Bärbel Bas rief lange vor Olaf Scholz eine „Zeitenwende“ im Parlament aus. Was macht die Bundestagspräsidentin, wenn ihre Amtszeit bald endet? Porträt einer Politikerin aus „einfachen Verhältnissen“, die als „Kohlelobbyistin“ verdammt wird
Vom Arbeiterkind zur Bundestagspräsidentin: Bärbel Bas
Bernd Elmenthaler / IMAGO
Ihre Wahl zur Bundestagspräsidentin sei eine „Zeitenwende“, erklärte Bärbel Bas 2021 in ihrer Antrittsrede im Deutschen Bundestag und erinnerte sogleich an Annemarie Renger, die 1972 diese Position zum ersten Mal als zweite Frau im Staate eingenommen hatte.
Vielleicht hatte der Kanzler diesen Begriff noch im Gedächtnis, als er ihn vier Monate später in einer seiner wenigen erinnerten Ansprachen in Bezug auf den Beginn des Ukrainekriegs aufgriff. Eine Rede, die das zivil-pazifistisch gestimmte Land, wie es durch eine Bundestagspräsidentin Bas vertreten wird, auf eine viril-militante Zukunft einstimmte. Nicht nur deshalb wird die Frau mit der ruhigen Altstimme und dem unaufgeregten Wesen, die gerade mit 39 Prozent ihren Wahlkreis Duisburg wieder gewon
rd, auf eine viril-militante Zukunft einstimmte. Nicht nur deshalb wird die Frau mit der ruhigen Altstimme und dem unaufgeregten Wesen, die gerade mit 39 Prozent ihren Wahlkreis Duisburg wieder gewonnen hat, sehr gebraucht.Bis Ende März noch im Amt, nimmt Bas an den Sondierungsgesprächen zwischen Union und Sozialdemokraten teil, dort wird ihre Vermittlerrolle, die sie als neutral fungierende Parlamentspräsidentin eingeübt hat, benötigt. Zu hoffen ist, dass sie als eine der wenigen SPD-Linken in der Runde ihre sozialpolitische Kompetenz in die Waagschale wirft, besonders im Bereich der Gesundheitspolitik, in dem sie oft im Schatten ihres medienwirksameren Parteifreundes Karl Lauterbach stand. Ein bisschen war die 1968 Geborene bereits aus der Zeit gefallen, als sie mit 20 in die SPD eintrat.Aufgestiegen aus „einfachen Verhältnissen“Schon damals waren aufstiegswillige Gewerkschafter wie sie aus „einfachen Verhältnissen“ in der einstigen Arbeiterpartei zu einer Minderheit geworden, Genossen wie Gerhard Schröder, die später die Treppe nach ganz oben nahmen, waren eine Generation älter. Seitdem sie das Amt innehat, erzählt Bas immer wieder von dieser Kindheit auf dem Bolzplatz in Walsum im Duisburger Norden, als Zweitälteste mit fünf Geschwistern in beengten Verhältnissen lebend, der Vater Busfahrer bei den Verkehrsbetrieben, wo die Tochter nach der Hauptschule eine Ausbildung als Bürogehilfin macht.Anders als Schröder trägt sie diese Geschichte nicht vor sich her wie eine Monstranz.Anders als Schröder trägt sie diese Geschichte nicht vor sich her wie eine Monstranz, sondern erklärt es zum selbstverständlichen Teil eines Schicksals, das das Leben für die große Mehrheit damals bereithielt. Von der SPD-Bildungsreform profitierte sie als Mädchen erst einmal nicht. Ihr älterer Bruder scheiterte auf dem Gymnasium, und als Mädchen blieb sie ohnehin auf der Hauptschule. Bas gehörte zum Peak der Jugendarbeitslosen: 80 Absagen. Deshalb musste sie sich vom Traum als Technische Zeichnerin verabschieden, „weil es angeblich keine Toiletten für Frauen gab“.Die erste große, schwierige Reise führt Bas als erste Vertreterin des politischen Berlins in die Ukraine, „mit gemischten Gefühlen“. Zehn Stunden im Zug und danach mit einer viele Kilo schweren Schutzweste am Leib. Dass ihre Amtszeit mit einem Krieg in Europa verbunden sein würde, hätte sich die Pazifistin wahrscheinlich nicht träumen lassen. Gegen die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes votierte sie noch, doch dann habe sich in ihrem Kopf eine Wende vollzogen, sagt sie.Faule Kompromisse im Strukturwandel?Unter Umweltaktivist:innen ist Bas umstritten, das Schwarzbuch Kohle von Greenpeace weist sie sogar als Kohlelobbyistin aus. Als Bundestagsabgeordnete war sie 2010 Aufsichtsrätin der Stadtwerke Duisburg, das zu jenem Konsortium gehört, das sich den Kohlekonzern Steag, früher Steinkohlen-Elektrizität AG, kaufte. In Duisburg-Walsum entstand mit Bas’ Zustimmung ein neues Steinkohlekraftwerk, das über 2040 hinaus Kohle verstromen sollte. Mit 1,1 Milliarden Euro Investitionskosten handelt es sich dabei mittlerweile um ein Fiasko, weil für nach 2026 stillgelegte Kohlekraftwerke keine Entschädigungen mehr bezahlt werden. Der Strukturwandel im Kohlerevier hat viele in der SPD falsche Entscheidungen treffen und faule Kompromisse machen lassen, da ist Bas keine Ausnahme. Unter Umweltaktivist:innen ist Bas umstritten.Auf einer Festrede zum Tag der Deutschen Einheit 2022 in Erfurt verglich Bas diese Zumutungen mit denen für die Menschen in Ostdeutschland, die ihr Leben nach der Wende neu aufbauen mussten und vor denen sie hohen Respekt habe. Unzweideutig dagegen ist Bas in ihrer Haltung gegenüber Diskriminierung, Hass und Hetze. Gerade junge Politikerinnen seien im Parlament immer noch sexistischen Anwürfen ausgesetzt – „mach doch erst mal deine Ausbildung!“ –, gegen die die Ex-Fußballerin und Harleyfahrerin Bas nachdrücklich interveniert.Mit Strenge gegen raue StimmungDer Ton im Parlament ist erheblich rauer geworden, und Bas ahndet Verstöße mit der disziplinarischen Strenge, die ihr das Amt erlaubt, Ordnungsrufe bis hin zur Ordnungsstrafe hätten dramatisch zugenommen. Die beiden turbulenten Sitzungen, in denen die Union mit den Stimmen der AfD versuchte, ihren Entwurf zur Zuwanderung durchzudrücken, verlangten ihr noch einmal alles ab.Als der damalige SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sie fragte, ob sie Bundestagspräsidentin werden wolle, sagte Bas sofort „Ja“. Wer weiß, was noch kommt für die Frau, deren geschiedene Mutter beim Sozialamt die kaputten Schuhe vorweisen musste, um Ersatz zu bekommen. Eines hat die 56-Jährige aber schon ausgeschlossen: Als Vize-Präsidentin des Bundestags will sie nicht amtieren.