Das Bundesamt für Katastrophenhilfe erarbeitet momentan einen Bunkerschutzplan für Deutschland. Katastrophenforscher Martin Voss weiß, wie es um die Bunker im Land steht – und welche Schutzmaßnahmen wirklich sinnvoll wären


Wenn es noch Bunker gibt, dann als Museum, wie hier im Bild: die Dokumentationsstätte Regierungsbunker in Bad Neuenahr-Ahrweiler

Foto: Andreas Gillner/picture alliance


2.000 Bunker standen einmal in Deutschland – errichtet vom NS-Staat und später, zu Zeiten des Kalten Krieges, sowohl von BRD und DDR. Nach 1990 wurden viele von ihnen aufgegeben oder lukrativ in Hotels und Luxuswohnungen umgewidmet. Doch jetzt ist das Interesse an den alten Bunkern wieder erwacht.

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) arbeitet an einem Bunkerschutzplan für Deutschland, auch ein „flächendeckender“ Bunkerbau steht zur Debatte. Doch wie realistisch wäre das? Und ist ein militärischer Angriff wirklich die dringendste Gefahr für Deutschland? Martin Voss, Professor für Krisen- und Katastrophenforschung an der Freien Universität Berlin, gibt Antworten.

Herr Voss, Sie leben in Berlin. Wiss

r für Krisen- und Katastrophenforschung an der Freien Universität Berlin, gibt Antworten.Herr Voss, Sie leben in Berlin. Wissen Sie, wie weit Sie es im Falle eines Raketenangriffs auf ihr Zuhause bis zum nächsten Bunker hätten?Da müsste ich wahrscheinlich eher in die Schweiz fahren. In Deutschland kenne ich keinen öffentlichen Bunker, der mir wirklich verlässlichen Schutz bieten würde. Die knapp unter 600 Stück, die wir nach Aktenlage noch haben, sind in keinem funktionstüchtigen Zustand.In der Schweiz würden Sie sicher einen Platz finden, dort gibt es mehr Bunkerschutzplätze als Einwohner.Genau. In Schweden und Finnland gibt es ebenfalls Schutzraumplätze für den größten Teil der Bevölkerung, in Südkorea und Israel sowieso. In Deutschland gäbe es in den noch verbliebenen Schutzräumen nur knapp einen Platz auf 200 Einwohner.Müssen wir jetzt also im großen Stil in den Bunkerausbau investieren?Das will ich nicht beantworten, denn das ist eine Entscheidung, die wir als demokratische Gesellschaft treffen müssen. Technisch wäre das natürlich möglich, aber wir müssen diskutieren, welchen und wie viel Schutz wir uns leisten wollen. Es ist ganz einfach eine Frage der Prioritätensetzung.Aber Sie müssen als Katastrophenforscher doch eine Meinung dazu haben, ob ein Ausbau der Bunkerplätze aktuell sinnvoll wäre?Niemand kennt die Zukunft. Wird es zu einem militärischen Angriff auf Deutschland kommen? Und falls ja, mit welchen Waffensystemen? Oder werden ganz andere Krisenszenarien – multiple hybride Attacken, Klimawandel, Künstliche Intelligenz, Viren, die Aushöhlung der Demokratie – die Zukunft maßgeblich bestimmen? Je nachdem, wie man das einschätzt, sollte man die vorhandenen gesellschaftlichen Ressourcen in den Bunkerbau stecken – oder in ganz andere Maßnahmen investieren. Etwa in den sozialen Zusammenhalt mit dem Ziel, die Gesellschaft resilienter zu machen gegenüber einer insgesamt ungewissen Zukunft.Das klingt noch abstrakt. Was wären denn konkrete Schritte, um den Zivilschutz in Deutschland zu verbessern?Es gibt einen ersten Schritt, der die Grundlage aller weiteren ist: Bewusstseinsbildung. Das Thema Zivil- und Katastrophenschutz muss überhaupt erst einmal breit gesellschaftlich diskutiert werden. Seit 1945 hat Deutschland einen beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung, Frieden und Sicherheit erlebt. Aber das heißt nicht automatisch, dass es für immer so weitergehen muss. Das muss erstmal bei den Menschen ankommen, allein dadurch erhöht sich schon die gesellschaftliche Resilienz. Dann kann im nächsten Schritt demokratisch diskutiert werden, gegen welche Gefahren wir uns wappnen sollten. Dann kann man natürlich auch über Bunker sprechen: Brauchen wir neue, oder verlassen wir uns auf U-Bahnhöfe und Parkhäuser? Eines ist aber klar: Im großen Stil Bunker bauen, das braucht viele Jahre bis Jahrzehnte und wird teuer. Wenn wir da wirklich aufstocken wollen, reden wir von Zahlen, die jede Schuldenbremse sprengen.Würde es die Bevölkerung nicht massiv verunsichern, wenn plötzlich eine große politische Debatte über Angriffe auf Deutschland und andere Katastrophenszenarien ausbräche?Nein, das haben Studien über viele Jahrzehnte als Mythos widerlegt. Man ist eher verunsichert, wenn man merkt, dass Informationen vorenthalten oder Debatten nicht geführt, sondern unter den Teppich gekehrt werden. In den skandinavischen Ländern wird gerade viel konkreter über mögliche Angriffe diskutiert, und von Panik ist da keine Spur. Natürlich gibt es eine Gruppe von Menschen, die sind für solche Debatten und politische Maßnahmen nicht erreichbar, sondern erstmal grundsätzlich dagegen. Gegen Coronamaßnahmen, gegen Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels, und sicherlich auch gegen jegliche Zivilschutzmaßnahmen. Aber das ist sicher weniger als ein Fünftel der Gesamtbevölkerung, auch wenn ihre Stimmen im medialen Diskurs oft besonders laut sind. Diese Stimmen sollten nicht als Ausdruck einer Verunsicherung durch realistische Informationen fehlinterpretiert werden.Placeholder image-1Als Katastrophenforscher beschäftigen Sie sich nicht nur mit möglichen Kriegen, sondern allen denkbaren Katastrophen. Ist ein Krieg in Deutschland da ihre größte Sorge, oder gibt es Risiken, die Sie noch höher einschätzen?Genau genommen bin ich nicht nur Katastrophen-, sondern auch Krisenforscher. Die Katastrophe ist eigentlich immer der Endpunkt einer nicht bewältigten Krise, und dazwischen passiert ganz viel. Mich beschäftigt neben der Bedrohung durch Formen hybrider Kriegsführungauch, dass das gesamte Gesellschaftsmodell der Nachkriegszeit in eine strukturelle Krise geraten ist – und damit auch unsere Form der Demokratie. Ich sehe momentan eine Tendenz zur Oligarchie, in Kombination mit Möglichkeiten totaler Überwachung, radikal beschleunigt durch Künstliche Intelligenz …Tendenz zur Oligarchie? Das müssen Sie erklären.Wir müssen ja nur in die USA blicken, um zu sehen, dass Menschen mit viel Geld auch entsprechend politische Macht kaufen können. Elon Musk zeigt das gerade ganz öffentlich. In den meisten Fällen passiert das aber eher im Verborgenen: durch die Beeinflussung von Politikern durch Lobbyismus, aber auch durch Einflussnahme auf Medien, die wiederum Meinungen beeinflussen. Das untergräbt das Vertrauen in eine Demokratie von innen. Um das zu sehen, muss man kein Verschwörungstheoretiker sein.Und diese Gefahr wächst gerade auch in Deutschland?Man sagt ja: Was in den USA passiert, passiert zehn Jahre später auch bei uns. Es ist noch nicht so schlimm wie dort, aber die Tendenz macht mir Sorgen. Wir erleben eine krasser werdende Ungleichheit und zunehmende Konzentration des Kapitals, die auch zu einer Konzentration von Macht führt. Das tut unserer Demokratie nicht gut.Das heißt, unsere Demokratie ist vielmehr von inneren ökonomischen Entwicklungen bedroht als von äußeren Angriffen?Ich würde eher sagen, dass das zwei Seiten einer Medaille sind. Die Demokratie hat gewisse offene Flanken, das hat schon Karl Popper erkannt. Ihre Feinde werden versuchen, an diesen Schwächen anzusetzen: durch Falschinformationen, Demagogie und Angstmache. Das kann sowohl von Feinden aus dem Inneren, die die Demokratie nur noch als lästiges Hindernis ihrer ökonomischen Interessen betrachten, als auch von anderen Staaten oder dem Zusammenwirken ganz unterschiedlicher Akteure ausgehen. Und um diesen Gefahren zu begegnen, braucht es, wie gesagt, einen viel offeneren Diskurs über die bestehenden Bedrohungen und den politischen Willen, ihnen entgegenzutreten, um die Demokratie zu schützen.Jedenfalls klingt das nach einer Gefahr, der wir mit dem Bau von Bunkern nicht wirklich begegnen können. Vielleicht können wir noch einmal konkret werden: Was kann jeder Einzelne tun, um sich für ein drohendes Katastrophenszenario zu wappnen – ohne Bunker in der Nachbarschaft?Das Offensichtliche ist natürlich, einen Grundstock an Vorräten und Medikamenten zu lagern. Aber schon das ist für viele Menschen finanziell kaum leistbar. Wie soll das gehen, wenn man Bürgergeld bezieht oder mit über 80 Jahren seinen Ehepartner zu Hause pflegt? Hier braucht es viel mehr gesamtgesellschaftliche Solidarität. Was ich aber jedem empfehlen kann: beschäftigen Sie sich mit ihren Nachbarn. Wer wohnt da eigentlich neben mir, welche Möglichkeiten hat die Person, und welche Hilfe braucht sie? Es gibt eine alte Frau, die lief immer an meinem Haus vorbei mit ihren Einkaufstaschen. Ich bin auf sie zugegangen, habe mich vorgestellt und ihr gesagt, bei Problemen soll sie sich jederzeit melden. Seither sprechen wir bei jeder Begegnung miteinander. Auf der anderen Seite könnte ich selbst davon profitieren, wenn mein Nachbar ein Notstromaggregat hat, das mehr als einen Haushalt versorgen kann. Dieses Miteinander ist eine ganz grundsätzliche Haltung, die eine Gesellschaft resilient macht. Als Kollektiv können wir Katastrophen viel besser bewältigen, als wenn jeder nur an seinen eigenen Vorrat denkt.



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Von Veritatis

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