Pepe Mujica war von 2010 bis 2015 Präsident Uruguays. Nun verstarb er kurz vor seinem 90. Geburtstag. Der Amerikaner Noam Chomsky nannte ihn eine der weltweit faszinierendsten Persönlichkeiten
Pepe Mujica ging mit den Worten: „Jetzt hat der Krieger das Recht zu ruhen“
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Sicher hat auch Pepe Mujica in Uruguay nicht den Sozialismus eingeführt. Doch zwischen 2010 und 2015, als sich der rosarote Zyklus linker Regierungen in Lateinamerika bereits dem Ende zuneigte, gelang es ihm als Staatschef, die Armutsquote von 18,5 auf 9,7 Prozent zu drücken. Außerdem führte Uruguay während Mujicas Präsidentschaft als drittes Land auf dem lateinamerikanischen Subkontinent das Recht auf Abtreibung ein, legalisierte die Ehe für alle und den Marihuanaanbau samt geregelter Vermarktung. Bei allen Problemen wie dem Erstarken des Drogenhandels und der Gewaltkriminalität blieb das Dreieinhalb-Millionen-Land am Río de la Plata ein Sozialstaat mit einer dialogbetonten zivilen politischen Kultur – heutzutage wirkt das fast schon revo
evolutionär.Verehrt wurde José Alberto Mujica Cordano, der am 13. Mai, eine Woche vor seinem 90. Geburtstag, starb, aber nicht nur in seiner Heimat. Bis Ende vergangenen Jahres empfing er zahlreiche Gesinnungsfreunde wie den amerikanischen Sprachwissenschaftler und Publizisten Noam Chomsky auf seiner kleinen Farm in der Umgebung von Montevideo, wo er mit seiner jahrzehntelangen Lebensgefährtin Lucía Topolansky lebte. Mujica verkörperte schon zu Lebzeiten einen Mythos. Der spanischsprachige Dienst der Deutschen Welle produzierte mit ihm über hundert Folgen der Videokolumne Gewissen des Südens, in denen er sich als Philosoph und Lebenskünstler erwies.Blumenzüchter mit dem legendären hellblauen KäferSeine ohne große Attitüde gelebte Bescheidenheit als Blumenzüchter mit dem legendären hellblauen Käfer akzentuierte er durch Weisheiten, die weit über eine linke Anhängerschaft hinaus bewundert wurden, etwa: „Alle Lebewesen kämpfen, um zu leben – das Heilkraut, die Frösche und wir. Man kommt zu dem Schluss, es ist alles da, um dem Leben Geschmack zu geben“. Oder: „Triumphieren im Leben, das heißt nicht gewinnen. Triumphieren im Leben, das heißt jedes Mal, wenn man fällt, wieder aufzustehen und neu anzufangen.“Besonders geschätzt, ja geliebt wurde der Krawattenverächter auf seinem eigenen Kontinent, den er so charakterisiert hat: „Ich will uns nicht Lateinamerika nennen, weil wir nicht nur von Latinos abstammen (er selbst hatte baskische und italienische Wurzeln, G.D.). Wir stammen von Schwarzen ab, von indigenen Völkern, von Asiaten, wir sind die Nachfahren von allen Armen und Verfolgten der Welt, die nach Amerika kamen, um von einer besseren Zukunft zu träumen.“Noam Chomsky äußerte sich verständnisvoll und zugleich kritisch zu Mujicas Vergangenheit als Stadtguerillero, die ihm in der Zeit der Militärdiktatur unter Juan María Bordaberry Anfang der 1970er Jahre fast 15 Jahr Haft unter teils extremen Bedingungen einbrachte. „Das Freundlichste, was man sagen kann“, so Chomsky, sei, „es muss eine Fehleinschätzung gewesen sein.“ Und fügte hinzu: „Ich glaube, Pepe ist heute die faszinierendste und wichtigste politische Persönlichkeit auf der Welt.“Placeholder image-1„Meine Generation hat einen naiven Fehler begangen“, bekannte der Ex-Tupamaro in einer Koproduktion der beiden linken Weisen, die unter dem Titel Das 21. Jahrhundert überleben bereits auf Spanisch erschienen ist: „Wir haben geglaubt, dass man für den sozialen Wandel nur die Produktions- und Verteilungsweisen ändern müsste, aber wir haben die riesige Rolle der Kultur nicht verstanden.“ Es gehe jedoch darum, der Kultur des Kapitalismus, einer Kultur des Egoismus, eine solidarische Kultur entgegenzusetzen. Er geißelte den Konsumwahn und den ostentativen Lebensstil vieler Politiker, auch der Linken: „Arm sind jene, die viel brauchen. Ich will ein Stoiker sein“. Wenn man nicht mit einer gewissen Mäßigung und ohne Verschwendung zu leben lerne, so Mujicas Fazit, sei die Menschheit zum Untergang verurteilt.Bis zuletzt in der Politik dabeiIn Uruguay mischte er mit seiner Frau, die es zwischen 2017 und 2020 zur Vizepräsidentin des Landes brachte, bis zuletzt in der Politik mit. Im Vorjahr sorgte Lucía Topolansky dafür, dass Yamandú Orsi zum Präsidentschaftskandidaten der linken Frente Amplio und als solcher schließlich zum Staatschef gewählt wurde. Ihre Strömung „Bewegung der Volksbeteiligung“ dominiert derzeit das seit 1971 bestehende Linksbündnis wie noch nie. Für Wirbel sorgten Topolansky und Mujica zuletzt im Dezember, als sie ihren „Pakt des Schweigens“ verteidigten, der letztlich die Gewalttäter der Militärdiktatur (1973 – 1985) ungeschoren ließ. Sie wüssten, dass es in den Prozessen gegen die Obristen zu Falschaussagen gekommen sei, meinte Lucía Topolansky, als beide lange interviewt wurden. Auf Proteste von Menschenrechtlern reagierten sie stur. Es seien Einzelfälle, so Pepe Mujica, mehr sei dazu nicht sagen.Wenige Tage später, sein Krebs war nicht mehr zu stoppen, verabschiedete er sich mit den Worten: „Jetzt hat der Krieger das Recht zu ruhen.“