Wie eine Nähmaschine klingt, kann sich jeder vorstellen. Aber dass das Musik ist? Das Kollektiv Sharper Than a Needle tritt an, den Blick auf Geräte der Handarbeit zu verändern – und auf weiblich konnotierte Arbeit
„Die repetitive Mechanik, die durch unsere menschlichen Körper angetrieben wird, erzeugt nicht nur Rhythmen, sondern auch eine physische Verbindung zwischen Mensch und Maschine.“
Foto: Klaus Erika Dietl
Musik aus Textilmaschinen, wie bitte? Kurz nach Schließung der Wahllokale am Sonntag lässt das Kollektiv Sharper Than A Needle in den Münchner Kammerspielen Spinnräder, Strickmaschinen und Nähkästchen rattern und erzeugt zu Videos und Performances einen widerständigen Sound. Im Interview spricht Initiatorin Stephanie Müller über die politische Bedeutung und internationale Vernetzung der Nähmaschinenmusikszene.
der Freitag: Frau Müller, kann eine Nähmaschine wirklich so gut klingen, dass man mit ihr auf der Bühne musiziert?
Aber ja! Für den französischen Dichter Lautréamont vielleicht so „schön, wie das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch
iner Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch“. Mich persönlich erinnert ihr Klang an ein Fahrrad, das geschmeidig über den rauen Asphalt schnurrt.Welche Musikgenres beherrschen eure Nähmaschinen?Auch wenn viele das nicht erwarten würden: Ihr Klang ist überraschend vielseitig! Von Techno über rhythmische Loops, Hip-Hop Beats, die beim Auslesen von Geld- und Kundenkarten via Nadel und Tonkopf entstehen, bis hin zu experimentellem Noise ist sehr viel möglich. Auch ganz zartes Songwriting zu minimalen Fadenmelodien! Man könnte wahrscheinlich sagen, dass wir einen Schnittstellen-Sound erzeugen, der Brücken schlägt. Denn die Nähmaschine ist ein Werkzeug, mit dem Verbindungen zwischen zwei Stoffstücken geschaffen werden. Und bei uns wird genau das Dazwischen zu Musik.Wie habt ihr festgestellt, dass man beim Nähen interessanten Sound erzeugen kann?In den Nullerjahren, mit Anfang 20, hatte ich bereits ein starkes Interesse an der kritischen Auseinandersetzung mit Mode, Handarbeit und deren Produktionsbedingungen. Ich hatte große Spielfreude und aus einem punkigen Gestus heraus Lust, ohne Expertise und musikalisches Vorwissen alles auszuprobieren. Der Spaß an der Mode und ihrer Herstellung war bei mir immer exakt so groß wie die Kritik an ihren mitunter grauenhaften Produktionsbedingungen. 2006 startete ich mit Laura Melis unser Musik-Duo beißpony. Bei unseren Treffen habe ich nebenher oft noch an Kostümen weitergearbeitet, während Laura schon am E-Piano saß. Der Arbeits-Sound der Nähmaschine hat sich dabei verselbstständigt! Er ist zu einem ständigen rhythmischen Begleiter geworden und hat sich Stück für Stück in unseren experimentellen Pop eingefädelt.Dadurch, dass Strickmaschinen ein exaktes Timing zulassen, kann sie tanzbare Rhythmen erzeugen, wie bei Minimal-Electro.Was fasziniert euch am Klang dieser Werkzeuge, den die meisten von uns höchstens als dröges Hintergrundgeräusch wahrnehmen?Der rhythmische Sound der verschiedenen Textilmaschinen ist wie eine seidige Bassline, die viel Raum zum Anknüpfen für weitere Sounds lässt. Es ist ein Klang, der sich einerseits ganz zart zurücknehmen und zum anderen auch kraftvoll etwas in Bewegung setzen kann. Die repetitive Mechanik, die durch unsere menschlichen Körper angetrieben wird, erzeugt nicht nur Rhythmen, sondern auch eine physische Verbindung zwischen Mensch und Maschine. Außerdem steht der Klang symbolisch für Arbeit, Kreativität und Protest, was ihn in Performances besonders kraftvoll macht.Unterscheiden sich die Sounds je nach Fabrikat der Maschinen? Ja, der Klang variiert tatsächlich stark nach Typ, Alter, Mechanik und Nutzung. In unserem Ensemble „Dressed In Sound“ kommen verschiedene Textilmaschinen zum Einsatz. Wir nutzen den Sound zum einem unverändert und modifizieren und modulieren ihn zum anderen stellenweise auch mit Hilfe von Mikrofonen, Körperschallwandlern und Oszillatoren. Das Spinnrad von Klaus Erika Dietl als analoge Textilmaschine steht ganz am Anfang der textilen Kette. Hier entsteht der Faden, mit dem gesponnen wird. Es klingt also entsprechend monoton, melancholisch, wie das Atmen eines alten Filmprojektors. Stefan Wischnewski erzeugt mit Handsacknähmaschine und Tuftingpistole einen kräftigen, fast technoiden Puls. Stefans Stecknadel-Ensemble hört sich dagegen ganz zart an, wie wenn im Mund eine Packung „Pock Rocks“ knistert. Bei Karen Modrei wird die Strickmaschine zur Klangquelle. Dadurch, dass Strickmaschinen ein exaktes Timing zulassen, kann sie tanzbare Rhythmen erzeugen, wie bei Minimal-Electro. Lisa Simpson aka Agente Costura hat eine Nähmaschine komplett zum Synthesizer umgebaut. Mit dem Nähmaschinen-Synthie spielt sie Melodien, die an die Töne einer Shrutibox – ein kastenförmiges indisches Instrument zur Erzeugung von Grundtönen – erinnern. Wenn wir unsere Fäden über Piezoelemente als Tonabnehmer ziehen, können wir gemeinsam auch kleine Melodieläufe in unterschiedlichen Tonhöhen entstehen lassen.Haltet ihr euch als Nähmaschinenorchester streng an eine Partitur oder improvisiert ihr?Beides! Grundstrukturen und Abläufe sind festgelegt, damit sich auch die Gastkünstler*innen gut orientieren können. Es bleibt allerdings genug Raum für spontane Interaktion zwischen Künstler*innen und Maschinen. Weil beim Musizieren der Körper eine zentrale Rolle spielt, werden wir mit drei Gastkünstler*innen arbeiten, bei denen der Fokus stark auf Bewegung und Körperarbeit liegt. Der Noise-Bildhauer Max Weisthoff knüpft an frühe anatomische Zeichnungen an, die an Bekleidung erinnern. Die Rollstuhltänzerin Sema Schäffer und die Performerin Ángela Muñoz Martínez sammeln sowohl bewusst Genähtes, Gestricktes, textil Gestaltetes, aber auch wertlos scheinende Fragmente, Fäden, Knäuel und Reste. Sie gestalten damit nach und nach ein Klangkostüm, das raschelt, kratzt, schleift und zurrt. Als analoge Klangquelle wird das Klangkostüm den Gegenpart zu den maschinellen Sounds bildenIn einer Zeit, in der die Grenzen besonders fest abgesteckt werden und immer mehr Länder sich am liebsten einmauern möchten, wollen wir gerade internationale Verknüpfungen suchen.Ihr seid Teil einer kleinen, aber gut vernetzten Nähmaschinenmusikszene. Wie findet man sich international?2014 habe ich die brasilianische Künstlerin Lisa Simpson aka Agente Costura bei einem Projekt von Tuncay Acar kennengelernt. Sie ist seit circa 2004 mit ihren Nähmaschinensounds unterwegs. Wir haben uns vorsichtig angenähert und waren zunächst als Nähmaschinenduett unterwegs. Klaus Erika Dietl kam bald mit verstärkten Kurzwaren dazu. Dann folgten Vernetzungsprojekte in Indonesien und in der Türkei. Dadurch, dass Textilmaschinen in sehr vielen Ländern vergleichsweise gut zugänglich sind, gibt es vielerorts niedrigschwellig die Möglichkeit, damit zu arbeiten und zu experimentieren. In einer Zeit, in der die Grenzen besonders fest abgesteckt werden und immer mehr Länder sich am liebsten einmauern möchten, wollen wir gerade internationale Verknüpfungen suchen. Letzten Herbst haben Klaus Erika und ich bei einem Aufenthalt in Südkorea die Künstler*innen Brandon Braza, Margaux Blas und Moreen Austria kennengelernt. Sie leben auf den Philippinen und arbeiten ebenfalls an der Schnittstelle zwischen experimenteller Mode, Sound- und Medienkunst.Wir assoziieren den Sound von Nähmaschinen mit weiblicher, gesellschaftlich abgewerteter Arbeit, mit dem dröhnenden Sound von Sweatshops und Überproduktion, aber auch mit Modernität und mit Kreativität. Wie wichtig ist die kulturhistorische Dimension für eure Musik?Wir haben Lust, mit Leichtigkeit und Spielfreude eine tiefere Auseinandersetzung mit genau diesen Themen anzuregen. Ich rücke die in gutbürgerlichen Haushalten oft zum Dekorationsobjekt degradierte Tretnähmaschine zurück in den Vordergrund. Was macht die jeweilige Mechanik einer Maschine mit unseren menschlichen Körpern? Mittels Fahrraddynamo am Nährad kann ich Licht, Wärme, Strom und Sound generieren. Und statt der sonst achtlos auf ihr abgestellten und längst verstaubten Trockenblumen betreibe ich damit ein Miniaturtreibhaus und Forschungslabor. Live verarbeite ich Food-Waste-Materialien, mit denen ich seit einer Weile experimentiere. Klaus Erika Dietl interessiert sich als queerfeministischer Filmemacher und Klangkünstler für historische Verbindungslinien. Die Brüder Lumière haben sich bei der Erfindung des ersten Filmprojektors von der Mechanik des Unterfadens inspirieren lassen und so das Malteserkreuz entwickelt, das das Licht für Bruchteile unterbricht und dadurch erst eine flüssige Bewegung auf der trägen Netzhaut ermöglicht. Brüche sind also nicht immer Abbrüche, sondern machen manchmal erst ein Fließen möglich. Gegenwärtige technische Entwicklungen legen großen Wert darauf, glatte Oberflächen zu präsentieren – Stichwort Apps – , die kreative Fehler, Missverständnisse und Brüche schier unmöglich machen. Doch wir sehen genau hier eine zutiefst menschliche Eigenschaft: das kreative Potenzial der Umdeutung.Es gibt heute wohl niemanden, der keine genähten Textilien trägt. Inwieweit sind Nähmaschinen und ihre Klänge auch kollektive Erfahrungen?Ganz ähnlich wie ein Foto kann Sound eine Kette an Erinnerungen wachrufen. Es ist an der Zeit, diese Bilder aufzufächern und auch zu hinterfragen. Denn wenn wir nicht an Massenproduktion und die damit einhergehende Ausbeutung denken, dann wird die textile Arbeit häufig verklärt. Uns interessieren auch die Schattenseiten der flauschigen Maschen. So z. B. die Militarisierung des Sockenstrickens zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die auch das Verständnis der organisierten Frauenbewegung als nationale Heimatfront im Ersten Weltkrieg stützte.Der männlich-patriarchale Blick – und auch sein Gehör – trifft auf einen politischen Raum, der sich lautstark davon löst und neue Perspektiven eröffnet.Haben eure Performances damit auch eine politische Dimension?Mit unserem Textilmaschinen-Orchester bringen wir weiblich konnotierte, gesellschaftlich häufig abgewertete Arbeit vom privaten, geschlossenen Raum in einen neuen Kontext: auf die öffentliche Bühne. Die Maschinen sind multifunktional, sie sind Instrumente, Arbeitsgeräte und Forschungsstationen. Dabei werden die üblichen Erwartungen an „weibliche Handarbeit“ und an Musik bewusst nicht erfüllt. Der männlich-patriarchale Blick – und auch sein Gehör – trifft auf einen politischen Raum, der sich lautstark davon löst und neue Perspektiven eröffnet.Apropos Überkonsum: Näht ihr während des Musizierens auch bleibende Stücke?Wir spielen bewusst damit, dass sich Strukturen auflösen und Neues entsteht. So sind die Kostüme teilweise mit Material verarbeitet, das sich auflöst, wenn die Performer*innen beim Arbeiten ins Schwitzen geraten. Ein Teil des Bühnenbildes wird aufgeschnitten, um daraus Neues zu kreieren. Karen Modreis Strickmaschine kann auch wie ein Nachrichtenticker eingesetzt werden. In Konzertechtzeit können Text- und Bildinformationen ausgestrickt werden. Lisa Simpson und ich bieten beim Musizieren Reparaturarbeiten an. Wer möchte, kann die Reparatur gleich selbst an der Nähmaschine erledigen.Das Publikum wird also auch einbezogen?Ja. Bei den „Zukunftsvisionen“ in Görlitz kam das Publikum spontan auf die Bühne, reparierte mit und beeinflusste so den Sound. Alle waren bei uns – die Trennung zwischen Publikum und Bühne war aufgehoben. Das war großartig!