Eine Leserin, die mir ans Herz gewachsen ist und die ich sehr schätze, schickte mir heute einen Link zu einem YouTube-Video eines Bloggers. Es geht dort um die USA, Israel und den Iran. Ich schaute kurz rein – und es klang für mich mehr nach Alarmsirene als nach Journalismus. Eine agitatorische Dauerbeschallung. Da geht es nicht darum, ein Thema zu erschließen oder eine Debatte zu eröffnen, sondern darum, die eigene Zielgruppe in einem Dauerzustand von Alarm und Abgrenzung zu halten. Stilistisch erinnert es an Polit-Infotainment, allerdings ohne jede ironische Brechung. Ein Dauer-Alarm. Minutenlange Hyperventilation. Trump greift an, Weltkrieg droht, alles wird vertuscht, niemand berichtet, die Medien lügen – und das in einer Tonlage, als hätte jemand den Feuermelder auf Helium laufen lassen. Keine Quellenprüfung, keine Differenzierung, keine leisen Töne. Nur Dauersirene. Und ich merkte beim Zuhören: Ich schäme mich. Dafür, dass ich in solchen Kontexten mitgedacht werde.
Ich will den Kollegen nicht beim Namen nennen, denn Kollegenschelte per se liegt mir fern. Allerdings kann ich auch nicht länger den Mund halten, ohne mir selbst irgendwann nicht mehr in die Augen schauen zu können. Denn das Video ist nur die Spitze des Eisbergs – auf dem besagten Kanal ebenso wie leider sehr, sehr oft in jenem journalistischen Milieu, dem ich zugerechnet werde.
Aber wer nicht mitheult im Sirenenjournalismus, gilt als verdächtig. Ich bekomme böse Zuschriften, weil ich einen kritischen Gastbeitrag von Klaus Kelle zum Thema Israel und Iran veröffentlicht habe – und offenbar manche erwarten, dass ich als Zensor agiere, also genauso wie die großen Medien, nur mit umgekehrtem Vorzeichen. Andere wiederum werfen mir vor, ich positioniere mich nicht laut genug in dem Konflikt – das erinnert mich an den Geist der DDR, wo einem vorgeworfen wurde, man zeige zu wenig Klassenbewusstsein.
Ich war nie ein Fachmann für den Nahen Osten. Ich klage oft und laut über die Unsitte, dass sich zu viele Journalisten für allwissend und bei jedem Thema für kompetent halten. Und ich will nicht das Gleiche tun, was ich anderen vorwerfe – berichten nach dem Motto: „Ich habe zwar keine Ahnung, aber ziemlich viel davon, und enormen Mitteilungsdrang.“ Ich habe 16 Jahre in Moskau gearbeitet und kenne die frühere Sowjetunion aus dem FF – da maße ich mir an, auch öffentlich mitreden zu können. Aber zwei Besuche in Israel reichen nicht aus, um mich als Nahost-Kenner auszugeben.
Gäbe es in der Medizin ähnliche Maßstäbe wie im Journalismus, würden Zahnärzte Herzoperationen durchführen. Orthopäden würden mit halb angelesenem Wikipedia-Wissen über Chemotherapie beraten. Und der HNO-Arzt würde sich berufen fühlen, das Gesundheitswesen von Grund auf umzubauen – mit YouTube als Hausarzt und Telegram als Chefarzt. Aber Moment – hatten wir das nicht schon? Ein gewisser Lauterbach, der über alles redet, nur nie über seine eigene Inkompetenz?
Ich will aufklären, nicht agitieren. Ich will informieren, nicht indoktrinieren. Und ja, ich will die Regierung kritisieren – aber nicht mit den gleichen Methoden, mit denen sie oft selbst agiert: selektiv, hysterisch, unredlich.
Natürlich habe ich eine Meinung zum aktuellen Konflikt – auch wenn ich kein Nahost-Experte bin. Was mich wirklich fassungslos macht, ist, wie viele Menschen hierzulande plötzlich Sympathien für das blutige Mullah-Regime in Teheran entwickeln – ein Regime, das Frauen ins Gefängnis wirft, weil sie sich nicht verschleiern, und Kritiker ohne mit der Wimper zu zucken hinrichten lässt.
Wie kann man hierzulande den Islamismus verurteilen – zu Recht – und gleichzeitig eines seiner ideologischen Kraftzentren mit Nachsicht oder gar Bewunderung betrachten?
Dass ausgerechnet die AfD, die innenpolitisch mit Recht eine harte Linie gegen islamistische Strömungen fährt, sich nun um jegliche klare Worte gegenüber dem islamistischen Terrorregime in Teheran drückt – das ist für mich schwer erträglich.
Diese Stellungnahme ist eine katastrophale programmatische Fehlentscheidung der AfD. Man kann nicht glaubhaft gegen Islamismus sein, ohne gegen Islamisten zu sein. Der Islamismus, der nach Deutschland einwandert und in Deutschland wütet, ist direkt und untrennbar verbunden mit… https://t.co/hmaylwVkjT
— Julian Reichelt (@jreichelt) June 19, 2025
Das heißt nicht, dass man alles gutheißen muss, was Israel tut. Kritik ist legitim, manchmal sogar notwendig. Aber die Mullahs mit Atomraketen als das kleinere Übel oder gar als Opfer zu verklären – das halte ich für hochgefährlich.
Aber wie gesagt: Das ist meine persönliche Meinung. Ich bin kein Fachmann für Außenpolitik. Und selbst dort, wo ich einer bin, weiß ich: Irren gehört zum Geschäft.
Und nein: Wer das so sieht, ist nicht automatisch „zionistischer Agent“ oder „NATO-Journalist“ – sondern schlicht: bei Verstand.
Natürlich wäre es einfach, all das zu verschweigen, und in das Sirenen-Geheul im eigenen Milieu mit einzusteigen. Die Echokammer zu bedienen. Aber das kommt für mich – genauso wie beim Thema Ukraine – nicht in Frage.
Ich weiß: Bei Corona lag ich oft auf genau jener Linie, die heute in vielen alternativen Medien dominiert. Aber das war keine Pose. Ich war nicht gegen die Corona-Politik, weil ich grundsätzlich gegen alles bin – ich war dagegen, weil ich sie für fatal falsch hielt. Weil ich überzeugt war – und bis heute bin – dass die Politik in Teilen totalitäre Züge angenommen hat. Und ich fühlte mich im Recht. Nicht, weil ich Recht behalten wollte. Sondern weil ich glaubte, dass man es sagen muss. Genau das unterscheidet Überzeugung von Gewohnheit. Und Kritik von Geschäft.
Ich finde: Jeder anständige Journalist muss sich unbeliebt machen. Zwar in erster Linie bei den Mächtigen – aber nicht nur. Ein echter Journalist muss anecken. Deutlich. Ich nehme kein Blatt vor den Mund, wenn es um ideologische Entgleisungen, Doppelmoral oder autoritäre Reflexe geht. Da muss man auch mal vor der eigenen Haustüre kehren. Auch wenn es weh tut.
Ich will keine Panikmaschine sein. Kein Sprachrohr, das seiner Zielgruppe nach dem Mund redet, nur eben in Gegenrichtung zu den Öffentlich-Rechtlichen. Ich bin kein umgekehrter Lautsprecher. Ich bin auch kein Besserwisser, der sich über jede Verwerfung freut, weil sie ins eigene Weltbild passt.
Was sich da auf YouTube und anderswo aber immer mehr ausbreitet, ist keine Gegenöffentlichkeit. Es ist eine Gegenhysterie. Sirenenjournalismus. Jeden Tag Weltuntergang. Jede Schlagzeile ein Krieg. Jedes Ereignis ein Beweis für die große Verschwörung. Das ist nicht kritisch – das ist toxisch. Und es ist gefährlich, weil es den Unterschied zwischen Information und Manipulation aufhebt. Zwischen Recherche und Rage.
Das Tragische: Viele dieser Formate sprechen berechtigte Themen an. Korruption. Machtmissbrauch. Medienversagen. Aber sie tun es in einer Form, die jeden Gedanken verbrennt. Weil sie alles anzünden.
Mir geht es um Aufklärung – nicht um Erregung. Um Analyse – nicht um Alarmismus. Und ja, auch um Haltung. Aber nicht im moralischen Sinn, sondern im Sinne von Rückgrat: etwas aushalten können. Auch Widerspruch. Auch Zweifel. Auch die Möglichkeit, sich zu irren.
Sicher kostet mich dieser Text Leser. Vielleicht empören sich manche, die lieber Trommelwirbel hören als Zwischentöne. Aber ich bin lieber frei als beliebt. Und ich glaube: Wer sich wirklich dem Journalismus verpflichtet fühlt, muss auch mal Nein sagen können. Nein zu den eigenen Leuten. Nein zur eigenen Szene. Nein zum Dauer-Alarm. Manchmal heißt das auch: sich abgrenzen. Von den eigenen Reihen. Von jenen, die meinen, auf der richtigen Seite zu stehen – aber sich längst in ihrer eigenen Echokammer verirrt haben.
Denn wer immer nur heult, wird irgendwann nicht mehr gehört.
Ich bin nicht Ihre Sirene. Nicht Ihr Lautsprecher. Ich bin ein freier Mensch. Und ich möchte es bleiben.
Ich lasse mich nicht vereinnahmen – von keiner Seite. Wer mich liest, bekommt keinen Frontalunterricht, kein betreutes Denken, sondern Klartext. Und Nachdenklichkeit. Und kritisches Hinterfragen – auch der eigenen Seite. Ohne Auftrag. Ohne Lagerzugehörigkeit.
Umso mehr freue ich mich über jeden Leser, der nicht nur seine eigene Meinung bestätigt sehen will, sondern auch bereit ist für unbequeme Denkanstöße.
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