Das seit Langem geplante Gewalthilfegesetz könnte mit den Stimmen der CDU im Kabinett beschlossen werden. Doch geflüchtete Frauen wären nach einer Trennung vom Ex-Partner weiterhin nicht ausreichend geschützt
Sicherheit? Nur ein Drittel der 21.000 Frauenhausplätze, die es laut Istanbul-Konvention in Deutschland geben müsste, gibt es wirklich
Foto: Brigitte Kraemer
Dass sie so bald erneut fliehen muss, hätte Nûjin Yıldız nicht gedacht. Vor zwei Jahren ist sie mit ihrem Mann und den Kindern nach Deutschland gekommen, um hier in Sicherheit zu leben. Das entpuppt sich jedoch schnell als Bedrohung: Regelmäßig ist sie den gewalttätigen Übergriffen ihres Mannes ausgeliefert. Als es eines Abends eskaliert, ist Yıldız überzeugt, dass er sie töten wird. Doch er lässt von ihr ab und geht aus der Wohnung. Yıldız muss schnell handeln, um sich und ihre Kinder zu retten.
Doch wohin? Sie kennt niemanden, bei dem sie unterkommen kann, außerdem spricht sie kein Deutsch. Eine Freundin verständigt die Polizei, die Yıldız und ihre Kinder mitnimmt. Ein Wendepunkt, denkt sie R
t sie – doch das ist erst der Beginn ihres mühsamen Weges in ein sicheres Leben.Yıldız‘ Geschichte ist kein Einzelfall. Letztes Jahr stieg die Zahl häuslicher Gewalt um 6,5 Prozent auf 256.276 Fälle. Zwei Drittel davon zählen zur Partnerschaftsgewalt, acht von zehn Betroffenen sind weiblich. Jeden zweiten Tag wird eine Frau Opfer eines Femizids. Obwohl häusliche Gewalt ein gesellschaftliches Problem ist, werden Betroffene damit alleingelassen – so wie auch Nûjin Yıldız. Ihren richtigen Namen verschweigt sie, aus Angst um ihre Sicherheit.Streitpunkt sind die KostenEin lückenhaftes und unterfinanziertes Gewaltschutzsystem schützt Betroffene wie Yıldız nur unzureichend. Immer wieder werden Betroffene wegen Platzmangels abgewiesen – am häufigsten Frauen mit Kindern. Deutschland ist bereits 2018 der Istanbul-Konvention beigetreten. Nach deren Empfehlung müssten bundesweit 21.000 Frauenhausplätze bereitgestellt werden, doch bisher ist nur etwa ein Drittel verfügbar. Hinzu kommt die uneinheitliche Finanzierung von Frauenhäusern: Viele Einrichtungen sind auf Spenden angewiesen oder finanzieren sich über den Tagessatz.Konkret bedeutet das für Betroffene, dass sie einen Satz von 25 bis 100 Euro pro Tag, je nach Bundesland, zahlen oder einen entsprechenden Antrag zur Kostenübernahme stellen, wenn sie Sozialleistungen empfangen. „Das ist weder niedrigschwellig noch anonym“, kritisiert Kristin Fischer, selbst lange in einem Frauenhaus tätig, von der Berliner Initiative Gewalt gegen Frauen. So mache man Frauen für ihren eigenen Schutz verantwortlich.Migrierte und geflüchtete Frauen seien besonders vulnerabel, da ihnen oft soziale Netzwerke fehlten, sie finanziell abhängig und durch Sprachbarrieren benachteiligt sind. Dazu verhinderten diskriminierende Vorschriften, dass Betroffene tatsächlich Schutz fänden, kritisiert Delal Atmaca, Geschäftsführerin des Dachverbands der Migrantinnenorganisation (DaMigra).Auch Yıldız darf aufgrund der Wohnsitzauflage im Asylverfahren ihren Wohnort nicht verlassen. Doch daran denkt sie nicht, als sie und ihre Kinder mit dem nächstbesten Zug vor ihrem Mann fliehen. An der Endstation angekommen, geht sie erneut zur Polizei. Dort wird ihr klargemacht, dass sie zurück in ihre Herkunftsstadt müsse. Zwar können Betroffene bei besonderer Härte einen Aufhebungsantrag stellen, doch dafür fehlen ihnen oft anerkannte Nachweise – etwa ärztliche Atteste oder Strafanzeigen. Insgesamt werden 30 Prozent der Anträge aufgrund fehlender Nachweise abgelehnt.Im Bereich Gewaltschutz ist seit Jahren wenig geschehenZudem ist die Bearbeitung der Anträge langwierig, Betroffene warten oft über einen Monat lang. „Viele Frauen streben diesen Prozess daher gar nicht erst an“, erklärt Atmaca. Yıldız wird zurück in die Stadt geschickt, aus der sie gerade geflohen ist. Sie erinnert sich an eine Notfallnummer, die sie vor einer Weile heimlich abgespeichert hat. „Bitte helfen Sie mir“, wendet sie sich nun an Atmaca, der die Nummer gehört. Diese findet nach unzähligen Anrufen schließlich ein Frauenhaus, das Yıldız und ihre Kinder aufnimmt.Atmaca ist überzeugt, dass die Situation ohne ihr Eingreifen anders verlaufen wäre: „Viele Frauenhäuser wollen keine geflüchteten Frauen aufnehmen, da sie die unsichere Finanzierung oder die aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen abschrecken.“ Zudem fehle vielen Mitarbeiterinnen die Sensibilisierung für das Thema Flucht und Migration. Schulungen seien daher wichtig, doch angesichts des Personalmangels und der unsicheren Finanzierung von Frauenhäusern ist dies kaum umsetzbar.Das geplante Gewalthilfegesetz sei daher dringend notwendig, um eine bundeseinheitliche Finanzierung des Gewalthilfesystems sicherzustellen. Geschehen ist seit Jahren wenig. Dabei berieten sich Bund, Länder und Kommunen bereits 2018 zum Ausbau und zur Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsangeboten.2021 erklärten SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag, dass sie „das Recht auf Schutz vor Gewalt für jede Frau und ihre Kinder absichern und einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen für eine verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern sicherstellen“ würden. Besonders die Bedarfe vulnerabler Gruppen wie geflüchteter Frauen wollen sie berücksichtigen, heißt es dort „Noch nie haben wir es so weit geschafft wie jetzt“, sagt Britta Schlichting von der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF). Ein großer Streitpunkt: die Kostenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen.Für Betroffene mit prekärem Aufenthalt gelten weiterhin besondere AuflagenLange war unklar, wie stark sich der Bund beteiligen würde. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Die Grünen) hatte nur wenige Stunden vor dem öffentlichen Bruch der Ampel einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem Betroffene ab 2030 rechtmäßigen Zugang zu Schutzeinrichtungen und Beratungen bekommen sollen. Durch eine einzelfallunabhängige Finanzierung würden keine Kostenbeiträge mehr erhoben. Die Finanzierung wäre vorerst geklärt: 2,2 Milliarden Euro würde das den Bund die kommenden Jahre kosten.Doch im geplanten Gesetz gilt der Gewaltschutz nicht für alle: Für Betroffene mit prekären Aufenthaltstiteln gelten weiterhin Wohnsitzauflagen, eine Teilnahmepflicht an Integrations- und Orientierungskursen sowie die Meldepflicht an die Ausländerbehörden. „Das ist eine der größten Absurditäten“, kritisiert Atmaca. „Das Hilfesystem kann nur funktionieren, wenn die Anonymität gewahrt wird.“Das zeigt auch der aktuelle Fall einer 28-jährigen Türkin, die mit ihren beiden Kindern aus einem Hamburger Frauenhaus nach Österreich abgeschoben wurde. Bei einem Routinetermin bei der Ausländerbehörde drohten die Beamten der Frau, bis sie schließlich die geheime Adresse des Schutzhauses preisgab. Laut einer Mitarbeiterin des Frauenhauses ist die Bewohnerin nun in eine Unterkunft gebracht worden, zu der auch der gewalttätige Ex-Partner Zugang hat.Für sie sei das vorliegende Gesetz die populistische Antwort auf die aktuelle Migrationspolitik, sagt Atmaca. „Migration ist an allem schuld – das sehen wir im Bund, bei den letzten Landtagswahlen und jetzt auch beim Gewalthilfegesetz.“Die Regierung handle schleppend, sagen FrauenschutznetzwerkeAuch bei der ZIF ist die Enttäuschung groß. Seit mehreren Monaten setzt sich die Organisation für die Durchsetzung des Gewalthilfegesetzes ein – zuletzt mit der Petition „Geld oder Leben. Gewaltschutz kostet Geld und rettet Leben“. Dass die Regierung nur schleppend handle, verdeutliche, dass das Leben von Frauen und das gewaltfreie Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen nicht priorisiert werde.Aus Angst, dass Verwandte ihres Mannes sie oder ihre Kinder erkennen könnten, zieht Yıldız nur wenige Tage nach ihrer Ankunft in ein anderes Schutzhaus. Doch auch hier fühlt sie sich nicht sicher. Sie lebt mit der ständigen Angst, dass ihr Ex-Mann eines Tages vor der Tür stehen könnte. Deswegen will sie sich nun von ihm scheiden lassen.Ihr Bleiberecht läuft im Dezember aus. Bis dahin müsste sie ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erhalten, das nicht an ihren Mann gekoppelt ist. Sie hofft, dann auch eine Wohnung für sich und die Kinder zu finden. Wenn alles überstanden ist.