Energieversorgung ist derzeit ein sensibles Thema. Das bekamen auch Aktivisten der Klima-Gruppe „Letzte Generation“ zu spüren. Eine Razzia in mehreren Bundesländern beschäftigte sich im Zusammenhang mit den Aktionen der Gruppe bei einer Erdölraffinerie. Der Vorwurf: „Bildung einer kriminellen Vereinigung“.
„Bildung einer kriminellen Vereinigung“ sowie Störung öffentlicher Betriebe – diese Vorwürfe gegen die Klimagruppe „Letzte Generation“ stehen im Raum. Eine Razzia in mehreren Wohnungen bundesweit am Dienstag, 13. Dezember, sollte entsprechende Beweismittel erbringen.
Wie die Staatsanwaltschaft Neuruppin erklärte, hatten die Sicherheitsbehörden auch eine Wohnung im nordöstlichen Bundesland durchsucht. Gleichzeitig waren in anderen Bundesländern Ermittler gegen die „Letzte Generation“ im Einsatz. Insgesamt sollen elf Wohnungen der Klimaaktivisten durchsucht worden sein.
Hintergrund und somit Ausgangspunkt der Maßnahmen seien die Aktionen der Gruppe in der Ölraffinerie PCK Schwedt im April dieses Jahres gewesen. Dort hätten die Aktivisten Schieber von Ölleitungen zugedreht.
Merz: Schwere Straftaten sind kein Klimaschutz
CDU-Chef Friedrich Merz begrüßte die Durchsuchungen. Zu den Aktionen von „Letzte Generation“ sagte Merz am Dienstag vor der Fraktionssitzung in Berlin: „Das hat mit Klimaschutz nichts zu tun.“ Bei den Vorwürfen handle es sich um „schwere Straftaten“ und der Rechtsstaat müsse Zähne zeigen, so Merz.
Brandenburgs Justizministerin Susanne Hoffmann (CDU) legte den Fokus auf die Verfolgung von Straftaten: „Wo Straftaten begangen werden, müssen diese konsequent verfolgt werden – und zwar unabhängig von der Motivation.“
In einem demokratischen Rechtsstaat sei kein Platz für rechtswidrige Blockaden. „Eine Gruppierung, die gemeinschaftlich darauf ausgerichtet ist, planmäßig Straftaten zu begehen, erfüllt den Tatbestand einer kriminellen Vereinigung, auch wenn die Straftaten einem vermeintlich höherwertigen Ziel dienen sollen.“
„Letzte Generation“: Angriff auf Versammlungsfreiheit
Auch bei „Letzte Generation“-Sprecherin Carla Hinrichs gab es demnach eine Razzia: „Heute Morgen wurde meine Wohnung durchsucht“, schrieb die Klimaaktivistin auf Twitter und nannte das Erlebnis „beängstigend, wenn die Polizei deinen Kleiderschrank durchwühlt“.
Hinrichs kündigte an: „Aber denkt ihr ernsthaft, dass wir jetzt aufhören werden?“ Die Sprecherin der Gruppe nannte den Vorwurf der „kriminellen Vereinigung“ einen Angriff auf die Freiheit aller, „sich zu versammeln, wenn Unrecht geschieht“.
Heute morgen wurde meine Wohnung durchsucht. Vorwurf: Bildung einer #KriminelleVereinigung.
Und jetzt? Ja, das ist beängstigend, wenn die #Polizei deinen Kleiderschrank durchwühlt.
Aber denkt ihr ernsthaft, dass wir jetzt aufhören werden? #LetzteGeneration https://t.co/bOf98lDIsO— Carla Hinrichs – Widerstand oder Katastrophe (@carla_hinrichs_) December 13, 2022
Später twitterte Hinrichs, dass die Polizei nochmals bei ihr zu Hause vorbeigekommen sei.
Danke, für eure #Solidarität!
Der Vorwurf einer #kriminellenVereinigung ist ein Angriff auf unser aller Freiheit sich zu versammeln wenn Unrecht geschieht. #WirSindAlleDieLetzteGeneration— Carla Hinrichs – Widerstand oder Katastrophe (@carla_hinrichs_) December 13, 2022
„Wir machen weiter“
Die Klimagruppe bestätigte die Razzia durch eine Twittermitteilung. Den Informationen nach seien die Einsatzkräfte frühmorgens gegen fünf Uhr angerückt und hätten elektronische Geräte wie Laptops und Handys sowie Plakate konfisziert. In einem weiteren Tweet kündigte die Klimagruppe an, dass sie auch nach den polizeilichen Aktionen weitermachen werde: „Denn wir sind die letzte Generation, die das tun kann.“
Der Regierung warf man vor, die Gesellschaft in den Klimakollaps zu führen und die Lebensgrundlage aller „und unserer Kinder“ unwiederbringlich zu zerstören.
Unterstützung im Netz
Jan Böhmermann, ZDF-Fernsehen, äußert sich wie folgt zur Razzia: „Wenn Deutschland dem Klimawandel so entschlossen entgegenträte, wie den Menschen, die vor ihm warnen, wäre vielleicht noch etwas zu retten.“
Carola Rackete, die einst als Kapitänin der „Sea-Watch 3“ im Zusammenhang mit der Mittelmeer-Migrationsroute für Schlagzeilen sorgte, twittert: Der eigentliche Skandal „angesichts der sich stetig verschärfenden Klimakatastrophe & bewaffneten Reichsbürgern mit Umsturzplänen“ sei das Vorgehen gegen die „Letzte Generation“. Auch Rackete forderte, dass die Kriminalisierung von Klimaaktivisten aufhören müsse.
Aufgrund der Razzia bei „Letzte Generation“ meldeten sich auch andere Klimagruppen zu Wort. Beispielsweise setzte „Friday for Future“ ein Statement ab: Man verurteile die Razzien bei Aktivisten aufs Schärfste. „Diese Kriminalisierung von Klimaprotesten ist unverhältnismäßig und gefährlich“, so FFF auf Twitter. Luisa Neubauer, eine Sprecherin der Bewegung, nannte die Razzia ein „grenzenlos unverhältnismäßiges & absurdes Vorgehen“. Wie sehr die Klimapolitik in diesem Land auf dem Kopf stehe, erfahre man dann, wenn der Kampf gegen Klimaschützer energischer vorangetrieben werde als der Kampf gegen die Klimakrise. Das Ganze sei „entblößend“, so Neubauer.
„Ende Gelände“: Nur Suppe und Kleber
„Extinction Rebellion“ forderte „volle Solidarität“ mit den Aktivisten von „Letzte Generation“. In einer Twittermeldung behauptete die radikale Vereinigung nicht nur, dass der Staat die Aktivisten kriminalisiere, sondern auch mit seinem Wirtschaftsmodell die Bürger und „die ganze Menschheit in die ökologische Apokalypse“ führe.
Eine weitere Klimagruppe äußerte sich zur Razzia – „Ende Gelände“. Die durch teils gewalttätige Proteste im Umweltbereich bekannte Klimagruppe twitterte zu den Vorwürfen der „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ gegen die Klimaaktivisten von „Letzte Generation“: „Wegen Kleber auf der Straße&Suppe auf Plexiglas. Die Kriminelle Vereinigung besteht aus Lobby, Konzernen, Politik & zerstört unsere Lebensgrundlage.“
Laut Bundesverfassungsschutz soll „Ende Gelände“ durch linksextreme Gruppierungen beeinflusst sein, etwa der Interventionistischen Linken (IL). Der Berliner Verfassungsschutz schrieb bereits in seinem Jahresbericht 2019 (pdf) über die Hauptstadtgruppe von „Ende Gelände“: „Der Zusammenschluss geriert sich in seiner Außendarstellung als Klimaschutz-Akteur. Dabei wird verschleiert, dass die tatsächlichen Ziele weit darüber hinaus reichen. So bezeichnet sich die linksextremistische IL als maßgeblicher Bestandteil von EG.“
Auch eher politisch tätige linke Gruppen gaben ein Statement ab. Das sogenannte „Zentrum für Politische Schönheit“ schreibt: „Der Staat fährt schwerste Geschütze auf: Präventivhaft und jetzt 129a.“ Die Polizei werde zum „Handlanger der Fossil- und Autofahrlobby“. Auch hier wurde „volle Solidarität“ gefordert.
Die „Rote Hilfe“, eine bis in die hohe Politik gut vernetzte linke Vereinigung, die sich früher für RAF-Terroristen eingesetzt hatte, gibt im Fall der „Letzten Generation“ ihr Statement ab. Auf Twitter heißt es dazu, „die Kriminalisierung der Klimabewegung geht weiter. Unsere Solidarität mit den Betroffenen der Hausdurchsuchungen, in den Knästen und allen, die wegen ihrem Kampf [sic!] für eine bessere und klimagerechte Welt von Repression getroffen werden.“ Der Bundesverfassungsschutz betrachtet den 10.500 Mitglieder starken bundesweiten Verein als eine der „größten und wichtigsten Gruppierungen im deutschen Linksextremismus“, deren primäres Betätigungsfeld die „Unterstützung von linksextremistischen Straftätern sowohl im Strafverfahren als auch während der Haftzeit“ sei, um diese „zum ‚Weiterkämpfen‘ zu motivieren“.
„Letzte Generation“ nicht nur harmlose Öko-Aktivisten?
Dass die „Letzte Generation“ alles andere als harmlos ist, glaubt Terrorismusexpertin Bettina Röhl, Autorin von „Die RAF hat euch lieb“ und Tochter der RAF-Gründerin Ulrike Meinhof. Röhl, die als Kind die Gründung der RAF im heimischen Wohnzimmer miterlebte, sagte zu „Bild“: „Die ‚Letzte Generation‘ ist schon auf der Ziellinie der RAF.“ Terrorismus sei immer Selbstdarstellung wie van Gogh besudeln, Straßenblockaden oder Pipeline-Gelände zu stürmen.
„Auch die 68er-Bewegung begann mit Sabotage-Akten und Pudding-Attacken. Viele schrien dann nach mehr ‚Taten‘ und ‚Revolution‘. Bei den Klimaaktivisten kann dieser hysterische ‚Kipppunkt‘ zu Gewalt und Terror sehr schnell erfolgen“, beurteilt die Expertin die Entwicklung der „Letzten Generation“.
Im Frühjahr wies der Religionspsychologe Michael Utsch von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ auf „religiös aufgeladene Sprachbilder“ bei der Klimagruppe hin: „Damit schürt sie apokalyptische Endzeitängste, wenn die Rede von ,letzte Generation‘, ,Weltuntergang‘ oder ,Selbstaufopferung‘ ist“, so der Experte. Damals meinte Utsch jedoch noch, dass angesichts von radikalen und moderaten Strömungen in der Gruppe der „genaue Kurs der Bewegung noch nicht abzusehen“ sei.