienenen Lehrbuch Konservativismus bringt der Politikwissenschaftler Sven-Uwe Schmitz das ganze Dilemma auf den Punkt: „Nach der Phase der Orientierungslosigkeit zwischen 1918 und 1949 schloss sich für den Konservativismus eine Phase der Bedeutungslosigkeit an.“ Die Hochblüte der Konservativen unter Bismarck ist lange vorbei. In der Weimarer Republik schwankten sie zwischen Fundamentalopposition und Regierungsbeteiligung, was zu harten Flügelkämpfen und schweren Zerwürfnissen führte. Erschöpft ergaben sich ihre Reste den Nationalsozialisten. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren sie nur mehr in Norddeutschland kurz präsent. Die Deutsche Partei (als Teilerbin der Deutschnationalen Volkspartei) koalierte zunächst mit Adenauers CDU, löste sich aber Anfang der 1960er Jahre nach herben Wahlniederlagen auf.Seither mäandert der Konservativismus als beliebig benutzter Begriff durch die Politlandschaft. Bis heute kommen die Konservativen über wohlfeile Sonntagsreden, markige Stammtischsprüche oder hilflose Abgrenzungsrituale nicht hinaus. Die CDU jedenfalls lehnt es ab, als konservativ bezeichnet zu werden, sie versteht sich als „Volkspartei der Mitte“. Das schließt christlich-soziale und liberale Strömungen mit ein.Um die gebeutelten Konservativen aus der Defensive zu holen, definierte der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß das Konservativsein in den 1970er Jahren radikal um: Konservativ sein heiße, an der Spitze des Fortschritts zu marschieren. Er meinte: pro Atomkraft, pro Gentechnik, pro BMW. Vielleicht werden die Chemikerin Katherina Reiche und der Physiker Karsten Wildberger dieses Konservativsein in Merz’ Kabinett rascher umsetzen als Weimer und Dobrindt ihre ideologischen Hirngespinste. Falls alles nach Plan läuft.Doch unter dem Druck der AfD-Konkurrenz, der möglichen Zuspitzung internationaler Krisen, der fortgesetzten ökonomischen Schwäche und des Aufkommens sozialer Proteste könnte sich die bislang nur behauptete „konservative Revolution“ auch ganz real in autoritäre Lösungen verwandeln.Mit Unterstützung des Hardliners Dobrindt würde sich das ideologische Unions-Trio mit Friedrich Merz als Bundeskanzler, dem Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann ermutigt sehen, in Anlehnung an Trumps autoritäre Politik andere Seiten aufzuziehen: mehr Polizei, die Bundeswehr im Innern (aka Heimatschutz), Verschärfung des Demonstrationsrechts, härtere Strafen, mehr Überwachung und null Toleranz gegenüber „Krawallmachern und Störenfrieden“. Zur Wehrhaftigkeit nach außen käme die Wehrhaftigkeit nach innen.