Irans Urananreicherungsanlagen stehen im Zentrum des Konfliktes zwischen Teheran und Washington. Doch warum beharrt ein Land mit großen Ölressourcen überhaupt auf eine Art „nuklearen Nationalismus“? Ein Blick in Irans Geschichte erklärt es
Iranische Frauen bilden im August 2005 eine Menschenkette in Isfahan, um das iranische Atomprogramm zu unterstützen
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Im Oktober 1978 trafen sich zwei führende Vertreter der iranischen Opposition gegen den vom Westen – insbesondere Großbritannien – unterstützten Schah in Neauphle-le-Château, einem Vorort von Paris. Ihr Ziel: die letzten Etappen der Revolution zu planen. Eine Revolution, die nach 46 bewegten und oft brutalen Jahren nun ihrem Ende näherzukommen scheint.
Die beiden Männer einte wenig – außer ihrer Nationalität, ihrem Alter und dem unerschütterlichen Willen, den Schah zu stürzen. Karim Sandschabi, der Anführer der säkular-liberalen Nationalen Front, war ein in der Sorbonne ausgebildeter Juraprofessor. Ayatollah Ruhollah Chomeini hingegen galt seit den 1960er-Jahren als führender schiitischer Gegner der Monarchie
Monarchie. Beide waren damals über 70 Jahre alt.Sandschabi war mit einem Entwurf für ein gemeinsames Revolutionsmanifest nach Paris gereist. Es basierte auf zwei Grundprinzipien: Die Revolution solle demokratisch und islamisch sein. Doch Sandschabi erinnerte sich später gegenüber Historikern, dass Chomeini während des Treffens eigenhändig einen dritten Punkt hinzufügte: Unabhängigkeit.Gerade dieses dritte Prinzip entspringt Irans langer Geschichte kolonialer Ausbeutung und wirft ein Schlaglicht auf einen Aspekt des aktuellen Konflikts mit den USA, der vielen rätselhaft erscheinen mag: Irans unbeirrtes Beharren auf seinem Recht zur Urananreicherung.JD Vance: „Ich kenne kein Argument, warum Iran Uran weit über das Maß hinaus anreichern musste, das für zivile Zwecke erforderlich ist“Diese Forderung ist seit Beginn der 2000er-Jahre ein zentraler Streitpunkt in den Verhandlungen mit dem Westen über das iranische Atomprogramm – und war das entscheidende Hindernis in den zähen Gesprächen, die schließlich 2015 im Rahmen des Atomabkommens (JCPOA) unter der Obama-Regierung zu Irans Gunsten beigelegt wurden. Heute ist eben dieses Beharren einer der Gründe, warum der Iran bombardiert wird – durch Israel und, am vergangenen Wochenende, auch durch die USA.Aus amerikanischer Sicht wirkt Irans Beharren auf der Urananreicherung im eigenen Land – statt etwa angereichertes Uran aus Russland zu importieren – für viele nur unter einer Voraussetzung erklärbar: dass Teheran insgeheim den Bau einer Atombombe anstrebt. Die wiederholt vom obersten Führer erlassene Fatwa gegen „unislamische“ Nuklearwaffen wird aus dieser Perspektive als bloßer Vorwand, als Nebelkerze betrachtet. In der vergangenen Woche äußerte sich JD Vance, der US-Vizepräsident, in den sozialen Medien in ebendiesem Sinne. Er schrieb:Es ist das eine, zivile Atomenergie zu wollen. Es ist etwas völlig anderes, auf eine hochentwickelte Anreicherungskapazität zu bestehen. Und es ist nochmals etwas anderes, daran festzuhalten, während man gleichzeitig grundlegende Verpflichtungen zur Nichtverbreitung verletzt und Uran fast bis zur Waffenqualität anreichert. Ich habe bis heute kein einziges überzeugendes Argument gehört, warum Iran Uran weit über das Maß hinaus anreichern musste, das für zivile Zwecke erforderlich ist. Und ebenso wenig habe ich ein stichhaltiges Argument dafür gehört, warum Iran berechtigt gewesen sein soll, seine Verpflichtungen im Rahmen der Nichtverbreitung zu verletzen.Tatsächlich ist das technische Verfahren zur Urananreicherung für zivile und militärische Zwecke im Wesentlichen dasselbe. Allgemein gilt eine Anreicherung auf 3,67 Prozent als ausreichend für zivile Atomenergie, während für eine Atombombe eine Reinheit von 90 Prozent nötig ist. Hat ein Staat – wie aktuell der Iran – die 60-Prozent-Marke einmal erreicht, ist der Schritt zur waffenfähigen Qualität kein weiter mehr.Placeholder image-1Der Iran wiederum betont, dass es keinen Grund für Spekulationen gebe: Die Anreicherung auf ein so hohes Niveau sei Teil einer klar angekündigten Eskalationsstrategie gewesen – als Reaktion auf den einseitigen Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen (JCPOA) im Jahr 2018 unter Präsident Donald Trump. Durch diesen Schritt verlor der Iran den zentralen Nutzen des Abkommens: die zugesagte Aufhebung von Sanktionen. Zudem verhängte Trump sogenannte Sekundärsanktionen, die es europäischen Staaten faktisch unmöglich machten, weiterhin mit dem Iran zu handeln – obwohl genau dies als zweiter Eckpfeiler des JCPOA vorgesehen war.Die politische Grundstimmung in Teheran ist seither vom Gefühl geprägt, der betrogene Partner gewesen zu sein – und in der Überzeugung bestärkt worden zu sein, dass den USA grundsätzlich nicht zu trauen sei.Zentristische Figuren wie der frühere Präsident Hassan Rohani oder Außenminister Javad Zarif hatten beträchtliches innenpolitisches Kapital aufgewendet, um das Abkommen mit dem Westen überhaupt möglich zu machen – nur um dann mitzuerleben, wie dieser Westen sich nicht an seine Zusagen hielt. Zugleich erhält Israel – ein Staat, der im Gegensatz zum Iran dem Atomwaffensperrvertrag nie beigetreten ist und über ein intransparentes, nicht deklariertes Nukleararsenal verfügt – großzügige Unterstützung aus dem Westen.Und doch: Vielleicht hat JD Vance in einem Punkt recht. Dass ausgerechnet das Recht auf die Anreicherung von Uran auf 3,67 Prozent – also genau dem im JCPOA vereinbarten Grenzwert – als Kriegsgrund herhalten soll, wirkt auf den ersten Blick kaum plausibel. Kaum vorstellbar, dass Irans oberster Führer Ali Chamenei dafür bereit wäre, das eigene Land – und sich selbst – in einen Märtyrertod zu führen.Doch warum strebte ein ölreiches Land wie Iran überhaupt nach einer eigenständigen Atomenergie?Politologe: „Das Prinzip der Unabhängigkeit wurde auf eine Stufe mit der Verankerung des Islam im Staat gestellt“Eine überzeugende neue Analyse des Politikwissenschaftlers Vali Nasr unter dem Titel Iran’s Grand Strategy liefert einen wichtigen Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage: Sie verortet den Ursprung des iranischen Atomprogramms in der kolonialen Ausbeutung des Landes – und in seinem bis heute andauernden Streben nach Unabhängigkeit.Nasr schreibt:Noch vor der Revolution selbst, vor der Geiselnahme in der US-Botschaft oder den Sanktionen, vor dem Iran-Irak-Krieg oder dem Versuch, die Revolution zu exportieren – und vor all den bitteren Konfrontationen mit dem Westen – stellte der künftige oberste Führer des Iran das Prinzip der Unabhängigkeit von ausländischem Einfluss auf eine Stufe mit der Verankerung des Islam im Staat.Tatsächlich wurde Ali Chamenei einmal gefragt, was die Revolution letztlich gebracht habe. Seine knappe Antwort: „Heute werden alle Entscheidungen in Teheran getroffen.“ Nasr argumentiert, dass viele der ursprünglich hochfliegenden Ideale der islamischen Revolution – etwa Demokratie oder religiöse Integrität – im Laufe der Jahrzehnte ausgehöhlt oder pervertiert wurden. Doch eines sei geblieben: das Prinzip der nationalen Unabhängigkeit. Dieses Streben nach Souveränität, so Nasr, wurzelt in Irans leidvoller Geschichte. Im 19. Jahrhundert war das Land zwischen den imperialen Interessen Russlands und Großbritanniens eingeklemmt. Im 20. Jahrhundert wurde sein Öl von britischen Konzernen ausgebeutet. Zweimal – 1941 und 1953 – wurden iranische Regierungschefs mit direkter Hilfe Großbritanniens und der USA aus dem Amt gedrängt. Der populäre Premierminister Mohammad Mossadegh wurde 1953 durch einen vom US-Geheimdienst CIA gesteuerten Putsch gestürzt – weil er versucht hatte, die Kontrolle über Irans eigene Ölressourcen zurückzuerlangen. Kein Ereignis hat sich tiefer in das kollektive Gedächtnis des modernen Iran eingebrannt als dieses. Für Ayatollah Chomeini war der Sturz Mossadeghs der Beweis: Iran war nicht Herr über sein Schicksal – und schon gar nicht über seine Energiequellen.Placeholder image-3Obwohl zivile Atomenergie und das Recht auf Urananreicherung nach der Revolution zum Symbol von Unabhängigkeit und Souveränität wurden, weist Ellie Geranmayeh vom European Council on Foreign Relations darauf hin, dass es die Briten und Amerikaner waren, die Iran das Atomprogramm im Rahmen eines sogenannten „Atoms for Peace“-Programms erst ermöglichten.Der Schah von Iran begann – mit Zustimmung der USA – ein ambitioniertes Projekt zum Bau von 23 zivilen Atomkraftwerken, um Iran als modernen Staat zu etablieren und Strom auch in Nachbarländer exportieren zu können. Michael Axworthy, der bedeutendste britische Historiker für die Zeitgeschichte Irans, sagte dazu: „Es schien damals sinnvoll, die Ölprofite so zu investieren, um eine endliche Ressource in eine unendliche zu verwandeln.“In einem Interview mit der Washington Post gab Henry Kissinger später zu, dass er als US-Außenminister keine Einwände gegen den Bau der Kraftwerke erhoben habe. „Ich glaube nicht, dass das Thema Nichtverbreitung damals überhaupt aufkam“, sagte er. Mit Unterstützung des deutschen Unternehmens Kraftwerk Union, einem Tochterunternehmen von Siemens und AEG, begannen die Arbeiten an zwei Reaktoren, darunter einer im Hafen von Bushehr.Der Schah erkannte den doppelten Nutzen der Atomkraft und äußerte im Juni 1974 gegenüber einem amerikanischen Journalisten sogar: „Iran wird früher als erwartet über Atomwaffen verfügen“ – eine Aussage, die er bald darauf zurückzog. Nach und nach wuchsen in den USA die Befürchtungen, dass die fixierte Waffenambition des Schahs das zivile Programm zu einem militärischen machen könnte.1988: Iranische Nuklearwissenschaftler sollten aus dem Ausland zurückkehrenNach der Revolution von 1979 kam der Bau der fast fertigen Reaktoren zum Stillstand. Chomeini betrachtete die Atomkraft als Symbol westlicher Dekadenz und argumentierte, aufgeblähte Infrastrukturprojekte würden Iran noch abhängiger von westlicher imperialistischer Technologie machen. Er sprach sich gegen eine „Westvergiftung“ aus. Das Programm wurde größtenteils eingestellt – sehr zum Bedauern einiger iranischer Nuklearwissenschaftler.Doch binnen ein oder zwei Jahren sorgten Stromausfälle und ein Bevölkerungsboom dafür, dass Teherans politische Elite eine vorsichtige Kehrtwende einleitete. Der Einsatz von Chemiewaffen im Iran-Irak-Krieg, Teherans diplomatische Isolation bei der Suche nach internationaler Verurteilung der wiederholten Angriffe auf die unvollendete Anlage in Bushehr, sowie milliardenschwere Rechtsstreitigkeiten mit europäischen Firmen um das Erbe des Schah-Programms führten zu einem wachsenden Nuklear-Nationalismus. Bis 1990 verkündete Irans Atomenergiebehörde, dass bis 2005 ein Fünftel des Energiebedarfs durch Kernkraft gedeckt und im folgenden Jahrzehnt zehn Kraftwerke gebaut werden sollten.Hashemi Rafsanjani, während des Krieges von 1980 bis 1988 Parlamentspräsident und später von 1989 bis 1997 Staatspräsident, appellierte mehrfach an iranische Nuklearwissenschaftler im Ausland, zurückzukehren und das Programm weiterzuführen. 1988 sagte er: „Wenn ihr Iran nicht dient, wem dann?“ Plötzlich wurde das Atomprogramm vom Symbol westlicher Modernisierung zu einer Quelle patriotischen Stolzes.Um die Jahrhundertwende galt das iranische Atomprogramm fälschlicherweise als weitgehend auf einige kleine Forschungsreaktoren und den Leichtwasserreaktor in Buschehr beschränkt, der zunächst von Iran und später gemeinsam mit Russland gebaut wurde. Rafsanjani gestand später ein, dass Iran erstmals während des Iran-Irak-Krieges eine Abschreckungskapazität in Betracht zog, als das Programm wieder aufgenommen wurde. Er sagte: „Als wir anfingen, befanden wir uns im Krieg und wollten diese Möglichkeit für den Fall haben, dass der Feind eine Atombombe einsetzt. Das war der Gedanke. Doch es wurde nie Realität.“ Rafsanjani reiste nach Pakistan, um Abdul Qadeer Khan zu treffen, den Vater des pakistanischen Atomwaffenprogramms, der später Nordkorea beim Bau einer Atombombe unterstützte.Mahmoud Ahmadinejad: „Wir brauchen die friedliche Kerntechnologie“Mitte 2002 wurde durch einen Leak einer Dissidentengruppe, möglicherweise über den Mossad, bekannt, dass Iran zwei geheime Anlagen zur Urananreicherung bei Natanz nahe Isfahan und in Kashan im Zentrum Irans besaß. Iran erklärte, es sei nicht verpflichtet gewesen, die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) über die Anlagen zu informieren, da sie nicht in Betrieb seien. Zudem betonte Iran, dass der Atomwaffensperrvertrag das „unveräußerliche Recht“ aller Staaten auf die friedliche Nutzung der Kernenergie unter IAEA-Kontrolle garantiere. Die Urananreicherung an sich sei kein Beweis für den Bau einer Atombombe. Kritiker hielten es jedoch für schwer nachvollziehbar, warum Iran Brennstoff herstellen müsse, solange kein Reaktor funktioniere.Von diesem Zeitpunkt an begann ein diplomatisches Ringen, das seitdem in unterschiedlicher Intensität andauert.Im Oktober 2003 stimmte Iran unter großem internationalem Druck – ausgelöst durch den Leak – der „Teheraner Erklärung“ zu und verpflichtete sich, das Zusatzprotokoll zu unterzeichnen, das der IAEA unangekündigte Kontrollen erlaubt. Im November 2004 vereinbarte Iran unter dem Pariser Abkommen die vorübergehende Aussetzung der Urananreicherung, bis die E3-Staaten (Frankreich, Deutschland und Großbritannien) langfristige Vorschläge vorlegen sollten. Aus Respekt vor Irans Souveränität erklärten die E3 jedoch, dass diese Aussetzung eine freiwillige vertrauensbildende Maßnahme sei, keine rechtliche Verpflichtung.Mahmoud Ahmadinejad, der im Juni 2005 gewählte populistische Präsident Irans, wurde zunehmend fordernder und betonte, dass die iranische Nukleartechnik das friedliche Ergebnis der wissenschaftlichen Leistungen der jungen Generation sei. „Wir brauchen die friedliche Kerntechnologie für Energie, Medizin, Landwirtschaft und unseren wissenschaftlichen Fortschritt“, erklärte er.Placeholder image-4Nach und nach wuchs die Bereitschaft zu Verhandlungen. Während die USA ein Ende der Urananreicherung forderten und Iran auf sein gesetzliches Recht zur Anreicherung bestand, gerieten die E3 in eine schwierige Vermittlerrolle. Verschiedene Kompromissvorschläge wurden unterbreitet – auch aus Brasilien und Indien. Doch die öffentliche Meinung im Westen wurde maßgeblich durch Mohamed ElBaradei geprägt, damals Leiter der UN-Atomaufsichtsbehörde, der erklärte: „Meiner Ansicht nach ist das iranische Nuklearprogramm ein Mittel zum Zweck: Iran möchte als regionale Macht anerkannt werden. Man glaubt, dass das Wissen um die Kerntechnik Prestige und Macht bringt, und man wünscht sich, dass die USA mit ihnen in Dialog treten.“Einen ähnlichen Punkt brachte Hassan Rouhani in einem Beitrag für die Washington Post vor: „Für uns bedeutet die Beherrschung des atomaren Brennstoffkreislaufs und die Erzeugung von Kernenergie nicht nur die Diversifizierung unserer Energiequellen, sondern ist auch eng verbunden mit der Identität des iranischen Volkes, unserem Anspruch auf Würde und Respekt und unserem Platz in der Welt. Ohne das Verständnis für die Rolle der Identität werden viele der gemeinsamen Probleme ungelöst bleiben.“Trotzdem hat die iranische Führung, falls ihr Ziel mit dem Nuklearprogramm wirklich Sicherheit und Unabhängigkeit war – und nichts Bösartiges –, einen enormen und wohl selbstschädigenden Preis dafür gezahlt.