Ich hatte gerade einen Artikel über den Verfassungsschutz geschrieben – genauer gesagt: über den ersten großen Geheimnisverrat im Februar, als das erste AfD-Gutachten pünktlich zur Wahl plötzlich an die Öffentlichkeit gelangte. Ich fragte darin, ob so etwas wieder passieren würde.
Und noch bevor ich auf „veröffentlichen“ klicken konnte, war es soweit.
Heute berichtet der Spiegel, er habe Einsicht in das neue, offiziell geheime 1108-Seiten-Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz erhalten – jenes Gutachten, mit dem die Einstufung der AfD als angeblich „gesichert rechtsextrem“ begründet wird. Offiziell ist das Papier weder veröffentlicht noch freigegeben – und doch liegt es nun einem der wichtigsten Medien des Landes in voller Länge vor. Zitiert, ausgeschlachtet, politisch eingeordnet.
Was wenige Minuten zuvor noch ein Rückblick auf einen beispiellosen Vorgang war, ist in Echtzeit zur Beschreibung eines Systems geworden.
Was passiert, wenn ein Geheimdienst ein 1.000-seitiges Gutachten über eine Oppositionspartei anfertigt – es offiziell unter Verschluss hält – und es dann mitten im Wahlkampf über ein linkes Portal in die Öffentlichkeit gelangt?
Richtig: nichts.
Keine Untersuchung, kein Rücktritt, kein Aufschrei.
Deutschland 2025 hat sich daran gewöhnt, dass politische Wirkung nicht mehr über Parlamente läuft – sondern über Behörden, die keiner kontrolliert.
Der Vorgang im Februar war ein Skandal. Und er wäre längst vergessen – wenn sich das Muster nicht gerade wiederholen würde.
Denn auch das neue Gutachten, auf das sich der Verfassungsschutz nun stützt, bleibt offiziell geheim. Aber seine Wirkung ist längst da. In den Medien. In der politischen Debatte. Im öffentlichen Klima.
Der Apparat hat gelernt, wie man Macht ausübt, ohne Verantwortung zu übernehmen.
Im Februar 2025 – mitten in der heißen Phase des Bundestagswahlkampfes – hatte das linke Portal „netzpolitik.org“ ein 1.000 Seiten starkes Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz veröffentlicht. Es handelte sich um das sogenannte „offene Gutachten“ von 2021, das ausschließlich auf öffentlichen Quellen basiert – aber selbst unter Verschluss gehalten wurde.
Offiziell war es „nicht zur Veröffentlichung bestimmt“. Und dennoch: Das komplette Dokument landete im Internet – nicht etwa durch einen offiziellen Vorgang, sondern durch ein politisch klar positioniertes Medium. Der Verfassungsschutz schwieg dazu. Kein Dementi. Keine Aufklärung. Keine juristische Aufarbeitung. Keine politische Verantwortung.
Dieses Gutachten war zentrale Grundlage für die damalige Einstufung der AfD als „Verdachtsfall“. Es beeinflusste Medienberichte, öffnete die Tür für Überwachungsmaßnahmen – und diente de facto als moralische Lizenz zum Framing.
Nun, im Mai 2025, steht das Bundesamt erneut im Zentrum.
Mit einem neuen, als „streng vertraulich“ eingestuften Papier – das nicht veröffentlicht wurde, aber dessen Wirkung längst in Talkshows, Kommentaren und Ministerstatements präsent ist. Als sei es offiziell. Dabei ist es genau das nicht.
Der neue Leak – diesmal direkt an den Spiegel – zeigt: Das ist kein Ausnahmefall. Es ist Methode.
Was sagt es über eine Behörde, wenn geheime Papiere in politisch sensiblen Momenten den Weg in die Öffentlichkeit finden – ohne parlamentarische Kontrolle, ohne juristische Begleitung?
Wenn es interne Leaks sind, dann ist der Apparat so undicht wie ein alter Kieslaster.
Wenn es gezielte Streuungen sind, dann ist der Verfassungsschutz kein Wächter mehr, sondern ein Spieler auf dem Feld – einer, der seine Karten nicht offenlegt, aber intrigant mitspielt. Oder sogar versucht, das Spiel zu lenken – mit Fouls und Tricks.
Wer kann so einem Amt noch trauen?
Hinzu kommt die Rolle von „netzpolitik.org“ – einem Medium, das sich einst als Kritiker staatlicher Überwachung verstand.
Und die Rolle des Spiegel – längst vom „Wachhund der Demokratie“ zum „Wachhund der Regierung“ gerodet.
Heute übernehmen beide die Öffentlichkeitsarbeit für eine Behörde, deren intransparente Arbeitsweise früher Skandale ausgelöst hätte. Keine kritische Distanz, keine Offenlegung der Quelle, keine Einordnung. Nur die implizite Botschaft: Wenn es gegen die AfD geht, ist jedes Mittel recht.
Spiegel-Gründer Rudolf Augstein würde sich im Grab umdrehen, hätte er das noch erlebt.
Der Verfassungsschutz darf beobachten und berichten.
Er darf aufklären, dokumentieren, intern analysieren.
Aber er darf nicht warnen, diffamieren oder politisch intervenieren. Und schon gar nicht darf er über Bande spielen – mit Leaks, Flüsterkampagnen oder selektiven Veröffentlichungen.
Ein solcher Apparat ist keine demokratische Institution mehr – sondern ein Machtinstrument mit Geheimhaltungsstempel, das an autoritäre Staaten erinnert.
Nach dem Leak im Februar gab es keine Untersuchung, keine personellen Folgen, kein politisches Interesse an Aufklärung. Der Bundestag schwieg. Die Regierung duckte sich weg. Und die Medien machten mit.
Genau so wurde ermöglicht, dass sich nun alles wiederholt.
Und auch diesmal:
Wieder keine Empörung.
Wieder kein Skandal.
Wieder nur betretenes Schweigen – begleitet von bestätigendem Kopfnicken.
Und genau hier beginnt die Bewährungsprobe für die neue Regierung.
Wenn Kanzler Merz und Innenminister Dobrindt diesen Geheimnisverrat durchgehen lassen – ohne schwerste personelle Konsequenzen an der Spitze des Verfassungsschutzes –, dann kastrieren sie damit nicht nur sich selbst. Sie entlarven sich als Komplizen jener rot-grünen Machtapparate, die sie angeblich ablösen wollten.
Vielleicht ist genau das längst das Ziel:
Die freiheitliche, pluralistische Demokratie endgültig beerdigen.
Offenbar geht es nicht mehr um Schutz – sondern um Kontrolle.
Nicht mehr um Verfassung – sondern um Deutungshoheit.
Nicht mehr um Aufklärung – sondern um Einschüchterung.
Was bleibt, ist ein Staat, der vorgibt, die Demokratie zu schützen –
und dabei genau sie zerstört.
Und seine eigene Legitimität gleich mit.
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Bild: photocosmos1 / Shutterstock.com
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