Während Donald Trump auf dem NATO-Gipfel den starken Mann gab, krochen Europas Regierungschefs in vorauseilendem Gehorsam zu Kreuze. Die Fünf-Prozent-Forderung nahmen sie wie ein Dekret entgegen – samt unterwürfigem Kniefall des Generalsekretärs. Ein Bündnis im Ausnahmezustand: angstzitternd, würdelos, selbstverleugnend. Von Leo Ensel.
Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass ausgerechnet ich – und auch noch mit voller Überzeugung – diese idiotische Phrase aus dem alten Preußen mal in den Mund nehmen würde. Aber es muss sein! Nach der zum Fremdschämen kläglichen – oder sollte man in diesem Kontext eher altmodisch-passend schreiben „ehrlosen“? – Brüsseler Veranstaltung letzte Woche, als die NATO den Gipfel der Würdelosigkeit erklomm, fällt einem kein anderes passendes Wort mehr ein.
Mehr Angst …
Man fühlte sich zeitweise wie auf einem panikgeschüttelten Elternabend in der Waldorfschule – mit dem kleinen Unterschied, dass das aufsässige Kind mit dem gestörten Verhältnis zur Realität nicht etwa fehlte, sondern in diesem Fall höchstpersönlich anwesend war. Donald Trump, nun wieder offiziell Commander-in-Chief des größten Militärs der Welt, stolzierte über den NATO-Gipfel wie ein Generalissimus im goldenen Bademantel – und unsere europäischen Regierungschefs, vor Angst schlotternd, beeilten sich auch noch, ihm brav die Pantoffeln hinterherzutragen!
Die strammen NATO-Granden, denen der Arsch auf Grundeis ging, überschlugen sich förmlich in devoter Selbstverleugnung. Allen voran NATO-Generalsekretär Mark Rutte, der sich offenbar auf die Rolle des diensthabenden Schoßhündchens minutiös vorbereitet hatte: Seine kriecherische Mail an Präsident Trump – verfasst im reinsten Trump-Sound, mit viel Pathos und ebenso viel Verachtung gegenüber den Europäern – wurde von diesem gleich genüsslich publiziert. Ein diplomatischer Kniefall – live auf Truth Social.
… als Vaterlandsliebe
Und wofür das alles? Für einen Präsidenten, der nun nicht mehr zwei, sondern gleich fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts als Schutzgeld verlangt – während seine europäischen Vasallen brav nicken und den Brand des eigenen Hauses fahrlässig in Kauf nehmen! Denn:
Eine eigene realistische Bedrohungsanalyse gegenüber Russland? Oder wenigstens ein Rückgriff auf das jüngste Dossier der United States Intelligence Community? Fehlanzeige. Die „russische Gefahr“ wird wie ein Naturgesetz hingenommen – alternativlos wie der Verzicht auf russisches Gas, das in besseren Zeiten noch die deutsche Industrie konkurrenzfähig hielt.
Stattdessen ruinieren selbstzerstörerische Sanktionen, irrwitzige Aufrüstung und eine geopolitische Eskalationsfreude à la Merz, Pistorius & Co. die wirtschaftliche Grundlage und den sozialen Zusammenhalt ganzer Länder. Und als Gipfel des Wahnsinns erklären sich unsere Politiker auch noch bereit, Mittelstreckenraketen mit Hyperschallgeschwindigkeit und Cruise-Missiles auf deutschem Boden zu stationieren – und damit sehenden Auges über 83 Millionen Menschen in Geiselhaft zu nehmen, sprich: zur Zielscheibe russischer Präventivschläge zu machen.
Wer das für Vaterlandsliebe hält, hat seinen Amtseid nicht verstanden – oder längst zynisch entsorgt. Nein: Unsere politische Elite hat heute mehr Angst vor Donald Trump als Verantwortung für das eigene Volk.
Der Gipfel der Ehrlosigkeit
Dass niemand auf die Idee kam, der Diva aus Washington freundlich, aber bestimmt die Grenzen kollektiver Selbstachtung aufzuzeigen – geschenkt. Stattdessen erlebte man eine transatlantische Travestie in Reinform: Ein Bündnis, einst angetreten, um „die Freiheit des Westens“ zu verteidigen, lieferte sich selbst – im Voraus, kampflos und knieweich – dem größten Risiko seiner Existenz aus.
Man hätte nur noch eine Kamera aufstellen und eine Titelmelodie einspielen müssen. Irgendetwas zwischen „House of Cards“ und „Game of Thrones“. Aber wahrscheinlich hätte Trump auch das persönlich als Hommage verstanden und, heimgekehrt, auf Truth Social „They love me. I told them jump, and they asked: ‚How high, Mr. President?‘“ getönt.
Was bleibt? Ein bitterer Nachgeschmack. Und die traurige Erkenntnis: Die NATO hat auf ihrem Gipfel vor allem eines gezeigt – dass sie in puncto Selbstachtung derzeit irgendwo zwischen „verloren gegangen“ und „kampflos abgegeben“ rangiert. Oder um es auf den Punkt zu bringen: mehr Angst als Vaterlandsliebe.
Titelbild: Ministerie van Buitenlandse Zaken / Bart Maat Wereldleiders, CC BY-SA 4.0