Was schreibt man über einen Fall, bei dem einem die Worte fehlen? Eine Attacke mitten am Tag. Ein Vater aus dem Auto gezerrt, zusammengeschlagen. Seine Ehefrau wird brutal attackiert, schreit verzweifelt um Hilfe. Die Kinder, zehn und dreizehn Jahre alt, müssen alles mitansehen. Hunderte Zeugen. Ein bekannter Gewalttäter. Unter den Augenzeugen: Göran Schattauer, Reporter von „Focus“, mit dem ich viele Jahre in einer Redaktion gearbeitet habe. Und dann: Kein Prozess. Kein Urteilsspruch. Kein Knast. Sondern ein Strafbefehl über 4500 Euro. Fertig.
Es gibt Fälle, da sagt der Umgang mit dem Verbrechen mehr über den Zustand einer Gesellschaft aus als die Tat selbst. Dieser Fall ist einer davon.
Der Täter war kein Unbekannter. Vorstrafen zuhauf: Diebstahl, Körperverletzung, Hausfriedensbruch, Beleidigung, Widerstand gegen die Polizei. Doch ein Gefängnis hat er nie von innen gesehen. Auch dieses Mal nicht. Der Staat zuckt mit den Schultern, stellt eine Rechnung aus und schickt ihn nach Hause.
Dabei war das alles andere als ein Bagatelldelikt. Ein Angriff mit K.o.-Schlägen, ein traumatisiertes Ehepaar, zwei Kinder mit Angst fürs Leben. Die Botschaft, die von dieser Entscheidung ausgeht, ist fatal. Für Opfer. Für potenzielle Täter. Für alle, die an einen funktionierenden Rechtsstaat glauben wollen. In Deutschland wird Menschen für viel kleinere Dinge der Prozess gemacht. Man denke an Ladendiebstähle, Politiker-Beleidigungen oder Sachbeschädigungen, wie der Kollege Schattauer in einem Bericht zu dem Justiz-Skandal treffend bemerkt.
Das milde Urteil ist kein Ausrutscher
Wer glaubt, hier habe jemand geschlampt oder sei milde gestimmt gewesen, irrt. Die Strafjustiz funktioniert so. Überlastete Gerichte, Deals statt Verhandlungen, das Mantra der “Resozialisierung”, das in der Praxis oft auf blanke Untätigkeit hinausläuft. In zahllosen Fällen werden Gewalttaten mit Geldsätzen abgegolten, als handele es sich um Parkverstöße.
Dabei geht es um mehr als einen Einzelfall. Es geht um das Vertrauen der Bevölkerung in ein System, das angeblich für Gerechtigkeit sorgen soll. Wenn ein Wiederholungstäter, der in aller Öffentlichkeit Menschen krankenhausreif schlägt, nicht einmal vor einen Richter treten muss, ist dieses Vertrauen ernsthaft erschüttert.
Die Opfer? Auf sich allein gestellt
Besonders bitter: Nicht einmal die Betroffenen wurden über den Abschluss des Verfahrens informiert. Sie erfuhren über die Presse, dass ihr Peiniger mit einer Geldstrafe davonkam. Was sagt das über die Wertschätzung für Opfer in diesem Land? Was sagt das über die Vorstellung von Fairness in unserem Rechtssystem?
Während die Täter ihre Freiheiten behalten, tragen die Opfer die seelischen Folgen – oft lebenslang. Wer ihnen nicht einmal die Würde einer öffentlichen Verhandlung zugesteht, sondern den Fall heimlich per Strafbefehl abwickelt, entzieht ihnen auch das letzte bisschen Gerechtigkeit.
Wer es gut meint mit unserem Land, muss sich fragen: Was muss eigentlich passieren, damit sich etwas ändert? Muss wirklich erst jemand sterben?
Oder genügt es, die falsche Meinung zu äußern?
Denn während brutale Wiederholungstäter mit Geldstrafen davonkommen, saß ein Mann wie Michael Ballweg monatelang in Untersuchungshaft – ohne Urteil, ohne erkennbare Fluchtgefahr. Ärzte, die Maskenatteste ausstellten oder Menschen mit Impfbescheinigungen vor einem übergriffigen Staat retteten, wurden von Polizei und Justiz wie Schwerkriminelle behandelt. Menschen mit Angst vor einem medizinischen Eingriff verloren ihre Jobs, ihre Konten, ihr Ansehen. Der Chefredakteur des „Deutschland-Kuriers“ wurde kürzlich zu einer Bewährungsstrafe verurteilt – wegen einer Karikatur von Nancy Faeser.
Und hier? Schläge, Blut, Traumatisierung. 4500 Euro.
Was sagt das über die Maßstäbe in unserem Land? Was über das, was „gefährlich“ ist – und was nicht?
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