Die junge Partei muss sich in Windeseile auf die Bundestagswahl in circa zehn Wochen vorbereiten. Kann das so schnell gut gehen? Eine Reise durch die Republik, wo das BSW versucht, eine logistische Herkulesaufgabe zu bewältigen


Tritt in NRW als Spitzenkandidatin des BSW an: Sahra Wagenknecht

Foto: Imago Images


Michael Lüders beginnt seine Bewerbungsrede gewitzt. An diesem Tag fänden „gleich zwei historische Großereignisse“ statt, lässt er seine 48 Parteifreunde wissen, die sich am Sonntagmorgen in einem Seminarhotel in Halberstadt versammelt haben. In Syrien sei das Assad-Regime gestürzt worden und hier, nur 3.000 Kilometer nordwestlich, stelle das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) heute seine Landesliste auf. Dann wird er ernster. Lüders spricht von der „Kriegsbesoffenheit“ deutscher Politiker, die bewaffnete Konflikte mit Videospielen verwechselten, bei denen man „den Stecker ziehen und ins Bett gehen“ könne.

In den 1980ern studierte Lüders arabische Literatur in Damaskus. Einmal geriet er im nahe gelegenen Libanon w

; könne.In den 1980ern studierte Lüders arabische Literatur in Damaskus. Einmal geriet er im nahe gelegenen Libanon während einer Taxifahrt unter Beschuss. Es war die Zeit des Bürgerkrieges. „Das war sehr bedrückend“, so der 65-Jährige. Zum Glück habe der Taxifahrer das Auto geistesgegenwärtig in eine Tunneleinfahrt gelenkt, dadurch sei niemandem etwas geschehen. Was Lüders, der Nahostexperte, sagen will: Im Gegensatz zu jungen Grünen oder anderen waffenaffinen Politikern wisse er, was Krieg bedeutet. Am Ende wird er mit 87,5 Prozent zum Spitzenkandidaten in Sachsen-Anhalt gewählt.Tja, der Bundestagswahlkampf. Das ist für keine Partei ein Zuckerschlecken. Zumal jetzt im Winter und in der Kürze der Zeit, die bis zum Urnengang am 23. Februar verbleibt. Aber das BSW hat es schwerer als seine Mitbewerber. Es ist die einzige Partei, die es mit großer Wahrscheinlichkeit ins Parlament schaffen wird und vorher von der Pike auf fast sämtliche Strukturen aufbauen muss. Schließlich existiert die Partei erst seit Januar. Auf dem Thüringer Landesparteitag in Ilmenau, wo am vergangenen Wochenende 76 der 104 anwesenden Mitglieder für eine Koalition mit CDU und SPD stimmten, verglich eine Delegierte das BSW mit einem Baby. Gerade erst auf der Welt, müsse es nun rasch „laufen lernen“.Wenn im September gewählt worden wäre, hätte das BSW sechs Millionen Euro für den Wahlkampf gehabtSie warb damit für den Eintritt in eine Thüringer Landesregierung unter einem Ministerpräsidenten Mario Voigt (CDU). Aber die Metapher funktioniert auch für die Bundespartei: Das BSW muss laufen lernen. Und zwar nicht nur in Thüringen und Brandenburg, wo es sich an Landesregierungen beteiligt. Im Februar steht das „zarte Pflänzchen“, wie ein Basismitglied die Partei bezeichnet, in der ganzen Republik auf dem Wahlzettel. Wird es ihm gelingen, die vielen logistischen Hürden bis zum Wahltermin zu bewältigen?Die Partei ist mit drei Herausforderungen konfrontiert. Erstens: Sie braucht Geld. Zweitens: Sie muss die letzten noch nicht existierenden Landesverbände gründen und Kandidatenlisten aufstellen. Und als wäre das nicht genug, muss sie drittens mit sinkenden Umfrageergebnissen kämpfen. Das Thema Geld kann man am besten mit Ralph Suikat besprechen, dem Bundesschatzmeister des BSW. Am Telefon erzählt Suikat, dass er vier Millionen Euro für den Wahlkampf einplane. Kleiner Vergleich: Die CDU gab 2021 mehr als 20 Millionen Euro für ihren Bundestagswahlkampf aus.Wenn regulär im September gewählt worden wäre, so Suikat, hätten dem BSW ungefähr sechs Millionen Euro zur Verfügung gestanden. Denn dann hätte die Partei nicht nur acht Monate länger Mitgliedsbeiträge und Spenden einsammeln können, sondern bereits das Geld der staatlichen Parteienfinanzierung auf dem Konto gehabt. Suikat rechnet damit, dass dem BSW aus diesem Topf für 2024 circa drei Millionen Euro zustehen. Das Problem: Das Geld wird frühestens Ende Februar oder Anfang März fließen. „Also definitiv nach dem Wahlkampf.“ Wie soll das BSW in der Zwischenzeit über die Runden kommen? Es gibt viel zu bezahlen.Heinrich Röder: Der „grüne“ Großspender des BSWDer größte Kostenpunkt, erzählt Suikat, seien die Wahlplakate. Aber die müssten sein, sonst würde man nicht ausreichend wahrgenommen. Und dann gilt es noch, den Bundesparteitag am 12. Januar in Bonn zu finanzieren. Ein Jahr zuvor konnte dieser noch im kleinen ehemaligen Kino Kosmos in Berlin stattfinden. Dort mussten nur 400 Gründungsmitglieder Platz finden und versorgt werden. Jetzt sind es mit 1.100 Mitgliedern mehr als doppelt so viele.Heißt: Eine größere, ergo: teurere Räumlichkeit musste her. Dafür hat sich das World Conference Center (WCC) in Bonn gefunden. Die Veranstaltung im Berliner Kosmos-Kino kostete die Partei einst 200.000 Euro. „Ich plane für den nächsten Parteitag mit mindestens doppelt so viel“, verrät Suikat. Spätestens Anfang nächsten Jahres werde auch ein Spendenshop eingerichtet. Dort wird es unter anderem von Sahra Wagenknecht signierte Plakate geben, als Dankeschön für eine Zuwendung.Das BSW hat es finanziell nicht leicht. Klar. Zumal es in den letzten Monaten schon zahlreiche Kampagnen stemmen musste: die Europawahl im Juni, drei ostdeutsche Landtagswahlen im September, dazu mehrere Kommunalwahlkämpfe. Aber immerhin hat die Partei einige finanzstarke Freundinnen und Freunde.So ging am 11. November eine Großspende des Freiburgers Heinrich Röder ein, der das BSW im Bereich der erneuerbaren Energien berät. Röders Unternehmen ist auf die Entwicklung von Photovoltaikanlagen und Windparks spezialisiert. Er selbst bezeichnet sich als „grünen Wähler“, der selbiger Partei aber nicht mehr seine Stimme geben könne: Die Grünen seien durch ihre Positionierung im Ukrainekrieg längst „olivgrün“ gefärbt. Jetzt unterstützt er, sicherlich zur großen Freude des Schatzmeisters Suikat, das BSW.Bis dato hat das BSW 8,7 Millionen Euro eingenommenStand heute hat die Partei 8,7 Millionen Euro eingenommen. Ein beachtlicher Teil davon geht auf den IT-Unternehmer Thomas Stanger und seine Frau Lotte Salingré aus Mecklenburg zurück. Die beiden haben insgesamt mehr als fünf Millionen Euro beigesteuert. Ob ein weiterer Scheck von dem Ehepaar zu erwarten ist: derzeit unklar. Im Moment ist Ralph Suikat mit Banken und anderen Unterstützern im Gespräch, um über eine Zwischenfinanzierung zu sprechen. Doch Geld ist nicht die einzige Hürde, vor der die Partei steht.Derzeit kann man fast jedes Wochenende beobachten, wie neue Landesverbände gegründet und Listenplätze vergeben werden. In Thüringen führt ein Mann die Landesliste an, der dem BSW den „ersten großen Achtungserfolg“ bescherte, wie es Parteigründerin Sahra Wagenknecht formuliert. Die Rede ist von Robert Henning, der im Mai mit 56,6 Prozent der Stimmen zum Ortsbürgermeister von Bleicherode gewählt wurde. In der Hauptstadt tritt indes Oliver Ruhnert, Ex-Manager des Bundesligisten 1. FC Union Berlin, als Spitzenkandidat an. Wagenknecht selbst wurde am 30. November in Bochum mit 99 Prozent zur Spitzenkandidatin in Nordrhein-Westfalen gewählt.Doch noch sind nicht einmal alle Landesverbände gegründet. Das muss nun, schneller als ursprünglich anberaumt, im Blitztempo geschehen. Mitte Oktober fand der Gründungsparteitag in Hessen statt. Einen Monat später in Bayern, wo Klaus Ernst als Vorsitzender gewählt wurde. Anfang Dezember folgte Mecklenburg-Vorpommern. Doch zwei Bundesländer im Norden fehlen noch: Der Landesverband Schleswig-Holstein soll am 14. Dezember gegründet werden, Hamburg wird einen Tag später folgen. Alles sehr knapp.Dass die Bundestagswahl nach dem Aus der Ampelregierung vorgezogen wurde, findet das BSW richtig. Aber es stellt die Partei auch vor eine organisatorische Herkulesaufgabe. Diese ist so groß, dass so mancher Verantwortungsträger schon jetzt über Überlastungssymptome klagt.Derweil hat das BSW auch mit sinkenden Umfragewerten zu kämpfen. Zwischen vier und acht Prozent werden ihm derzeit prognostiziert. Eine Wahlumfrage im September sah die Partei noch bei zehn Prozent. Wie ist diese Delle zu erklären? Ein Anruf bei Amira Mohamed Ali. „Ich glaube, das hat mehrere Gründe“, sagt die Bundesvorsitzende. Zum einen verliere eine Partei wie das BSW immer an irgendeiner Ecke, wenn sie in eine Regierung ginge. Der Grund: Die einen wünschen sich Fundamentalopposition von Sahra Wagenknecht und ihren Mitstreitern, die anderen sind bereit, in Regierungen auch Kompromisse einzugehen. In Biesdorf ist einer wütend„Die AfD stand bisher noch nicht vor der Frage, ob sie tatsächlich regiert oder nicht“, sagt Mohamed Ali. „Daher können sie es sich bequem machen in der Rolle der Protestpartei.“ Das BSW hingegen wolle „real die Politik verändern“. In zwei Bundesländern hat sie das unter Beweis gestellt. Am 11. Dezember wählte sie in Brandenburg Diemat Woidke (SPD) zum Ministerpräsidenten, einen Tag später Mario Voigt in Thüringen. Das schmeckt nicht allen in der Partei. Zu beobachten war das an einem Mittwochabend Anfang Dezember im Berliner Ortsteil Biesdorf. Die prominente BSW-Politikerin Sevim Dağdelen, Listenplatz 2 in Berlin, hatte zu einer Lesung in ein Stadtteilzentrum geladen. Es ist ein kleiner Raum, proppenvoll mit der Basis der Partei. Ein schon älteres Mitglied hält eine Zeitung hoch, auf der Woidke zusammen mit dem BSW-Landeseschef Rolf Crumbach zu sehen ist. „Der eine guckt ganz bedröppelt und der andere hat das Ding im Sack“, beklagt der Mann.Warum seine junge Partei sich als „Mehrheitsbeschaffer für die Abgehalfterten“ anbieten müsse? „Das Ding ist nicht sauber, was da in Thüringen und Brandenburg gelaufen ist.“ Dağdelen kommt richtig in Fahrt, hält vehement dagegen: „Diese Koalitionsverträge sind friedenspolitisch historisch!“, ruft sie ihren Parteifreunden entgegen. Seit 1949 habe es keinen Koalitionsvertrag in Deutschland gegeben, in dem die Stationierung amerikanischer Waffen kritisiert worden sei. Das BSW habe sich einem „Bekenntnis zum US-geführten Kriegsführungspakt NATO und einer militarisierten EU verweigert“. Doch solche Debatten über Landespolitik dürften nun der Vergangenheit angehören. Die Partei guckt nach vorn, gen Bundestagswahl.



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Von Veritatis

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