Xi Jinping hat sich nicht provozieren lassen. Was der Führung in Peking seit Wochen an übler Nachrede zuteil wird, würdigt er mit keiner direkten Reaktion. Sein Statement beim Treffen mit Olaf Scholz in Peking ist eines der gelassenen Souveränität und des Angebots zur Kooperation über Trennendes hinweg.
Es werden die fünf Jahrzehnte als Erfolg gewertet, in denen das schon vielfach so war und beiden Seiten zum Vorteil gereichte. Scholz findet sich als deutscher Kanzler angesprochen, weder als Exponent des Westens noch als Sozius der Biden-Regierung. Xi meint, man begehe in diesem Jahr den 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen, damals noch zwischen Bonn und Peking. „Die Entwicklung seither sagt uns Folgendes“, so Xi, „solange wir uns zu gegenseitigem Respekt, zu Gemeinsamkeiten trotz der Unterschiede, zum Austausch und gegenseitigem Lernen sowie einer Win-Win-Zusammenarbeit bekennen, verfügen wir über stabile Beziehungen …“
In diesem Moment hat es sich für Scholz ausgezahlt, nicht auf eine geballte Ladung EU Wert zu legen, indem er die Reise nach Peking gemeinsam mit der EU-Kommissionspräsidentin oder dem französischen Staatschef antrat.Abgesehen davon, wie der Gastgeber damit umgegangen wäre, gilt für den Umgang mit einem Partner vom Format Chinas offenbar die Intention: sich selbst der Nächste zu sein, kann nicht schaden. Und das angesichts der derzeitigen globalen Verwerfungen und mit einer solchen Koalition wie der Berliner im Nacken. Wer das wagt, will der etwas?
Scholz hat mit diesem Besuch ein Zeichen gesetzt, wenn nicht einen Coup gelandet. Man fliegt für zehn bis elf Stunden des direkten Austauschs nach Peking und hätte doch ebenso erklären können, die bisher praktizierte Video-Kommunikation sei ausreichend, wegen des angespannten Verhältnisses allemal.
Die Ideen Mao Zedongs
Es wird hierzulande als besonderer Frevel herausgestellt, dass es zu diesem deutsch-chinesischen Gipfel gleich nach dem XX. Parteitag der KP Chinas kam, bei dem angeblich öfter vom Marxismus-Leninismus die Rede war als bei vorangegangen Kongressen dieses Kalibers. Sei es unter dem Xi-Vorgänger Hu Jintao oder dessen Vorgänger Jiang Zemin, den nach dem Tiananmen-Aufstand von 1989 noch Deng Xiaoping ins Amt brachte.
Was dabei übersehen wird: Alle Generalsekretäre des postmaoistischen Zeitalters, auch Xi Jinping, beriefen sich stets mit Nachdruck auf die „Ideen Mao Zedongs“. Damit versicherte sich die Kommunistische Partei trotz der reformerischen Zäsuren von 1979/80 und der Brüche während der Kulturrevolution 1965/66 nicht nur politischer Kontinuität seit der Staatsgründung 1949. Sich auf Mao Zedong zu beziehen, hieß vor allem, eine nationalkommunistische Identität zu wahren, wie sie der chinesische Sozialismus beansprucht.
Daraus folgt eine Außenpolitik, die sich von außen nicht instrumentalisieren lässt, sondern allein eigenen Interessen zu dienen hat. So vermieden es die chinesischen Führer beispielsweise in den 1950er Jahren, ein „internationalistisches Bündnis“ mit der Sowjetunion einzugehen. Sie zogen es vor, als Mitbegründer der Nichtpaktgebundenen Bewegung ab 1955 auf eine friedliche Koexistenz mit allen Staaten bedacht zu sein, auch denen, die Chinas System ablehnten und bekämpften. Abgesehen vom Sündenfall der kriegerischen Jahre mit dem „Sozialimperialismus der sowjetischen Revisionisten“ zwischen 1965 und 1980 hat sich daran bis heute nichts geändert.
Reine Symbolpolitik
China will die günstigsten äußeren Bedingungen für seine ökonomische Prosperität, sein soziales Leistungsvermögen und sein globales Standing. Es will die Seidenstraßen-Initiative „One Belt, One Road“ nicht aus Expansionsdrang, sondern weil es die Mittel dazu hat und Potenzial verschenkt würde, wollte man es nicht dafür einsetzen.
Daran wird nicht zu rütteln sein, auch weil längst viele Staaten davon profitieren, nicht zuletzt in Europa. Unter anderem deshalb gibt es die dritte Amtszeit von Xi Jinping. Es hat wenig Sinn, dem mit einer ideologisch unterfütterten Symbolpolitik begegnen zu wollen, was Parteien der begrenzten Möglichkeiten wie die Grünen und die FDP einem Land der begrenzten Möglichkeiten wie Deutschland aufdrängen wollen. Scholz in Peking zeugt da von mehr realpolitischer Annäherung bei allen rhetorischen Konzessionen, die ihm der Koalitionsfrieden zulasten des Weltfriedens abverlangt.