Meinung Kathrin Gerlof blickt mit Sorge auf die aktuellen Entwicklungen in der deutschen Politiklandschaft. Denn: Wer glaubt, die AfD sei mit Argumenten zu bekämpfen, der irrt. Es ist ein Kulturkampf, den wir endlich führen müssen


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Ausgabe 27/2023

Besorgniserregend: Demonstranten schwenken vor dem Reichstag Deutschlandflaggen

Besorgniserregend: Demonstranten schwenken vor dem Reichstag Deutschlandflaggen

Foto: Omer Messinger/Getty Images

Ein Landrat in Thüringen und ein hauptamtlicher Bürgermeister in Sachsen-Anhalt. Kein Grund zur Panik. Bundeskanzler Olaf Scholz will die Wahlerfolge der völkisch-rassistischen AfD nicht wegreden, der Partei aber auch nicht allzu viel Aufmerksamkeit schenken, weil das möglicherweise neue Wahlerfolge nach sich zieht. Im Sommerinterview erklärte er, man wolle den Höhenflug der AfD mit Entscheidungen zu Alltagsproblemen der Bürger stoppen. Es sei nötig, den Menschen eine positive Zukunftsperspektive zu geben und ihnen Respekt zu zeigen. Doch, es gibt Grund zur Panik.

Wenn der Kanzler glaubt, Entscheidungen zu Alltagsproblemen (was bitte ist gegenwärtig kein Alltagsproblem?) setzten dem gesellschaftlichen Rechtsruck und der damit einhergehenden Bedro

nden Bedrohung genug entgegen, beginnt man um die „positive Zukunftsperspektive“ (und was ist das nun wieder?) zu fürchten. Der Leiter der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, findet die richtigen, weil klaren Worte, wenn er davor warnt, die AfD noch als Protest und den Protest als „typisch ostdeutsch“ zu begreifen. „Die Wählerinnen und Wähler wollen diese Partei. Darin besteht der Ernst der Lage.“Die CDU nähert sich anHeißt: Das ist keine „Schlechte-Laune-Partei“, der man mit besserer Laune und stetiger Anpreisung einer positiven Zukunftsperspektive beikommt. Auch nicht damit, ihr Sommerinterviews zu gewähren, in Talkshows und auf Podien Redezeit einzuräumen. Und schon gar nicht, indem sich die CDU, die sowieso schon rechteste Volkspartei der Mitte, der AfD immer weiter annähert in der Hoffnung, ihr ein paar Wähler*innenstimmen abzujagen.Was nicht unwesentliche Teile der CDU und die CSU veranstalten, fällt mindestens unter fahrlässige Gefährdung der Demokratie. Und wenn eine SPD-Innenministerin ein Abkommen zur Abwehr von Geflüchteten und endgültigen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl als guten Kompromiss feiert, mag es zwar sein, dass die eine oder der andere AfD-Wähler*in ihr dafür Beifall zollt. An den gegenwärtigen Umfragen wird es aber höchstens insoweit etwas ändern, als dies klarmacht: Rechts wirkt – hin und wieder tanzen schon viele nach dieser Pfeife. Also machen wir mal noch mehr Druck und weiten die Kampfzone aus.Auf diesen Ernst der Lage weisen sehr viele schon sehr lange hin. Die Kampfansagen der Rechten lassen es auch nicht an Klarheit fehlen. Es ist ein Kulturkampf, es geht um alles, und wenn die Rechten ihn gewinnen, was möglich ist, wie man von unseren Nachbarländern weiß, müssen wir mit einem Menschenbild – und all den damit verbundenen Folgen – leben, das hinter die Aufklärung zurückgeht.Der Rechtsextremismusexperte David Begrich adressierte Politik und Zivilgesellschaft bereits vor sechs Jahren mit den Worten: „Viele der gesellschaftlichen Akteure nehmen die Kampfansage der ‚Neuen Rechten‘ an sie nicht wahr. Und das ist ein Problem. Jene, die in ihrer Art zu leben, Politik zu betreiben oder sich kulturell auszudrücken, der AfD entgegenstehen, begreifen nicht, was gegenwärtig in der gesellschaftlichen Diskussion auf dem Spiel steht. Man erkennt das etwa daran, wie Theater und andere Einrichtungen die Ideologieproduzent*innen der AfD auf ein Podium setzen, um, wie sie sagen, einen Dialog zu führen.“ Mit Leuten also, die erstens gar keinen Dialog wollen und zweitens davon träumen, die Bühnen, die Talkshows, die Medien nach ihren Vorstellungen zuzurichten.Auf allen Kanälen lügenDie rechten Nationalisten haben und brauchen gar keine programmatische oder politische Fülle an Angeboten dafür, wie sich die Alltagsprobleme der Bürgerinnen und Bürger lösen lassen. Sie fahren ihre Wahlerfolge und Umfragehochs nicht ein, weil sie in der Lage sind, irgendetwas zum Besseren zu wenden, sondern weil sie am lautesten brüllen, auf allen Kanälen lügen, vor Gewalt nicht zurückschrecken, ihre politischen Gegner*innen einschüchtern und einen „gesunden Volkskörper“ versprechen, der in der Lage ist, multikulturelle Bedrohungen abzuwehren. Mindestens tausend Jahre lang.Weil sie in den ländlichen Regionen ihre Schlägerbanden vorschicken und hinterher in den stetig ausgeweiteten Kampfzonen abräumen können. Weil über die rechten Täter viel zu viel und über deren Opfer viel zu wenig geredet wird. Weil es immer noch die Vorstellung gibt, eine inhaltliche Auseinandersetzung könne überzeugend genug sein, um das Blatt zu wenden. Eine inhaltliche Auseinandersetzung also mit Männern wie Björn Höcke, dessen „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ sicher auch darin bestünde, die „Wucherungen am deutschen Volkskörper“, wie der einstige Vorsitzende der AfD Sachsen-Anhalt, André Poggenburg, es einmal nannte, zu beseitigen. Gut möglich, dass der eine oder die andere AfD-Wähler*in später von der Partei ihrer Wahl ebenfalls als eine solche Wucherung begriffen wird. Aber im Moment interessiert sie das nicht. Das gilt es zur Kenntnis zu nehmen, und deshalb wäre es tatsächlich nötig, sich über etwas mehr als gute oder schlechte Laune Gedanken zu machen.Es gab mal eine Zeit, da wurde eine hohe Wahlbeteiligung als Garant für den Erhalt einer aufgeklärten Demokratie, einer solidarischen und pluralen Gesellschaft angesehen. Das stimmt nicht mehr. Und das ist ein fürchterliches und beängstigendes Dilemma. Weil es sich möglicherweise gerade ins Gegenteil verkehrt.



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Von Veritatis

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