Ich war sicher – das ist ein Scherz. Ein schlechter Witz. Ein Satirefoto. Doch es ist echt. Mein Kollege Henning Rosenbusch postete es auf Instagram – darunter ein Zitat von Hannah Arendt. Und plötzlich war mir noch klarer als zuvor: Dieses Land hat nicht nur die Kontrolle verloren. Es hat auch seinen Ernst wiedergefunden. Nur an den falschen Stellen.
Das Bild tauchte zunächst in sozialen Medien auf, dann in ersten Artikeln – unter anderem bei „Nius“. Kein Aufschrei, keine größere Debatte. Vielleicht, weil es zu banal wirkt. Oder zu brisant. Vielleicht auch, weil viele spüren, dass man über dieses Bild nicht reden kann, ohne gegen eine unausgesprochene Regel zu verstoßen.
Inzwischen kursieren mehrere solcher Motive – alle im selben Stil: Piktogramme, die Belästigung, Gewalt oder Fehlverhalten darstellen, dabei aber auffällig ein bestimmtes Täterbild zeichnen. Und stets mit dem Anspruch, nur „aufzuklären“.
Besonders aufschlussreich ist, wer diese Kampagne verantwortet. Im konkreten Fall wurde das fragliche Plakat nicht etwa von Aktivisten entworfen oder anonym in Umlauf gebracht, sondern im Rahmen einer offiziellen Kooperation in Ostwestfalen – unter Beteiligung der kommunalen Jugendpflege, der Polizei, der DLRG, regionaler Beratungsstellen, einem Familienbündnis, einem Jugendbeirat und sogar der UNICEF-Ortsgruppe. Gemeinsam wolle man auf Fehlverhalten in Freibädern aufmerksam machen – so die offizielle Sprachregelung.
Das Resultat: Eine ganze Serie gemalter Szenen, in denen die Rollenverteilung auffallend einseitig gerät. Der weiße Mann als Täter, die farbige Frau als Opfer – als sei dies die dominante Konstellation in deutschen Freibädern. Was hier visuell inszeniert wird, ist nicht etwa eine reale Risikoeinschätzung. Es ist eine pädagogische Botschaft mit ideologischer Schlagseite. Und genau deshalb so entlarvend.
Man kann sich herausreden und das naiv nennen. Aber es ist ideologisch. Ein Abbild jener neuen „Pädagogik“, die eher an Gehirnwäsche erinnert. Die nicht mehr fragt, was ist – sondern nur noch, was sein soll.
Doch was hier als Aufklärung verkauft wird, ist in Wahrheit längst Umerziehung. Manipulation. Hier nicht mit Worten, wie sonst so oft. Sondern mit Symbolen.
Wie emotional aufgeladen das Thema ist, zeigt auch eine Reaktion einer Leserin aus Berlin. Sie schrieb mir:
„Ich habe gerade bei der Stadtverwaltung Büren angerufen. Auskunft der Pressestelle: ‚Eine Plakataktion der städtischen Jugendpflege, die der Stadtverwaltung untersteht.‘ Also: Keine Satire, aber Verschwendung von Steuergeldern für die Diffamierung von weißen deutschen Frauen. Eine üble Täter-Opfer-Umkehr, die der Kriminalstatistik Hohn spricht und die ich beabsichtige, anzuzeigen.“
So scharf das klingt – es markiert genau jenen Punkt, an dem staatliche Kommunikation zur Provokation wird: Wenn der moralische Impuls die Fakten ersetzt.
Womit wir wieder bei Hannah Arendt wären. Die Bilder zeigen: Ihre Worte, einst gemünzt auf den Nationalsozialismus, treffen heute wieder wie ein Samurai-Schwert – was sie besonders gewichtig, ja gespenstisch macht: „Dieses ständige Lügen zielt nicht darauf ab, dass die Menschen eine Lüge glauben, sondern darauf, dass niemand mehr etwas glaubt. Ein Volk, das nicht mehr zwischen Wahrheit und Lüge unterscheiden kann, kann auch nicht zwischen richtig und falsch unterscheiden. Und ein solches Volk, der Denk- und Urteilskraft beraubt, ist, ohne es zu wissen und zu wollen, völlig der Herrschaft der Lüge unterworfen. Mit einem solchen Volk … kann man machen, was man will.“
Der Satz ist radikal. Und trifft leider doch das Zentrum unserer Gegenwart. Denn was wäre ein besseres Symbol für den Zustand einer Gesellschaft als Warnschilder, in denen durch die Bank vor sexueller Gewalt gegen Frauen gewarnt wird – und dabei die Täter als weiße Männer gezeichnet sind, die Opfer als farbige Frauen?
Was wir da sehen, ist die Karikatur eines Problems – und gleichzeitig seine Verdrehung bis zum Exzess. Ja, seine völlige Umkehrung. Das eigentliche Thema, das reale Täterprofil, das jeder Bademeister kennt und über das viele lieber schweigen, wird ersetzt durch eine Täter-Opfer-Phantasie, die mit der Wirklichkeit so viel zu tun hat wie eine Genderstudie mit einem Polizeibericht.
Wer hier in der überwiegenden Zahl der Fälle wen belästigt, soll offenbar nicht der Realität entsprechen, sondern der Ideologie. Das Problem ist real – aber die Bildsprache behauptet das Gegenteil. Und genau das macht diese Schilder so perfide.
Denn sie sind keine Prävention. Sie sind Narrative. Visuelle Umerziehung. Sie sagen nicht: Hier ist ein Problem. Sie sagen: Hier ist euer Problem. Und das liegt – wie immer – beim weißen Mann.
Was nicht passt, wird passend gezeichnet. Und wer widerspricht, gilt als unsensibel. Also malt man weiter. Und tut dabei so, als sei das Hauptproblem deutscher Freibäder der blonde BWL-Student, der einer Kopftuchträgerin hinterherpfeift.
Besonders perfide wird es, wenn zur ideologischen Bildsprache auch noch pseudowissenschaftliche Entlastung hinzukommt. Der SWR etwa kommentierte jüngst eine Schlägerei in einem Freibad mit dem Hinweis auf Studien, wonach Aggression im Sommer generell zunehme – wegen der Hitze. Nicht Herkunft, nicht Gruppendruck, nicht kulturelle Prägung: Das Thermometer ist schuld. Der Wetterbericht ersetzt die Ursachenforschung.
Auch das ist Teil des Musters. Denn wenn schon nicht der Täter gewechselt werden kann, dann wenigstens das Motiv. Statt Übergriffigkeit zu benennen, wird sie verdampft – in heißer Luft.
All das ist nicht neu. Wer mit offenen Augen durch die Geschichte geht, kennt solche Umdeutungen. In der DDR war es der „Klassenfeind“, der für alles verantwortlich gemacht wurde – auch für Probleme, die offenkundig aus dem eigenen System stammten. In den Schauprozessen der Stalin-Zeit standen Bauern und Ingenieure als angebliche Saboteure vor Gericht, weil Getreide fehlte oder Züge nicht fuhren. Schuld war nie das System, sondern stets der konstruierte Gegner. Die Wirklichkeit wurde nicht offen bestritten – sie wurde umgedeutet. Und die Wahrnehmung der Menschen damit geschickt unterlaufen. Durch die Suggestion, sie hätten eine falsche Perspektive.
Und genau das erleben wir wieder. Nicht in Schauprozessen – sondern in Bildsprache. Nicht mit Gerichtsurteilen – sondern mit Piktogrammen. Aber das Prinzip ist das gleiche: Die Realität darf nicht sein, was sie ist. Also wird sie korrigiert. Umgezeichnet. Umgepolt.
Es geht um Schuldverschiebung. Um moralische Steuerung. Um die Immunisierung einer Realität, die zu unbequem geworden ist, um ausgesprochen zu werden. Also flüchtet man sich in Bilder. Und die zeigen nicht die Welt, wie sie ist – sondern wie sie sein soll. Wer bei der Realität bleibt, wird so in den Wahnsinn getrieben.
Hannah Arendt hat diesen Mechanismus durchdrungen wie kaum jemand sonst. Ihre Analyse war keine Prognose, es war eine Beschreibung der schlimmsten Zeit in der Geschichte. Ohne irgend etwas gleichsetzen zu wollen, muss man doch erkennen: Ihre Diagnose ist auch heute ein Warnsignal. Die Mechanismen ähneln sich. Wenn man polemisieren wollte, könnte man sagen: Hannah Arendt wurde gehört. Aber nicht von denen, die sie vor dem Lügen retten wollte. Sondern von denen, die es perfektioniert haben.
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