Das Berliner Abgeordnetenhaus hat am Donnerstag in erster Lesung einen Gesetzentwurf der schwarz-roten Regierung besprochen, der eine Ausweitung der Kompetenzen des Landesverfassungsschutzes vorsieht. Die Novellierung, die der Senat als Drucksache bereits am 26. Mai vorlegte, soll das Berliner Verfassungsschutzgesetz von 39 auf 66 Paragrafen erweitern. Anlass, so heißt es in der Drucksache, sind jüngere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, aus denen sich das Erfordernis einer ausführlicheren gesetzlichen Normierung ergibt. Das bestehende Gesetz in seiner Fassung von 2001 sei nicht mehr zeitgemäß, heißt es in der Drucksache.
Das gelte insbesondere für „eingriffsintensivere Maßnahmen“, wie etwa „längerfristige Observationen, den Einsatz verdeckt ermittelnder Personen oder die Wohnraumüberwachung“. Dargestellt wird der Gesetzentwurf durch den Senat also als eine Konkretisierung zum Schutz der Betroffenen. Die zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hatten in verschiedenen Bundes- und Landesverfassungsschutzgesetzen nicht hinreichend konkretisierte und zu niedrigschwellige Normen kassiert.
2022 erklärte das Bundesverfassungsgericht eine ganze Reihe von Ermächtigungen des bayerischen Verfassungsschutzgesetzes für nichtig. So wertete es Regelungen zur Wohnraumüberwachung, Online-Durchsuchung, Handy-Ortung sowie den Einsatz von verdeckten Ermittlern und V-Leuten als Verletzung des Schutzes der informationellen Selbstbestimmung, der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, des Fernmeldegeheimnisses und der Unverletzlichkeit der Wohnung. Die Richter bemängelten das Fehlen einer unabhängigen Vorabkontrolle.
Ebenfalls 2022 beanstandete das Bundesverfassungsgericht das Übermitteln von durch den Verfassungsschutz gesammelten Personendaten an die Polizei und Staatsanwaltschaft. Eine solche Übermittlung ist wegen der unterschiedlichen Aufgabenbereiche von Geheimdienst und Strafverfolgung problematisch und erfordert daher das Vorliegen besonders schwerer Straftaten und damit ein herausragendes öffentliches Interesse. Das Gesetz über die Rechtsextremismus-Datei, das in einer umfassenden Normenkette – ein Verstoß gegen die Normenklarheit – auf das Bundesverfassungsschutzgesetz verwies, befand das Gericht daher als unverhältnismäßig.
Ein ähnliches Schicksal ereilte 2024 das hessische Verfassungsschutzgesetz. Dessen normierte Befugnisse zur Handy-Ortung, dem Einsatz verdeckter Ermittler und der Abfrage von Flugdaten verletzten wegen ungenügender Eingriffsschwellen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Hessen hatte zuvor sein Verfassungsschutzgesetz als Antwort auf das Urteil zum bayerischen Verfassungsschutzgesetz nachgebessert – jedoch ungenügend, wie das Gericht befand.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass nun die Novellierung des Berliner Verfassungsschutzgesetzes etwa eine externe Vorabkontrolle für den Einsatz von Wohnraumüberwachungen vorsieht oder besonders eingriffsintensive Maßnahmen ausführlich normiert. Doch weshalb die Gesetzesänderung nun an vielen Stellen das Herunterstufen von Eingriffsschwellen und Transparenz sowie das Ausweiten der Kompetenzen des Landesverfassungsschutzes vorsieht, ist, gelinde gesagt, unverständlich.
So sieht das neue Gesetz vor, dass der Verfassungsschutz „ausschließlich zur Abwehr einer dringenden Gefahr für ein besonders bedeutendes Rechtsgut“ zulässig ist. Dabei handelt es sich um die Formulierung, die das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen geprägt hatte. Der alte Paragraf 9 zum Einsatz technischer Mittel zur Überwachung von Wohnungen sah dagegen vor, dass dies „ausschließlich bei der Wahrnehmung der Aufgaben auf dem Gebiet der Spionageabwehr und des gewaltbereiten politischen Extremismus“ zulässig ist – ein eindeutig engerer und eindeutiger Begriff.
Weiterhin sieht der Paragraf 27a bisher vor, dass Verfassungsschutzbehörden nur Konten durchleuchten dürfen, „wenn tatsächliche Anhaltspunkte für Gefahren für Leib und Leben“ vorliegen. Diese Voraussetzung soll künftig wegfallen. Muss der Verfassungsschutz eine derartige Bedrohungslage abwarten, könne er seiner Rolle als „Frühwarnsystem“ nicht nachkommen. Während die Ermächtigungsgrundlagen für den Verfassungsschutz ausgeweitet werden, wird der Auskunftsanspruch der Bürger gegen den Verfassungsschutz verringert.
Dass bisher jeder einen Anspruch darauf hatte, zu erfahren, ob er vom Verfassungsschutz überwacht wird, habe „in der Vergangenheit zu einer Flut von Verfahren geführt“. Zukünftig soll ein Antrag einen „konkreten Sachverhalt“ und ein „berechtigtes Interesse“ erfordern. Man könnte den Auskunftsantrag also auch direkt als Hinweisgeberportal umbenennen, immerhin kann man die Behörden so erst auf Ideen bringen.
Unter dem Deckmantel der vermeintlichen Konkretisierung werden Bundesverfassungsgerichtsurteile zu ganz anderen Normen zum Anlass genommen, um ein viel konkreteres Gesetz aufzuweichen. Von eindeutigen und engen Begriffen runter zum Mindeststandard, den das Grundgesetz hergibt.