Großbritannien will seine nuklear betriebene U-Boot-Flotte ausbauen, wie die Regierung in London im Vorfeld einer Überprüfung des Verteidigungssektors verlautbaren ließ. Es geht dabei um Jagd-U-Boote zur Bekämpfung anderer Schiffe. „Mit neuen hochmodernen U-Booten, die in internationalen Gewässern patrouillieren, und unserem eigenen Atomsprengkopfprogramm an der britischen Küste machen wir Großbritannien zu Hause sicher und im Ausland stark“, schrieb Verteidigungsminister John Healey in einer Erklärung und ergänzte weiter: „Wir wissen, dass die Bedrohungen zunehmen und wir entschlossen handeln müssen, um die russische Aggression abzuwehren.“ Von Ramon Schack.

Ersatz für derzeitige Flotte

Nach aktuellem Stand wird London bis zu zwölf U-Boote der nächsten Generation bauen, die nuklear angetrieben werden und konventionelle, nichtnukleare Waffen tragen können. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums soll dadurch die derzeitige Flotte von sieben U-Booten Ende 2030 ersetzt werden. Bei den erwähnten neuen U-Booten handelt es sich um ein Modell, welches von Großbritannien, den USA und Australien im Rahmen der als AUKUS bekannten Sicherheitspartnerschaft gemeinsam entwickelt wurde.

Zusätzlich plant die Regierung zudem mit Ausgaben in Höhe von 15 Milliarden Pfund (rund 18 Milliarden Euro) für britische Programme zur Herstellung von Atomsprengköpfen. Die weiteren Pläne umfassen den Bau von mindestens sechs neuen Munitionsfabriken, die Beschaffung von bis zu 7.000 Langstreckenwaffen und die Einführung neuer Technologie- und Cybersysteme zur besseren Vernetzung der Streitkräfte im Ernstfall. Die britischen Streitkräfte sollen bis 2035 zehnmal schlagkräftiger sein, sagte Keir Starmer. Bereit zu sein, den „Frieden durch Stärke“ zu sichern, sei der wirksamste Weg, Staaten abzuschrecken, die Großbritannien direkt bedrohen.

Rückgriff auf alte Denkschulen

Diese Strategie erscheint wie ein Rückgriff auf Denkschulen, die schon im 19. Jahrhundert populär waren und an den Instituten des Empires gelehrt wurden.

Es war der damals führende britische Politiker Benjamin Disraeli, zweimal sogar im Amt des Premierministers, welcher das britische Weltreich öffentlich eher als eine asiatische Macht definierte denn als eine europäische.

Disraeli bezog sich zu seiner Zeit, also Mitte des 19. Jahrhunderts, als britische Seeleute ihren Finger in den Ozean tauchten, flankiert von der Aussage „Tastes salty – must be British“, („Schmeckt salzig, muss also britisch sein“), auf die Herrschaft Londons über den indischen Subkontinent. 1876 verband Disraeli sogar den Titel der Königin von England mit dem der Kaiserin von Indien, ab diesem Zeitpunkt der offizielle Titel Ihrer Majestät. Derselbe Politiker hatte schon 1847 in seinem Roman „Tancred“ die Idee propagiert, die Königin von England sollte nach Indien umziehen. In dem erwähnten Roman heißt es:

„Die Königin soll eine große Flotte sammeln und mit ihrem ganzen Hof und der ganzen führenden Schicht ausziehen und den Sitz ihres Reichs von London nach Delhi verlegen. Dort wird sie ein ungeheures, fertiges Reich finden, eine erstklassige Armee und große Einkünfte.”

Die Insel gehörte noch nie zum Kontinent

Benjamin Disraeli brachte mit diesen Worten zum Ausdruck, was zu jener Zeit von vielen Bewohnern des Empires ähnlich empfunden wurde, nämlich dass das britische Mutterland, die Insel, aufgrund der gewaltigen geographischen Ausdehnung des Weltreiches – über Kontinente und maritime Weiten hinweg – kein Bestandteil Europas mehr war und auch nicht mehr mit dessen Schicksal verbunden sei. Viel eher glich dieses Gebiet, in dem die Sonne nicht mehr unterging, einem Schiff, welches den Anker lichten und in einem Erdteil vor Anker gehen kann. Einige Jahrzehnte später, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, propagierte der amerikanische Admiral Mahan gar eine Wiedervereinigung des Vereinigten Königreiches mit den USA, freilich unter der Vorherrschaft Washingtons. Entscheidend war für Mahan dabei, dass die angelsächsische Herrschaft über die Meere aufrechterhalten werden muss, bis weit in das 20. Jahrhundert hinein. Während ein Politiker wie Disraeli die Verlagerung des britischen Weltreiches nach Asien propagierte, warb der amerikanische Admiral für einen Auszug nach Amerika.

Sehnsucht nach der alten Seemacht

So unterschiedlich die Motive, das Selbstverständnis sowie der historische Hintergrund beider Thesen auch sein mögen, so sind diese doch Ausdruck des Selbstverständnisses des britischen Reiches als maritime Macht mit globalem Anspruch.

Was haben diese historischen Betrachtungen mit der aktuellen Aufrüstungsdebatte zu tun? Sicherlich, die Thesen von Mahan und Disraeli entstammen schon aus einer fernen Historie, das Empire existiert nicht mehr, ist auf ein paar Fetzen geschrumpft, verstreut in Form von entlegenen Inseln auf allen Weltmeeren.

Rückblick

Nach der Schlacht von Waterloo, als Napoleon – immerhin nach einem 20-jährigen Krieg – besiegt wurde, begann die Epoche der unbestrittenen Seeherrschaft Englands, welche Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte, wodurch auch das Zeitalter des globalen Freihandels begann.

Diese Zeit des Freihandels war auch die Zeit der freien Entfaltung der wirtschaftlichen und militärischen Überlegenheit Englands, welche nur in den seltensten Fällen durch „Fair Play“ erreicht wurde. Freies Meer und freier Weltmarkt verbanden sich zu einer Vision, als deren Hüter und Träger nur England beziehungsweise dessen Weltreich in Frage kommen konnte.

Um diese Zeit erreichten auch die kulturelle Ausstrahlung und die Bewunderung des englischen Vorbildes ihren globalen Höhepunkt. Es darf diesbezüglich nicht verwundern, dass die Vertreter dieser Strategie in London und andernorts bei aller ideologischen und parteipolitischen Heterogenität zumindest unterbewusst, häufig auch demonstrativ die Sehnsucht nach dieser Zeit propagieren, „when Britannia ruled the waves“, als „Britannien die Wellen beherrschte“.

Ausblick

Allerdings sind diese Zeiten vorbei, und selbst die „Special Relations” mit den USA sind momentan auf Sparflamme. Stattdessen ist London gezwungen, mit Paris und Brüssel gemeinsame Strategien zu entwickeln, aber nicht als Senior Partner. Dass es sich hierbei um eine von Nostalgie getragene Utopie handelt, die mit den aktuellen politischen Gegebenheiten nur sehr bedingt etwas zu tun hat, macht Großbritanniens nuklearen Wellenritt nicht ungefährlicher.

Titelbild: Mit KI (Grok) generiertes Symbild



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Von Veritatis

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