Die freie Journalistin Elif Akgül wurde im Februar festgenommen und sitzt seither im Gefängnis. Oppositionelle Medienmacher haben nicht nur mit sinkenden Finanzen zu kämpfen, sondern auch gegen die Repressionen der türkischen Regierung
„Die Revolution wird doch im Fernsehen übertragen“: Demonstration in Istanbul, Ende März dieses Jahres
Foto: Kemal Aslan/AFP/Getty Images
Wäre die Pressefreiheit in der Türkei vollständig nach dem Willen der Regierung gestaltet, gäbe es nur eine Handvoll Zeitungen mit denselben Schlagzeilen, einige Fernsehsender, die ständig die Reden von Präsident Erdoğan ausstrahlen, und keine Internetverbindung – ähnlich der Situation in den Gefängnissen.
Seit Mitte Februar ist die freie Journalistin Elif Akgül inhaftiert. Sie beschreibt in einem Brief aus dem Gefängnis, wie ihr Zugang zu Nachrichten begrenzt wird: „Die Presse war in der Türkei noch nie gut, aber sie war auch noch nie so katastrophal. Das spüre ich besonders jetzt im Gefängnis, wo alles, was ich sehe oder lese, staatlicher Zensur unterliegt. Wir können viele Zeitungen und Zeitschriften
taatlicher Zensur unterliegt. Wir können viele Zeitungen und Zeitschriften nicht lesen und keine oppositionellen Kanäle empfangen.“Elif Akgül wurde Mitte Februar in ihrer Istanbuler Wohnung von der Polizei festgenommen. Da ein gerichtlicher Geheimhaltungsbeschluss vorliegt, sind die genauen Vorwürfe bisher nicht bekannt. Wie in vielen anderen journalistischen Verfahren wird Akgül mit Terrorismus in Verbindung gebracht. 2011 hatte sie ein Treffen des Demokratischen Kongresses der Völker, einem seit 2011 stattfindenden Kongress linker Bewegungen, besucht. Dies stufte die regierungstreue Justiz als Aktivität der derzeit verbotenen prokurdischen Terrororganisation PKK ein. Während ihrer Vernehmung musste sie Fragen zu den Maifeier-Protesten beantworten, über die sie vor mehr als zehn Jahren berichtet hatte, sowie zu den Gezi-Park-Protesten im Jahr 2013. Damals wurden interne redaktionelle Gespräche, die sie über ihr Handy führte, abgehört und in Zusammenhang mit einer terroristischen Organisation gewertet.Derzeit 17 Journalist*innen in türkischen GefängnissenDie Anklageschrift gegen Akgül wurde Ende April vorbereitet, die genauen Vorwürfe werden voraussichtlich in der nächsten Woche bekannt gegeben werden. Akgül berichtete für die unabhängige Online-Plattform Bianet.org und den oppositionellen Fernsehsender IMC TV, aber auch für die Deutsche Welle und die taz. Laut dem türkischen Journalistenverband (TGS) ist Elif Akgül eine von 17 Journalist*innen, die derzeit in den türkischen Gefängnissen inhaftiert sind. Obwohl diese Zahl nach dem gescheiterten Putschversuch von 2016, durch den die Türkei zum Land mit den meisten inhaftierten Journalisten wurde, gering erscheinen mag, bedeutet ein Rückgang dieser Zahl nicht, dass sich die Pressefreiheit in der Türkei verbessert hat. Vielmehr verfolgt das Erdoğan-Regime eine neue Strategie: Die Opposition, kritische Stimmen oder die freie Presse sollen auf andere Weise zum Schweigen gebracht werden. Doch alle ins Gefängnis zu stecken, ist keine Lösung, da sie ohnehin bereits überfüllt sind. Deshalb werden nun häufig Maßnahmen wie gerichtliche Kontrollen und Hausarreste angewendet.Dem Bericht eines Abgeordneten der größten Oppositionspartei, der CHP, zufolge, standen Journalist*innen im Jahr 2024 insgesamt 720 Mal vor Gericht. In den letzten Jahren wurden in der Türkei mehrere Gesetze verabschiedet, die unter dem Vorwand „Desinformation“ unabhängige Medien, vor allem Online-Plattformen, zu kontrollieren und ihre Berichterstattung als strafbare Handlung auszuweisen. Meistens drohen so Haftstrafen. Auch das sind neuere Anzeichen für einen Rückgang der Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei. Laut dem Verein Freedom Expression Association wurden im Jahr 2022 etwa 250.000 Websites gesperrt, im Folgejahr waren es schon knapp eine Million.Wirtschaftlicher Druck auf unabhängige MedienProzesse gegen Journalisten und Zensur sind jedoch nur die eine Seite der Medaille. Ein weiteres großes Problem für unabhängige Medienorganisationen sind finanzielle Schwierigkeiten. Akgül weist in ihrem Brief aus dem Gefängnis auf dieses Thema hin. „Draußen verlieren meine Kollegen und Freunde einer nach dem anderen den Job, viele unabhängige Medien müssen aufgrund des wirtschaftlichen Drucks schließen. Das beunruhigt mich sowohl als Konsumentin als auch als Produzentin von Nachrichten in Bezug auf die Zukunft.“Nachdem Erdoğan-nahe Unternehmer in den 2010er Jahren die Mainstream-Medien in der Türkei regelrecht aufgekauft hatten und so eine regierungsfreundliche Berichterstattung begünstigt hatten, wanderten viele, nunmehr arbeitslose Journalist*innen, in den Online-Journalismus. So wurde etwa die Online-Plattform Medyascope vom renommierten Politikjournalisten Ruşen Çakır gegründet. Die unabhängige Plattform ist in Istanbul seit 2015 aktiv und sieht sich in den letzten Jahren zunehmend finanziell bedroht. Obwohl die Zahl der Nutzer*innen im Laufe der Jahre gestiegen ist, können die Einnahmen mit der derzeitigen Inflationsrate in der Türkei nicht mithalten. Auch die von der EU oder den USA bereitgestellten Fördermittel zur Unterstützung der freien Presse sind in letzter Zeit gesunken. Kaya Heyse ist Nachrichtenkoordinator bei Medyascope. Große Unternehmen würden nicht bei ihnen werben, erzählt er, sie hätten Angst. Noch 2023 hatten sie 45 Mitarbeiter, aber „jetzt sind wir 18, das Personal schrumpft“, erzählt Heyse. Das Ziel sei, mit alternativen Einnahmemodellen finanzielle Ressourcen zu schaffen. Medyascope verzichtet darauf, hohe Klickzahlen zu erzielen oder das in türkischen Medien häufig anzutreffende, halblegale Übernahmemodell von Inhalten anderer Medien zu nutzen. Momentan seien sie als Medyascope noch entschlossen, mit den vorhandenen Mitteln so lange wie möglich weiterzumachen: „Je mehr Zeit vergeht und je schlechter die Situation wird, denkt man auch: Wird unser Atem ausreichen?“, fragt sich Heyse.Trotz aller Repressionen machen Medien wie Medyascope weiterhin einwandfreien Journalismus. Man könnte fast sagen, dass die freie Presse – trotz aller Verletzungen demokratischer Rechte – noch immer am Leben ist. Die Pressefreiheit sei mit ernsthaften Problemen konfrontiert, aber trotzdem gehe der Kampf weiter, so Heyse: „Die Türkei ist bislang nicht Russland. Es gibt einen gewissen Trend, aber es ist trotzdem möglich, dass Medien wie unsere noch atmen können.“