Es sollte ein Leuchtturmprojekt der Ampelregierung werden: Mit insgesamt sieben Milliarden Euro an staatlichen Beihilfen sollte die deutsche Stahlproduktion umgebaut werden. Direktreduktionsanlagen und Elektrolichtbogenöfen sollten die alten Hochöfen ersetzen. Ziel war ein Stahl „made in Germany“ – hergestellt ohne Kohle, dafür mit grünem Wasserstoff und Ökostrom. Wirtschaftsminister Robert Habeck betonte mehrfach seine Vision: „Wir wollen einen Stahl, der nachhaltig Geld verdient – und zwar so viel, dass wir die Transformation hin zu grünem Stahl schaffen.“
Doch die Realität holt die Vision ein. Die Kosten sind hoch, die Risiken groß – und im Juni sorgte der weltgrößte Stahlerzeuger ArcelorMittal für Entsetzen in Bremen und Eisenhüttenstadt. Die Transformation der Werke in beiden Städten sollte eine Schlüsselrolle in der grünen Stahlstrategie der Bundesregierung spielen. Beide Standorte gehören zu den wichtigsten Flachstahlwerken des Konzerns in Deutschland – bislang betrieben mit klassischer Hochofentechnologie, bei der Eisenerz mithilfe von Koks zu Roheisen reduziert wird.
Geplant war ein umfassender Umbau: Die Hochöfen, Konverter und Sinteranlagen sollten stillgelegt und durch eine Kombination aus Direktreduktionsanlage (DRI) und Elektrolichtbogenöfen (EAF) ersetzt werden. In Bremen sollte eine neue DRI-Anlage entstehen, in der Eisenerz mit Wasserstoff oder Erdgas zu sogenanntem Eisenschwamm reduziert wird – ein fester, poröser Vorstoff. Dieser sollte anschließend mit Stahlschrott in drei neuen EAF-Anlagen in Bremen und Eisenhüttenstadt zu Rohstahl eingeschmolzen werden – elektrisch statt kohlebasiert.
Das Projekt lief unter dem Namen „DRIBE2“ und war mit 1,3 Milliarden Euro Fördermitteln unterlegt. Doch im Juni 2025 folgte die Kehrtwende: ArcelorMittal erklärte das Vorhaben für wirtschaftlich nicht tragfähig und legte die Pläne auf Eis. Die Begründung fiel ungewöhnlich deutlich aus. Reiner Blaschek, Chef der europäischen Flachstahlsparte, erklärte: „Die Rahmenbedingungen ermöglichen aus unserer Sicht kein belastbares und überlebensfähiges Geschäftsmodell.“
ArcelorMittal verweist auf drei zentrale Hürden: hohe Strompreise, unklare Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff und mangelnde Planungssicherheit. Selbst mit staatlicher Förderung seien die Betriebskosten nicht wettbewerbsfähig. Die Wasserstoffstrategie sei mit erheblichen Risiken behaftet, da Preis und Versorgung ungewiss blieben. Und auch die politischen Vorgaben – etwa enge Fristen und komplexe Auflagen – ließen aus Sicht des Konzerns keine verlässliche Investitionsgrundlage erkennen. Die Entscheidung ist damit nicht nur ein Rückzug aus einem Projekt, sondern ein unüberhörbares Alarmzeichen für den Standort Deutschland: Selbst mit Milliardenhilfen ist grüner Stahl in Deutschland derzeit nicht wirtschaftlich darstellbar.
Die Träume von Herrn Habeck werden nun in Frankreich realisiert – dank Strom aus Kernkraft
Während Deutschland infolge der Energiewende mit steigenden Stromkosten und wachsender Abhängigkeit von Stromimporten kämpft, bietet Frankreich, was hierzulande fehlt: Eine stabile, rund um die Uhr verfügbare und vergleichsweise günstige Stromversorgung. Rund 70 Prozent des französischen Stroms stammen aus Kernenergie – CO₂-arm, grundlastfähig und unabhängig von Wetter oder Tageszeit. Ergänzt wird dieser Mix durch die ebenfalls stabile und günstige Wasserkraft und einen begrenzten Anteil von Wind- und Solarstrom.
Die Verlässlichkeit des französischen Strommixes erlaubt es auch, dass industrielle Großverbraucher dort von langfristigen Lieferverträgen zu günstigen Preisen profitieren. Das Ergebnis ist eine Versorgung, die in allen Dimensionen der Energiepolitik überzeugt: Preisgünstig, versorgungssicher und obendrein – anders als der deutsche Strommix – klimafreundlich.
So kann es kaum verwundern, dass ArcelorMittal im nordfranzösischen Dunkerque rund 1,2 Milliarden Euro in den Umbau zur grünen Stahlproduktion investiert, genau für jene Kombination aus Direktreduktionsanlage und Elektrolichtbogenöfen, die auch in Bremen und Eisenhüttenstadt geplant war. Die neue DRI-Anlage soll jährlich 2,5 Millionen Tonnen Eisenschwamm liefern, der zusammen mit Stahlschrott in zwei EAFs zu Rohstahl verschmolzen wird. Während die Umsetzung in Deutschland an den hohen Kosten scheitert, die durch die Energiewende verursacht werden, entstehen in Frankreich nun reale Industrieanlagen.
Mit einem Wort: Die Blaupause deutscher Grünstahlpolitik wird an der Kanalküste zur Wirklichkeit. Und so erfüllt sich der Traum von Herrn Habeck ausgerechnet dort, wo der Strom aus jenen Reaktoren fließt, die seine Partei seit Jahrzehnten bekämpft.
Die energieintensive Industrie in Deutschland ist in der Dauerkrise
Arcelor Mittals Rückzug ist kein Einzelfall, sondern Symptom einer strukturellen Krise. Die energieintensive Industrie in Deutschland steckt seit Jahren im Rückwärtsgang. Im Land prägen Produktionsrückgänge, Investitionsverlagerungen und Stellenabbau das Bild. Laut einer aktuellen DIHK-Umfrage planen 40 Prozent der Industrieunternehmen Investitionen im Ausland, vor allem wegen hoher Energie- und Arbeitskosten sowie wachsender regulatorischer Belastungen.
Besonders betroffen sind Branchen wie Stahl, Chemie, Glas, Papier und Metallverarbeitung – also genau jene Industrien, die das industrielle Rückgrat Deutschlands bilden. Sie liefern Grundstoffe für nahezu alle Wertschöpfungsketten, von der Automobil- bis zur Bauwirtschaft. Doch ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit erodiert. Die Energiekosten in Deutschland zählen zu den höchsten weltweit: Laut DIHK ist Strom bis zu fünfmal, Gas bis zu siebenmal teurer als an konkurrierenden Standorten. Und das trotz gesunkener Börsenstrompreise – denn Netzentgelte, Abgaben und Umlagen treiben die Endpreise weiter nach oben.
Die Folgen sind messbar: Der industrielle Energieverbrauch ist in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen – nicht aus Effizienzgründen, sondern weil weniger produziert wird. Besonders in der energieintensiven Industrie ist der Rückgang zweistellig. Unternehmen wie BASF, Evonik oder Trinseo haben bereits Werke geschlossen oder Investitionen ins Ausland verlagert. Auch Aluminiumhütten, Gießereien und Glaswerke drosseln ihre Produktion oder fahren sie ganz herunter. Die Folgen sind drastisch: So ist laut Statistischem Bundesamt die Produktion der energieintensiven Industrie seit Ende 2017 um über 20 Prozent zurückgegangen.
Können kleine Konkurrenten mit Grünstahl-Projekten in Deutschland Erfolg haben?
Mit ThyssenKrupp Steel, Salzgitter und der Stahl-Holding-Saar (SHS) halten drei im Vergleich zu ArcelorMittal kleinere Hersteller an ihren Grünstahlprojekten in Deutschland fest. Basierend auf milliardenschweren Förderzusagen der öffentlichen Hand wollen sie die Errichtung von Direktreduktionsanlagen weiterverfolgen. Die Zweifel sind groß – so räumte Thyssenkrupp Steel jüngst ein, dass man sich „an der Grenze der Wirtschaftlichkeit“ bewege. Bauverzögerungen, hohe Stromkosten und unklare regulatorische Rahmenbedingungen erschweren jede Planbarkeit. Was einst als Aufbruch galt, wirkt heute wie ein industriepolitisches Vabanquespiel.
Die Stahlhersteller geraten ab 2026 zunehmend unter Druck, denn dann endet die kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten für die Hochofenroute. Künftig müssen Unternehmen ihre CO₂-Emissionen im Rahmen des EU-Emissionshandels selbst bezahlen – zu Marktpreisen zwischen 60 und 80 Euro pro Tonne. Für integrierte Hüttenwerke wird jeder Hochofentag damit teurer. Nichtstun ist daher keine Option: Denn während internationale Wettbewerber meist keine vergleichbaren CO₂-Kosten tragen, wird Stahl „made in Germany“ immer unattraktiver.
Die europäische Klimapolitik stellt die deutsche Stahlindustrie damit vor ein Dilemma: Entweder man riskiert das Aus – oder man lässt sich mit staatlicher Milliardenförderung auf unsichere Grünstahlprojekte in Deutschland ein. Wie eine solche Gratwanderung konkret aussieht, zeigt das Beispiel der Stahl-Holding-Saar (SHS).
Die Hoffnung auf Überleben durch Anpassung an die Politik
Die SHS – Stahl-Holding-Saar – zeigt, wie stark die Energiewende das Überleben regional verwurzelter Unternehmen herausfordert. Als kleines, regional gebundenes Unternehmen mit einer Stiftungsstruktur ist die SHS strukturpolitischen Zielen für das Saarland verpflichtet, sodass im Gegensatz zu Arcelor Mittal eine Verlagerung der Produktion ins Ausland nicht in Frage kommt – also muss die SHS unter zunehmend ungünstigen Bedingungen bestehen. Mit dem Projekt „Power4Steel“ sollen 70 Prozent der Produktion bis 2030 auf grüne Verfahren umgestellt werden. Geplant sind eine Direktreduktionsanlage in Dillingen sowie zwei Elektrolichtbogenöfen in Dillingen und Völklingen. Die Investitionssumme: 4,6 Milliarden Euro, davon 2,6 Milliarden aus öffentlichen Mitteln.
Doch die Unsicherheit ist hoch: Dies beginnt bereits mit dem Stromproblem. Nach Unternehmensangaben werden die neuen Anlagen einen so hohen Strombedarf haben, dass der Stromverbrauch des Saarlandes sich verdoppeln würde. Der Konzern fordert deshalb einen Industriestrompreis von 4 ct/kWh – aktuell zahlt er nach Unternehmensangaben das Dreifache. Rein rechnerisch wären zur Deckung des zusätzlichen Strombedarfs rund 800 moderne Windkraftanlagen nötig – ein unrealistisches Szenario in einem dicht besiedelten Bundesland. Da Windkraftanlagen keine kontinuierliche Versorgung liefern können, wären auch wetterunabhängige Backup-Kraftwerke erforderlich, etwa drei bei Dunkelflauten voll ausgelastete Gaskraftwerke – eigens für die Stahlproduktion.
Dies alles wird Stromkosten nach sich ziehen, die weit über 10 ct/kWh liegen werden. Es wird also notwendig sein, dass der Staat die Stromkosten senkt. Eine Perspektive auf günstigere Strompreise ist kaum zu sehen – sie werden auf Sicht der nächsten 10 Jahre eher zunehmen, wofür die hohen Netzkosten verantwortlich sind, die durch den Ausbau der sogenannten Erneuerbaren auf uns zukommen. Der Subventionsbedarf für den hohen Stromverbrauch der saarländischen Stahlindustrie wird also dauerhaft sein.
Hinzu kommt die ungelöste Wasserstofffrage. Grüner Wasserstoff wird von deutschen Politikern immer wieder als das Rezept der Zukunft angepriesen, aber leider mussten wir in den letzten zwei Jahren beobachten, dass uns immer wieder Meldungen über abgesagte Projekte erreichten. Ein wichtiger Rückschlag war dabei die im November 2024 eingetretene Insolvenz des Unternehmens HH2E, welches zuvor versprach, grünen Wasserstoff in großer Menge für industrielle Abnehmer wie die Stahlindustrie herzustellen.
Alternative Konzepte wie beispielsweise die von Herrn Habeck vorangetriebene Versorgung der deutschen Wirtschaft mit aus Erdgas gewonnenem Wasserstoff aus Norwegen sind gescheitert. Diese wurde von Seiten Norwegens wegen erheblicher Zweifel an der wirtschaftlichen Tragfähigkeit abgesagt. So bleibt hinter der Beschaffung der benötigten Wasserstoffmengen ein dauerhaftes Fragzeichen. Dies reflektiert sich auch in den Marktpreisen: So ist grüner Wasserstoff zurzeit am Markt etwa fünf- bis sechsmal so teuer wie Erdgas und Prognosen gehen davon aus, dass wir auch im Jahr 2030 bei mindestens dem dreifachen Preis liegen werden.
Die Vision von grünem Wasserstoff hat keine wirtschaftliche Grundlage. Dass Altkanzler Scholz schließlich auf französischen Atomstrom zur Wasserstoffproduktion setzte, wirkt wie ein stilles Eingeständnis: Ohne Kernkraft geht es offenbar doch nicht – nur eben nicht in Deutschland.
Dabei hätte in der Tat die heimische Kernkraft eine Lösung dieser Problemstellung angeboten: Allein die Rückholung des abgeschalteten KKW Neckarwestheim-2 ans Netz hätte circa 11 Milliarden kWh pro Jahr geliefert – CO2-neutral, verlässlich und vor allem günstig. Mit diesen Anlagen hätte man den von der Unternehmensführung geforderten Preisbereich von bis zu 4 ct/kWh erreichen können. Leider war gerade von der energieintensiven Industrie wenig Widerstand gegen die Abschaltung dieser Anlagen zu vernehmen – nach Subventionen zu rufen ist wohl einfacher.
Was bleibt? Es wird künftig an der Saar Stahl hergestellt, der auf absehbare Zeit nicht marktfähig sein wird. Der derzeitige Weg besteht darin, dass der Staat die Kosten mit Subventionen drückt – für diese ist derzeit aber keine zeitliche Begrenzung in Sicht. Eine weitere Scheinlösung besteht in der Idee „grüner Leitmärkte“, die auch in den aktuellen Diskussionen wieder auftaucht. Diese bedeuten, dass Stahlabnehmer – etwa die Automobilindustrie – verpflichtet werden sollen, bestimmte Quoten an grünem Stahl zu kaufen. Dies wird aber deren Kosten nach oben treiben und somit den Abwanderungsdruck der deutschen Industrie weiter erhöhen. In Summe wird dies also die wirtschaftlichen Probleme unseres Landes weiter erhöhen – und der Staat wird sich nicht auf Dauer immer weiter verschulden können. Diese Rechnung wird am Ende jemand bezahlen müssen.
Fazit: Kurskorrektur oder Kontrollverlust
Deutschlands Industrie steht an einer Weggabelung: Die Energiewende treibt Stromkosten und die Versorgungsunsicherheit nach oben. Ohne verlässliche Rahmenbedingungen – bezahlbarer Strom, Infrastruktur, Technologieoffenheit – wird der grüne Umbau zur Zwangsjacke. Hier steht nun die neue Bundesregierung in der Verantwortung. Die Energiewende braucht eine grundlegende Neujustierung.
Wer die Stahlindustrie und so viele andere Industrieunternehmen im Land halten will, muss die Rahmenbedingungen sehr grundlegend verändern – weg von einer teuren und das Land in Versorgungsengpässe stürzende Energiewende und wieder zurück zu einer günstigen und versorgungssicheren Stromversorgung – wie sie die Kernenergie bieten kann und wie diese unseren französischen Nachbarn bereits ermöglicht, die deutsche Industrie nach Westen abzuziehen.
Wir brauchen eine Rückbesinnung auf industriepolitische Vernunft– oder die Deindustrialisierung setzt sich mit brachialer Wirkung für das Land und seinen sozialen Frieden fort.