Nicht nur in Burkina Faso ging ein Video viral, das zeigte, wie Angestellte der kanadisch-französischen Bergbaugesellschaft Perkoa auf die Nationalisierung einer Zinkmine reagierten: Sie zerstörten den konzerneigenen Fahrzeugpark. Die Verstaatlichung war nicht ideologisch begründet, sondern erfolgte, weil es nach einem Unfall Unstimmigkeiten gab, bei dem im Mai acht Arbeiter während eines Wassereinbruchs ums Leben kamen. Kommentare des Videos in den sozialen Netzwerken hoben hervor, dass die Zerstörung noch brauchbaren Materials, dessen Abtransport sich nicht lohne, zur oft geübten Praxis abziehender Kolonisatoren gehöre. An der daraus resultierenden Empörung ließ sich die in großen Teilen Westafrikas auflebende antiimperialistische Stimmung ablesen, die seit den vom Westen angeheizten Konflikten in Syrien und Libyen zu erkennen ist. Bekanntlich sind die ebenso wenig ausgestanden wie die terroristische Gefahr für die Bevölkerung in den Sahel-Staaten.
Falsch dargestellt
Ähnlich wie in Mali hat in Burkina Faso eine Militärregierung beschlossen, westlichen Staaten und UN-Missionen die Führung im Antiterrorkampf zu entziehen, weil sie seit mehr als zehn Jahren erfolglos agieren. Stattdessen wollen die betroffenen Länder dies selbst übernehmen. Weder Beistandsverträge noch die wirtschaftliche Kooperation werden dabei in Gänze gecancelt, wie das in westlichen Medien oft dargestellt wird. Wie in Mali geht es auch in Burkina Faso darum, die Partner auszuwählen. Das stellt freilich die seit den 1990er-Jahren unangefochtene westliche Hegemonie in der Sahelzone in Frage. Antifranzösische Demonstrationen, auf denen russische Fahnen zu sehen sind, flauen in Burkina Faso nicht ab.
Ohne auf die von vielen Burkinern erwartete Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation einzugehen, versicherte der zivile Premierminister Apollinaire Joachimson Kyélem am 19. November in einer programmatischen Rede vor dem Übergangsparlament mit diplomatischer Vorsicht, dass Kooperation neue Grundlagen brauche. Denn es stehe „außer Frage, dass wir uns künftig durch keinen Partner dominieren lassen, wer auch immer es sei“. Um das wegen fehlender Sicherheit und Wohlfahrt verloren gegangene Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen, will sich die Übergangsregierung in Ouagadougou auf die sozialen Prinzipien des 1987 ermordeten Präsidenten Thomas Sankara besinnen. Doch gelten ebenso die antiimperialistischen Positionen Léopold Sédar Senghors, des ersten Präsidenten eines unabhängigen Senegal, und Kwame Nkrumas, des ersten ghanaischen Staatschefs nach der Kolonialzeit, als Richtwert.
Das bedeutet unter anderem, dass man sich stärker bei Nachbarländern wie Ghana und Mali anlehnt, um erforderliche Infrastrukturprojekte endlich auf den Weg zu bringen, zum Beispiel eine Eisenbahntrasse Ouagadougou – Accra. Geprüft wird derzeit, ob eine Linie von Bobo-Dioulasso im Südwesten von Burkina Faso in die Mali-Hauptstadt Bamako möglich ist. Geplant wird ein Straßennetz, das den Norden und Osten des Landes besser anbindet, was für die innere Sicherheit dieser Regionen und die Versorgung der dortigen Bevölkerung von existenzieller Bedeutung ist. Zu erwähnen bliebe, dass die Finanzierung dieser Projekte sowohl durch China als auch den Währungsfonds IWF oder die Weltbank erfolgen könnte. Wenn sich letztere in der Vergangenheit dafür nicht sonderlich stark machten, lag das an der Fortschreibung alter kolonialer Interessen, wonach nur Häfen an den afrikanischen Küsten und Verbindungen zu den Abbaugebieten von Rohstoffen gebaut und fortlaufend modernisiert wurden. An Hilfen für innerafrikanischen Handel waren neokoloniale Akteure nicht interessiert.
Deutlich wurde Premierminister Kyélem in der Kritik der bisherigen militärischen Kooperationspartner. Dass weite Gebiete des Landes unter Kontrolle islamistischer Milizen stehen, sei nur mit der „Komplizenschaft“ einiger angeblicher Alliierter zu erklären. Wo kämen die oft hochmodernen Waffen der Eindringlinge her? Und wieso könnten die, denen es gegeben sei, die Erde vom Weltraum her genau zu kontrollieren, die Herkunft dieser Ausrüstung nicht erklären? Warum lieferten sie den nationalen Streitkräften dazu keine Informationen?
Kyélem will lokale Verwaltungsformen stärken. 80 Prozent der Burkiner verbinde mit dem aus der Kolonialzeit überkommenen Recht und mit der Verfassung Frankreichs ebenso wenig wie mit dem westlichen Wirtschaftssystem. Mit „La patrie ou la mort – nous vaincrons!“ – „Heimat oder Tod – wir werden siegen“, schloss der Regierungschef seine Grundsatzrede. Zum Zeichen, dass das soziale Engagement des Übergangsparlaments ernst gemeint ist, spendeten die Abgeordneten die Hälfte ihres Novembergehalts, um zwei Millionen Binnenflüchtlinge besser versorgen zu können. Besiegen lassen sich auch in Burkina Faso die terroristischen Invasoren nur dann, wenn die Bevölkerung zu den Institutionen Vertrauen fasst. Der Kampf gegen Bodenspekulation und Korruption muss spürbare Ergebnisse zeitigen. Die Polizeiführung will fortan regelmäßig Pressekonferenzen abhalten, damit öffentlich nachvollziehbar ist, was sie unternimmt.
Generaldirektor Roger Ouédraogo sagte am 26. November, dass die Polizei nicht nur ein republikanisches Organ sei – was im Kampf gegen den islamistischen Terror mehr als deutlich betont werden müsse –, sondern zugleich Institution der Bürger. Um sich als solche zu erweisen, seien die eigene Anstrengung und ein neues Bewusstsein der Bürger nötig. Die Polizei habe sich zu mehr Selbstkontrolle im Kampf gegen die Korruption verpflichtet, für die gerade sie – laut einer nationalen Erhebung – am anfälligsten gewesen sei. Er forderte die Bürger auf, bei Unstimmigkeiten im Straßenverkehr keinem Polizisten mehr Geld anzubieten, sondern Strafmandate in einem Kommissariat zu begleichen. Ein wichtiger Vorschlag, um Korruption einzudämmen, kommt vom Dachverband der Zivilgesellschaft für die 2024 vorgesehenen Parlaments- und Kommunalwahlen: Kandidaten sollten nur antreten dürfen, wenn sie einen Nachweis über korrekt gezahlte Steuern vorlegen.
Die Übergangsregierung tut einiges für mehr Bürgerverständigung. Und dies nicht nur an Schulen, die von Kindern verschiedener, teils verfeindeter Ethnien besucht werden. Der Internationale Tag der Toleranz am 16. November war der Stärkung jener traditionellen Strukturen gewidmet, die einst dem inneren Frieden der Landbevölkerung zugute kamen. In Dori, der Hauptstadt der nördlichen Region Sahel, lud ein Zusammenschluss der muslimischen „Bruderschaft der Gläubigen“, der Vertreter der Diözese von Ouahigoiya wie der Assoziation für die Entwicklung der Dorfgemeinschaften zu einem Treffen ein. Viele religiöse Autoritäten, lokale Würdenträger und Vereine fühlten sich angesprochen. Ziel war es, die durch den islamistischen Terror gespaltenen Volksgruppen miteinander zu versöhnen.
Baerbock versus Lambrecht
Die von der Übergangsregierung geforderte Aufstellung eines Kontingents von 50.000 Freiwilligen, die der Armee im Anti-Terrorkampf zur Seite stehen, erweist sich in den von bewaffneten Gruppen kontrollierten ländlichen Zonen als schwierig. Der Loyalitätswechsel eines jungen Mannes kann schwerste Bestrafungen seiner Familie oder eines ganzen Dorfes durch Milizen aus Paramilitärs nach sich ziehen. Daher wird das Verlangen laut, die Regierung möge auf gesetzlichem Wege offiziell einberufen, wen sie brauche. Vertrauen zu den traditionellen lokalen Autoritäten sei unerlässlich. Das Gerücht, dass die Regierung 2.000 ausländische Soldaten verpflichten wolle, um ihr Sicherheitspersonal aufzustocken, wurden dementiert.
Die Vorsicht, mit der die Übergangsregierung künftige militärische Kooperationen angeht, beruht auf den Erfahrungen Malis, wo ein Erfolg noch ungewiss ist. Frankreich beantwortete den politisch erzwungenen Totalrückzug seines Korps mit einer drakonischen Strafe – der Streichung von Entwicklungshilfe.
Die deutsche Regierung hat in der vergangenen Woche beschlossen, den Einsatz deutscher Soldaten nicht sofort, sondern erst 2024 zu beenden. Aufschlussreich sind die Differenzen zwischen Außenministerin Annalena Baerbock und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht. Letztere wollte den Einsatz so früh wie möglich, das heißt, schon 2023 beenden, weil ihr die Souveränität nicht passt, die Mali über Art und Verlauf der Operationen neuerdings beansprucht. Baerbock hingegen hat sich für einen längeren Verbleib stark gemacht, da sie hofft, einen militärischen Einfluss Russlands in Mali zu begrenzen. So hat die Strategie einer Diversifizierung der Kooperation für Mali und Burkina Faso durchaus eine Chance.
mung ablesen, die seit den vom Westen angeheizten Konflikten in Syrien und Libyen zu erkennen ist. Bekanntlich sind die ebenso wenig ausgestanden wie die terroristische Gefahr für die Bevölkerung in den Sahel-Staaten.Falsch dargestelltÄhnlich wie in Mali hat in Burkina Faso eine Militärregierung beschlossen, westlichen Staaten und UN-Missionen die Führung im Antiterrorkampf zu entziehen, weil sie seit mehr als zehn Jahren erfolglos agieren. Stattdessen wollen die betroffenen Länder dies selbst übernehmen. Weder Beistandsverträge noch die wirtschaftliche Kooperation werden dabei in Gänze gecancelt, wie das in westlichen Medien oft dargestellt wird. Wie in Mali geht es auch in Burkina Faso darum, die Partner auszuwählen. Das stellt freilich die seit den 1990er-Jahren unangefochtene westliche Hegemonie in der Sahelzone in Frage. Antifranzösische Demonstrationen, auf denen russische Fahnen zu sehen sind, flauen in Burkina Faso nicht ab. Ohne auf die von vielen Burkinern erwartete Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation einzugehen, versicherte der zivile Premierminister Apollinaire Joachimson Kyélem am 19. November in einer programmatischen Rede vor dem Übergangsparlament mit diplomatischer Vorsicht, dass Kooperation neue Grundlagen brauche. Denn es stehe „außer Frage, dass wir uns künftig durch keinen Partner dominieren lassen, wer auch immer es sei“. Um das wegen fehlender Sicherheit und Wohlfahrt verloren gegangene Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen, will sich die Übergangsregierung in Ouagadougou auf die sozialen Prinzipien des 1987 ermordeten Präsidenten Thomas Sankara besinnen. Doch gelten ebenso die antiimperialistischen Positionen Léopold Sédar Senghors, des ersten Präsidenten eines unabhängigen Senegal, und Kwame Nkrumas, des ersten ghanaischen Staatschefs nach der Kolonialzeit, als Richtwert.Das bedeutet unter anderem, dass man sich stärker bei Nachbarländern wie Ghana und Mali anlehnt, um erforderliche Infrastrukturprojekte endlich auf den Weg zu bringen, zum Beispiel eine Eisenbahntrasse Ouagadougou – Accra. Geprüft wird derzeit, ob eine Linie von Bobo-Dioulasso im Südwesten von Burkina Faso in die Mali-Hauptstadt Bamako möglich ist. Geplant wird ein Straßennetz, das den Norden und Osten des Landes besser anbindet, was für die innere Sicherheit dieser Regionen und die Versorgung der dortigen Bevölkerung von existenzieller Bedeutung ist. Zu erwähnen bliebe, dass die Finanzierung dieser Projekte sowohl durch China als auch den Währungsfonds IWF oder die Weltbank erfolgen könnte. Wenn sich letztere in der Vergangenheit dafür nicht sonderlich stark machten, lag das an der Fortschreibung alter kolonialer Interessen, wonach nur Häfen an den afrikanischen Küsten und Verbindungen zu den Abbaugebieten von Rohstoffen gebaut und fortlaufend modernisiert wurden. An Hilfen für innerafrikanischen Handel waren neokoloniale Akteure nicht interessiert.Deutlich wurde Premierminister Kyélem in der Kritik der bisherigen militärischen Kooperationspartner. Dass weite Gebiete des Landes unter Kontrolle islamistischer Milizen stehen, sei nur mit der „Komplizenschaft“ einiger angeblicher Alliierter zu erklären. Wo kämen die oft hochmodernen Waffen der Eindringlinge her? Und wieso könnten die, denen es gegeben sei, die Erde vom Weltraum her genau zu kontrollieren, die Herkunft dieser Ausrüstung nicht erklären? Warum lieferten sie den nationalen Streitkräften dazu keine Informationen?Kyélem will lokale Verwaltungsformen stärken. 80 Prozent der Burkiner verbinde mit dem aus der Kolonialzeit überkommenen Recht und mit der Verfassung Frankreichs ebenso wenig wie mit dem westlichen Wirtschaftssystem. Mit „La patrie ou la mort – nous vaincrons!“ – „Heimat oder Tod – wir werden siegen“, schloss der Regierungschef seine Grundsatzrede. Zum Zeichen, dass das soziale Engagement des Übergangsparlaments ernst gemeint ist, spendeten die Abgeordneten die Hälfte ihres Novembergehalts, um zwei Millionen Binnenflüchtlinge besser versorgen zu können. Besiegen lassen sich auch in Burkina Faso die terroristischen Invasoren nur dann, wenn die Bevölkerung zu den Institutionen Vertrauen fasst. Der Kampf gegen Bodenspekulation und Korruption muss spürbare Ergebnisse zeitigen. Die Polizeiführung will fortan regelmäßig Pressekonferenzen abhalten, damit öffentlich nachvollziehbar ist, was sie unternimmt.Generaldirektor Roger Ouédraogo sagte am 26. November, dass die Polizei nicht nur ein republikanisches Organ sei – was im Kampf gegen den islamistischen Terror mehr als deutlich betont werden müsse –, sondern zugleich Institution der Bürger. Um sich als solche zu erweisen, seien die eigene Anstrengung und ein neues Bewusstsein der Bürger nötig. Die Polizei habe sich zu mehr Selbstkontrolle im Kampf gegen die Korruption verpflichtet, für die gerade sie – laut einer nationalen Erhebung – am anfälligsten gewesen sei. Er forderte die Bürger auf, bei Unstimmigkeiten im Straßenverkehr keinem Polizisten mehr Geld anzubieten, sondern Strafmandate in einem Kommissariat zu begleichen. Ein wichtiger Vorschlag, um Korruption einzudämmen, kommt vom Dachverband der Zivilgesellschaft für die 2024 vorgesehenen Parlaments- und Kommunalwahlen: Kandidaten sollten nur antreten dürfen, wenn sie einen Nachweis über korrekt gezahlte Steuern vorlegen.Die Übergangsregierung tut einiges für mehr Bürgerverständigung. Und dies nicht nur an Schulen, die von Kindern verschiedener, teils verfeindeter Ethnien besucht werden. Der Internationale Tag der Toleranz am 16. November war der Stärkung jener traditionellen Strukturen gewidmet, die einst dem inneren Frieden der Landbevölkerung zugute kamen. In Dori, der Hauptstadt der nördlichen Region Sahel, lud ein Zusammenschluss der muslimischen „Bruderschaft der Gläubigen“, der Vertreter der Diözese von Ouahigoiya wie der Assoziation für die Entwicklung der Dorfgemeinschaften zu einem Treffen ein. Viele religiöse Autoritäten, lokale Würdenträger und Vereine fühlten sich angesprochen. Ziel war es, die durch den islamistischen Terror gespaltenen Volksgruppen miteinander zu versöhnen.Baerbock versus LambrechtDie von der Übergangsregierung geforderte Aufstellung eines Kontingents von 50.000 Freiwilligen, die der Armee im Anti-Terrorkampf zur Seite stehen, erweist sich in den von bewaffneten Gruppen kontrollierten ländlichen Zonen als schwierig. Der Loyalitätswechsel eines jungen Mannes kann schwerste Bestrafungen seiner Familie oder eines ganzen Dorfes durch Milizen aus Paramilitärs nach sich ziehen. Daher wird das Verlangen laut, die Regierung möge auf gesetzlichem Wege offiziell einberufen, wen sie brauche. Vertrauen zu den traditionellen lokalen Autoritäten sei unerlässlich. Das Gerücht, dass die Regierung 2.000 ausländische Soldaten verpflichten wolle, um ihr Sicherheitspersonal aufzustocken, wurden dementiert.Die Vorsicht, mit der die Übergangsregierung künftige militärische Kooperationen angeht, beruht auf den Erfahrungen Malis, wo ein Erfolg noch ungewiss ist. Frankreich beantwortete den politisch erzwungenen Totalrückzug seines Korps mit einer drakonischen Strafe – der Streichung von Entwicklungshilfe.Die deutsche Regierung hat in der vergangenen Woche beschlossen, den Einsatz deutscher Soldaten nicht sofort, sondern erst 2024 zu beenden. Aufschlussreich sind die Differenzen zwischen Außenministerin Annalena Baerbock und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht. Letztere wollte den Einsatz so früh wie möglich, das heißt, schon 2023 beenden, weil ihr die Souveränität nicht passt, die Mali über Art und Verlauf der Operationen neuerdings beansprucht. Baerbock hingegen hat sich für einen längeren Verbleib stark gemacht, da sie hofft, einen militärischen Einfluss Russlands in Mali zu begrenzen. So hat die Strategie einer Diversifizierung der Kooperation für Mali und Burkina Faso durchaus eine Chance.