In Potsdam diskutierten Verleger Holger Friedrich, Liedermacher Wenzel und die Unternehmerin Simona Stoychkova über Meinungsfreiheit seit 1989. Drei erfolgreiche Ostdeutsche – aber eine echte Debatte blieb aus
Holger Friedrich, Ostdeutscher, erfolgreich
Foto: Hans Christian Plambeck/laif
Freiheit, die ich meine – wie frei wird dieser Text? Als freie Autorin muss man aufpassen, was man schreibt, gerade, wenn es um Meinungsfreiheit geht. Schnell heißt es dann „Verschwörung“ oder gar „Demokratiefeindlichkeit“ (von vielen gern gleichgesetzt mit Kapitalismuskritik). Bei Verlegern und damit potentiellen Auftraggebern wird es noch schwieriger. Wie also schreiben über eine Potsdamer Podiumsdiskussion, bei der auch Holger Friedrich auf dem Podium sitzt? Am Donnerstag, in der Reithalle des Hans Otto Theaters, diskutierte der „Grenzgänger zwischen Wirtschaft und Gesellschaft“ und Inhaber der Berliner Zeitung mit der Unternehmerin Simona Stoytchkova (ihr Buch heißt Die aus dem Osten) und dem Liedermacher Hans-Eckardt W
Simona Stoytchkova (ihr Buch heißt Die aus dem Osten) und dem Liedermacher Hans-Eckardt Wenzel über „Die Schwierigkeit mit der Freiheit“, veranstaltet von der Initiative „Denk Raum Ost“, deren Schirmherr der ehemalige Ostbeauftragte und heutige Umweltminister Carsten Schneider ist. Staatsferne kann da niemand vorwerfen.Ost-West: Wer lernt von wem?Einen „Impuls“ darf vorab der nicht-ostdeutsche Medienforscher Roland Schatz geben. Tatsächlich macht er Werbung für seinen „Freiheitsindex“ und die Firma MediaTenor. Die Bildschirmpräsentation gerät jedoch länglich, unausgewogen, macht einen leicht wirren Eindruck, flackerte von Statistik-Folie zu Folie von Corona bis Genderwahn bis Bashing von ARD und ZDF, die aus Schatz‘ Sicht viel zu wenig über Unternehmer und neue Stellen, und viel zu viel über Gewerkschaften und Entlassungen berichteten. Überhaupt seien deutsche Medien zu negativ – „das macht was mit einem“.Holger Friedrich dankt „für den großartigen Vortrag“ und die präsentierten „Zahlen, die lügen nicht“. Zahlen von Schatz‘ Folien, viele Meinungsumfragen, dass immer weniger sich trauten, ihre Meinung zu sagen – und dass das seit Corona eklatant wurde. Das findet auch Wenzel, zwischen den Unternehmern sozusagen der Quotenkulturmann, damit es „interdisziplinär“ wird. Der linke Musiker hat sich als Kritiker an Coronamaßnahmen und Waffenlieferungen in die Ukraine Feinde gemacht und Türen versperrt. „Gott hat die Blödheit für alle Länder gleich verteilt“, witzelt er, „anständige Leute im Westen werden auch nicht gehört“. Die DDR sei ein „präkoitales Land“ gewesen, der Westen „postkoital“, von diesem „kulturellen Unterschied“ habe man mal lernen sollen – oder gar „tauschen“. Gelächter.„Kulturelle Verwahrlosung“Als „gelernter Ostdeutscher“ sei er „Auftrittsverbot“ gewohnt, nur seien die Absagen zu DDR-Zeiten „witziger“ gewesen. Per Telegramm habe man ihm damals zum Beispiel mitgeteilt, dass ein Konzert in Schwerin „wegen Heizungsschadens“ ausfallen müsse, nicht wegen Meinungsschadens. Heute dagegen kämen „Denkverbote“ „grundsätzlich“ daher, man gelte sofort als „Putinversteher“, „ein ideologisches Muster, mit dem sich die Gesellschaft Ordnung schafft“. Wenzel beobachtet „eine kulturelle Verwahrlosung“, in der „die Jungen zu Opportunisten“ erzogen würden.Holger Friedrich nennt es „strukturelle Unsicherheit“, die nicht zuletzt dadurch entstehe, dass Leitmedien „Lebenswirklichkeit“ nicht wahrnähmen, gerade mit Blick auf Ostdeutschland. Er selbst sei als Unternehmer „in den Medien immer der Böse“ gewesen, habe als Ausbeuter gegolten, falsche Autos gefahren und so weiter. „Als wir den Laden übernommen haben“ – mit seiner Ehefrau Silke kaufte Friedrich 2019 die Berliner Zeitung und wurde schlagartig zum enfant terrible der BRD – „sah ich: Die Mitarbeiter haben Angst vor der Wirklichkeit.“ Sie könnten und wollten sich keine eigene Meinung bilden, um kein Risiko einzugehen. „Ganz viele waren nicht bereit, sich auf das Abenteuer einzulassen, dass der Markt entscheidet, dass Kunden entscheiden.“Keine grundlegenden Fragen an Holger FriedrichTransformation sei „nur mit brutaler Gewalt“ gelungen, indem er mindestens das „strukturell unwillige und vielleicht auch unfähige Drittel“ der Belegschaft loswurde (Friedrich: „ausgetauscht“). In der Coronazeit habe er die Redakteure „gebeten, nicht so zu agieren wie alle anderen“. Auch auf die Gefahr hin, dass „Ängstliche einen diskreditieren“. Ihm gehe es darum, PR-verspricht Friedrich, „ein Angebot zu formulieren, Information zu liefern, die den Meinungskorridor weitet und nicht indoktriniert.“ Ob dazu für ihn auch gehört, die Grenzen zwischen Redaktion und PR zu verwischen, fragt Moderatorin Sarah Oswald (rbb) leider nicht. Oder ob eine Rüge des Presserats wegen wirtschaftlicher Interessenkonflikte gerechtfertigt war. Oder die Kritik, die Metropolitan School, von Friedrichs Frau als „Executive Director & Owner“ geführt, habe journalistisch verkleidete kostenlose Werbung erhalten. Oder ob der Meinungsfreiheit von Angestellten nicht vom Chef und vom Markt in jedem Unternehmen enge Grenzen gesetzt sind. Derlei grundlegende „strukturelle Unsicherheiten“ kommen auf dem Podium nicht zur Sprache. Der Diskurs bleibt an der Oberfläche individuell Mutiger, die sich gegen den Mainstream stellen und harsche, auch unfaire Gegenkritik riskieren. „Es ist kalt“, formuliert Friedrich, „der Wind bläst einem entgegen, es regnet, und keiner hilft einem, außer ganz wenige“.Gegenwind kennt auch Simona Stoytchkova. Aus dem Plattenbau hat sie es bis zur „Vorständin in der internationalen Finanzwelt“ geschafft – eine Beschreibung übrigens, die angesichts der anwesenden „Genderwahn“-Kritiker verblüfft. Um erfolgreich zu sein, rät Stoytchkova Ostdeutschen, sich Vorbilder zu suchen. Man solle „so oft wie möglich den Mund aufmachen und unsere Lebenserfahrungen in den Vordergrund stellen, wir haben sehr viel zu bieten!“ Sie sei „total stolz“ auf ihre Herkunft. Für sich nimmt Stoytchkova mehrere Diversitäten in Anspruch, „mit einer Frau verheiratet, mit Migrationshintergrund“ und „als Ossi geoutet“. Aber Diversität sei nicht gleich Quote, „auferlegte Diversität“ bringe nichts. Besser sei echte Chancengleichheit. Und aufzuhören mit der „größten Neo-Lüge“, die auch ihre Eltern ihr vermittelt hätten: „Wenn du hart genug arbeitest, schaffst du alles.“Ost-West-Diskussion? Uninteressant Pikanterweise verbreitet neben ihr Holger Friedrich genau diese neoliberale Erzählung. Er stellt sich selbst als einer, der es nicht leicht und alles aus eigener Kraft geschafft habe, als Beweis für deren Richtigkeit zur Verfügung. „Glück“, ruft einer aus dem Saal. Friedrich widerspricht „energisch“. Er kenne das Scheitern, aber man dürfe „niemand andern dafür verantwortlich machen, auch nicht irgendein ostdeutsches Drama“. Deshalb mag er auch nicht antworten auf die Frage, wie „der Osten mehr gehört“ werde. „Mich hat der Osten schon zu Ostzeiten nicht interessiert“, grantelt Friedrich gutgelaunt. Er habe sich erst als Ostdeutscher gefühlt, als er die Berliner Zeitung übernahm, mittlerweile sei ihm die Ost-West-Diskussion aber egal, da die „Mechanismen der Selbstverzwergung“ Gesamtdeutschland beträfen: „Viele sagen nicht mehr, was sie denken, wir werden intolerant – woher kommt das? Wie gehen wir damit um?“ Für ihn wäre der Frieden auf der Welt und Kants Schrift Zum ewigen Frieden – „eine relevante Diskussion“.Noch relevanter wäre sie, denkt sich die Zuhörerin, wenn kritisch hinterfragt würde, dass Informationen zu Waren werden. Oder wenn es nicht vor allem um die „Lebenswirklichkeit“ und Meinungsfreiheit der Erfolgreichen ginge. Derjenigen, die es sich leisten können, eine ganze Zeitung zu kaufen oder einen Konzertauftritt zu verlieren. Was ist mit abhängig oder prekär Beschäftigten? Als die Autorin dieses Artikels vor Jahren mal „feste Freie“ bei der Berliner Zeitung war, lange vor Friedrich, hat sie die Kollegen nicht als duckmäuserisch erlebt, eher die Verhältnisse. Auch damals wurde mit jedem neuen Chef oder Geldgeber fleißig „ausgetauscht“, Leute, Konzepte, Zielvorgaben.Die Berliner Zeitung erzwingt DebattenHeute sei seine Redaktion, findet Friedrich, „ein super Team“, man werde „von der Konkurrenz schwerstbeschimpft und von den Lesern geliebt“. Die Berliner Zeitung sei „das beste Beispiel dafür, dass Meinungsfreiheit möglich ist“, auch wenn er dafür einen hohen Preis zahle: „soziale Ausgrenzung, Diffamierung, Kontaktschuld, Beschimpfung“. Zurzeit exemplarisch zu erleben beim multimedialen „Auf ihn mit Gebrüll“ gegen die legendäre, von Holger Friedrich wiederbelebte Weltbühne. Da ist von „Enteignung“ (FAZ) die Rede, von „Wurstblatt in großen Fußstapfen“ (taz), „Teil der hybriden Kriegsführung des Kreml“, mit Hilfe von „nützlichen Idioten“ (Ilko-Sascha Kowalczuk im DLF).Auch das kann Meinungsfreiheit: wehtun, fies sein, ungerecht, diskursverweigernd. Die Freiheit, widersprüchlich zu sein, daneben zu liegen, beleidigt zu sein. Allerdings versäumen die Berliner-Zeitungs-Kritiker gern zu erwähnen, dass Holger Friedrich, egal, was man von beiden hält, das Blatt saniert und die Meinungsvielfalt erhöht hat. Das Verdienst kann man ihm durchaus anrechnen, anstatt ausschließlich auf vermeintliche Vergehen zu starren. Die Autorin zumindest ist seit Corona dankbar. Das Ostberliner Blatt war eines der wenigen seriösen Medien, das dem Chor der einseitigen Berichterstattung die Stimme entzog. Und ohne die „Berliner“ verliefe die Pandemie-„Aufarbeitung“ gewiss noch schleppender. Sie fördert und erzwingt Debatte.Sozialist Wenzel, Kapitalist Friedrich und der Mainstream Im Potsdamer Theater bleibt jedoch der Eindruck, dass Diskussion kaum stattfindet. Es wirkt eher, als würden verschiedene Insta-Reels beifallheischend ihre Statements zum Liken anbieten. Wenzel ist besonders begabt, amüsante Assoziations- und Zitatketten von Bertold Brecht bis Heiner Müller zu knüpfen. Diametrale Gegensätze wie die zwischen dem überzeugten Sozialisten Wenzel und dem überzeugten Kapitalisten Friedrich werden so nicht ausgetragen und Widersprüche nicht mal angesprochen. Um den aneinander-vorbei gemeinsam geführten Kampf gegen den Gegner „Mainstream“ nicht zu gefährden? Viel mehr als der Unwille über den engen Meinungskorridor und ein grundsätzliches Bekenntnis zur Demokratie – man steht sehr fest auf dem Boden des Grundgesetzes – verbindet die Diskutanten nicht. Das reduziert sich dann rasch auf Achtsamkeitslyrik à la „das Positive sehen und selbstbewusst nach vorne gehen“ (Stoytchkova), „Freiheit ist kein Sonnenbrand“ (Wenzel), „Einsicht in die Notwendigkeit“ (Friedrich) oder „ostdeutsche Erfahrungen sind ein Schatz“ (Schatz).Als sich ds Podium dem Publikum öffnet, traut sich erstmal keiner. Schließlich melden sich einige Männer, manchem zittert die Stimme, der Saal ist ausverkauft, die große Bühne ungewohnt. Schüchterne, rhetorisch Ungeübte, Rotwerder haben es von Natur aus schwerer mit der Meinungsfreiheit, sie bricht ihnen gewissermaßen weg auf dem Weg vom Hals zu den Lippen. Doch wer weiß, vielleicht sind die weniger Erfolgreichen (meinungs)freier als Promis auf der Bühne. Wie Udo Weber aus Potsdam: vor der Rente führte er ein kleines Puppentheater und fragt, der kapitalistisch bedingten Ego- und Megalomanie zum Trotz, warum denn alles immer so groß sein müsse: „Mein Plan war immer, etwas zu minimieren. Ich hatte das Glück, mit 22 Jahren dem Puppentheater zu verfallen.“Freiheit, die ich meine, dichtete einst Max von Schenkendorf, als Niederlausitzer Ostpreuße übrigens ebenfalls Ossi. Sein politisches Gedicht wurde zum Volkslied. Es endet so: „Freiheit, holdes Wesen / Gläubig, kühn und zart, / Hast ja lang erlesen / Dir die deutsche Art.“ Na dann!Transparenzhinweis: Die Autorin hat vor einiger Zeit den einen und anderen Artikel per „open source“ bei der Berliner Zeitung veröffentlicht. Die Podiumsdiskussion konnte sie nicht vor Ort, sondern nur per Livestream verfolgen.