Die Freiberger Inszenierung des Erfolgsstücks „Café Populaire“ spielt lustvoll mit Klischees vom Klassenkampf, auch wenn dessen Teilnehmer ihn selbst ignorieren.
„Wissen Sie, warum man hier so gut Witze über Arme machen kann“, fragt Svenja und antwortet natürlich gleich selbst: „Weil die sich die Karten eh nicht leisten können.“ Es sind diese Querschläger von Selbstironie, die das Theater wie seine Zuschauerinnen und Zuschauer meinen und tatsächlich auch treffen, die das Stück „Café Populaire“ so aufregend unterhaltsam machen, obwohl es nur so von Klischees strotzt. Doch dieser Wahnsinn hat Methode in Nora Abdel-Maksouds Stück „Café Populaire“, das als „multimediales Schauspiel“ am Samstag auf der Bühne in der Borngasse am Mittelsächsischen Theater Freiberg Premiere hatte.
Svenja erfüllt alle Klischees einer „Gutmenschin“, wählt links, ist politisch, sozial und künstlerisch gebildet, was sie über ihren Videoblog auch alle wissen lässt. Nur dass es nicht alle wissen wollen. Sie hat gerade mal acht Follower, von denen vier bereits tot sind. Was daran liegt, dass Svenja ihren Lebensunterhalt als Hospizclown mit „Gestenspielarbeiten“ in einem Kaff namens Blinden verdient. Tonja Arina Gold spielt die Überzeugungstäterin überzeugend, die natürlich mit „Heteronormativität“ nichts am Hut und sogar einen Freund – jedenfalls glaubt sie, dass es ein Freund ist – in den Unterschichten hat: Amal, mit dem Peter Peniaska herrlich schräg quasi das gesamte Prekariat in einer Person verkörpert.
Die deutschen Kleinbürgerklischees
Einer von vielen schönen Effekten, mit denen die Inszenierung von Nils Braun, der auch fürs zweckmäßig spartanische Bühnenbild verantwortlich zeichnet, Kostüme von Annabel von Berlichingen, nicht geizt: Wenn Aram vom Masseur zum Kellner zur Putzhilfe zum Uber-Fahrer wird, nimmt der Berg an Berufsbezeichnungsschildern auf seiner Brust langsam bedrohliche Ausmaße an. Eigentlich ist der migrationshintergründige Aram Wirtschaftspsychologe, der mit seiner Familie gerade eine Wohnung sucht und schon mal verspricht, wiederum alle deutschen Kleinbürgerklischees zu erfüllen, die dafür vonnöten sind: Man werde „geruchsneutral kochen“, „schallgeschützt abhusten“, habe auch „nur selten Sex, und wenn, dann sehr leise“. Als Wohnung für Aram, aber auch als Kulturzentrum für die hyperaktive Svenja würde sich das ehemalige Lokal Goldene Möwe anbieten, für das dessen altlinke, gebrechliche Besitzerin, nun Hospizbewohnerin Püppi – hintergründig und urkomisch am Rollator: Fabian Vogt – eigentlich einen „bolschewistischen Werftarbeiter mit revolutionärem Tatendrang“ sucht. Aber die sind selten geworden, und so hetzt sie die Bewerber um die Goldene Möwe genussvoll gegeneinander. Dann aber fährt der Don in Svenjas Körper, ihr alter ego sozusagen, ein aalglatter, neoliberaler Schnösel, „libertärer Hampelmann“, wie Püppi sagt – kaltherzig, elegant, exzellent: Elena Hollender – der es völlig richtig findet, dass „die beschissensten Jobs am beschissensten bezahlt“ werden und diese Erkenntnisse nun Svenja in den Mund legt, deren Followerzahlen daraufhin rasant auf 28, 53 und 104 steigen.
Spannung mit der Videokamera
Überzeugend auch der Regieeinfall, die vier Protagonisten einen Teil der in rasantem Tempo aufgeworfenen halbgaren Fragen und Antworten nach Klassismus, Abgrenzung, Klassenkampf in eine Videokamera sprechen zu lassen und parallel zum Bühnengeschehen ins Publikum projizieren und damit zu vervielfältigen. Spannung erwächst in dem Stück daraus, dass die Schauspielerinnen und Schauspieler den Klischees, denen die Figuren zu entsprechen scheinen, immer wieder eine menschliche Dimension geben, wenn sich die Gutmenschin Svenja und ihr dunkler Don als ein dialektisches Paar erweisen, dessen scheinbar diametral entgegengesetzte Meinung in ihrer Haltung gar nicht so weit voneinander entfernt ist, wenn sich das Prekariat in Gestalt Arams eher als das verhinderte Kleinbürgertum erweist und Püppi sich zwar noch an die „Verdammten dieser Erde“ aus der „Internationale“ erinnert, ansonsten aber hervorragend mit dem Kapitalismus auskommt und keiner die Frage beantwortet, „welchen Wert ein Leben ohne Arbeit“ hat. Die Inszenierung löst die Konflikte zwischen Gut- und Wutbürgern nicht auf – auch eine Stärke. Vielleicht mischt sich deshalb in den anerkennenden Applaus nach der nicht ausverkauften Premiere auch ein wenig Verstörung über die zahlreichen Momente der Selbsterkenntnis. Aber dass kann Theater wie Publikum ja nur guttun.
Nächste Vorstellungen: Freitag, 16. Dezember, 19.30 Uhr, und Sonntag, 18 Dezember, 19 Uhr auf der Bühne in der Borngasse in Freiberg.