Bereits im Vorfeld motzte die Online-Community über die Realverfilmung des Disney-Klassikers „Schneewittchen“. Auch nach Release wird fleißig nachgetreten. Das hat auch mit Donald Trump zu tun, aber wieso eigentlich?
Schneewittchen-Darstellerin Rachel Zegler musste auch wegen eines Social-Media-Postings viel Kritik einstecken
Foto: IMAGO / Landmark Media
Einzuschätzen, warum Menschen bestimmte Filme mögen, ist schon schwer genug. Herauszukriegen, warum sie einen Film nicht sehen wollen, erscheint noch schwieriger. „Nobody knows anything“ – „Niemand weiß irgendwas“ lautet nicht umsonst eines der am häufigsten verwendeten Zitate in Hollywood. Der Satz stammt aus den Memoiren des Drehbuchautors William Goldman, der damit seine jahrzehntelange Erfahrung im Business zusammenfasste.
Im Fall von Schneewittchen aber wollen es nun alle schon immer gewusst haben. Dass ausgerechnet ein Disney-Familienfilm, dessen Kernidee doch ist, auch ja niemanden zu beleidigen, für so viel negative Aufregung in den sozialen Medien sorgt, verleitet dazu, das Ganze als „typisch für unsere Zeit“ einzuordnen, als Beispiel des „vibe shifts“, der großen atmosphärischen Verschiebung, die Donald Trumps Wiederwahl markiert.
Dabei ist keine der Kontroversen, die für den Misserfolg von Schneewittchen jetzt verantwortlich gemacht werden, wirklich neu. Zuerst gab es da die größtenteils rassistisch motivierten Kommentare gegen die Besetzung der Titelfigur mit Rachel Zegler, einer Schauspielerin, deren Mutter aus Kolumbien stammt. Spätestens seit es beim Casting von Halle Bailey als Kleine Meerjungfrau 2020 zu ähnlichen Kampagnen auf Social Media kam, ist der Streit um „farbenblindes Casting“ zu einem Internet-Ritual geworden, in dem sich oft reine Ressentiments hinter Argumenten um Werktreue und Authentizität verstecken. Auch bei der Kleinen Meerjungfrau gab es beim enttäuschenden Kinostart 2023 zuerst viel Häme. Aber dann mauserte sich die Märchen-Verfilmung doch noch zum kommerziellen Erfolg, was die Online-Meute zum Verstummen brachte.
An den Kinokassen ist „Schneewittchen“ kein Erfolg und wird zum Aushängeschild des „Anti-Woke-Backlash“
Für Schneewittchen ist ein ähnlicher Ausgang inzwischen in weite Ferne gerückt. Obwohl der Film etwa in Deutschland – noch – die Hitliste anführt, sind die absoluten Zahlen so schlecht, dass ein Einspielen der Kosten von über 200 Millionen Dollar kaum mehr möglich scheint.
Im Nachhinein fühlen sich damit verschiedenste Fraktionen in ihrer Weltsicht bestätigt: Den einen ist Gal Gadot, die die böse Königin spielt, als patriotische Israelin ein Dorn im Auge, was ungeniert mit der Einschätzung von ihr als schlechter Schauspielerin vermischt wird. Andere weisen mit dem Zeigefinger auf Rachel Zegler, die einen Instagram-Post nicht löschen wollte, in dem sie „Free Palestine“ geschrieben hatte. Wieder andere zitieren Peter Dinklages lange vor Filmstart geäußertes Missfallen an der Idee herbei, kleinwüchsige Menschen als „Zwerge“ zu inszenieren.
Und dann ist da noch der Chor derer, die sich über „woke“ Anpassungen des Grimm’schen Stoffs empören: darüber, dass Schneewittchen als Prinzessin mehr „agency“ erhält und nicht mehr für die Zwerge den Haushalt macht oder die Figur des Prinzen bemüht zeitgeistig interpretiert wird. Alles Dinge, die Disney-Filme seit Jahrzehnten ähnlich und mit großem Erfolg betreiben. Aber ausgerechnet Schneewittchen ist nun zum Vorzeigebeispiel des „Anti-Woke-Backlashs“ geworden.
Was die Zahlen übrigens nicht unterstützen: In den USA verteilt sich der Misserfolg recht gleichmäßig über Anti-Trump- und Pro-Trump-Staaten, wobei der Film in letzteren, den ländlich geprägten Gebieten, sogar noch etwas besser läuft. Dennoch: Macher und Beteiligte stehen wie selten als Gedemütigte da, ihr Werk (was immer man davon halten mag) missbraucht als Symbol für die Lieblingsbeschäftigung unserer Zeit: sich gegenseitig darüber zu belehren, was man ohnehin schon weiß.