Ausgelassen friedvoll schwelgt der Sänger mit Band und tausenden Fans im Wasserschloss Klaffenbach in Nostalgie und lädt zum Träumen ein.
Es gibt sie noch, die Menschen, die auf ihre Kindheit und Jugend auf dem Lande eher mit lachenden als mit weinenden Augen zurückblicken. Axel “Aki” Bosse, Jahrgang 1980, aufgewachsen in Niedersachsen, gehört trotz mangelnder Busanbindung und so mancher Begegnung mit den Dorfnazis dazu. Er kennt das Außenseitertum, aus dem auch immer Abenteuer und manchmal tiefe Zuneigung erwachsen können. Seiner großen Jugendliebe, Außenseiterin wie er, hat er 2013 den Song “Es war die schönste Zeit” gewidmet und der Chor aus tausenden Kehlen, der ihn am Samstagabend aus dem Innenhof des Wasserschlosses Klaffenbach heraus begleitet, beweist, dass sich hier so mancher erinnert an den “Tag als Kurt Cobain starb” und Berlin “wie New York ein meilenweit entfernter Ort” war.
Zurückholen müsse man die Zeit nicht, wozu auch. Aber sich dran erinnern, ist erlaubt. Mit “Hallo Hometown” hat er 2018 von der Rückkehr in die Heimatregion erzählt – “in jeder Ecke hängt noch ein Teenagertraum”. Auch das ein Song, der einen vielstimmigen Chor provoziert. 2023 nun, das berichtet der Sänger bei seinem Konzert, sehne er sich durchaus zurück nach dem Landleben. “Aki will Acker”, würde eine Boulevardzeitung vielleicht titeln.
Mit 17 ins Musikgeschäft
Früh ist Bosse ins Musikbusiness eingetreten, mit 17 unterschrieb er seinen ersten Plattenvertrag. Erfolgsalben wurden dann erst “Wartesaal” 2011 und “Kraniche” 2013. Songs von diesen Platten bilden denn auch das Grundgerüst auf der aktuellen Livetour: “Kraniche” eröffnet den Abend, “So oder so” schließt an. Mit “Du federst” an dritter Stelle wird nachdrücklich bewiesen, dass Bosse kein Einzelkämpfer ist, sondern für eine ganze Band steht – Martin Wenk steuert Trompetensoli bei, Thorsten Sala eines an der Gitarre, die Musiker tanzen wie kleine Jungs in der Disko, ein bisschen drüber, aber voller guter Laune, und die neue Begleitsängerin Bowie singt so hoch wie möglich.
Letztere konnte man auch schon im Vorprogramm mit eigenen Songs hören, etwa “Keeper”, eine Hymne, mit der andere Nationen beim ESC vermutlich einen respektablen Top-10-Platz erreichen würden. Als Begleiterin für Bosse geht sie hingegen zuweilen fast ein wenig unter. “Frankfurt / Oder” etwa, in einer Albumversion strophenweise auch von Anna Loos gesungen, bestreitet Aki Bosse durch alle Strophen allein.
Singen und tanzen, als wäre es das letzte Mal
Mitreißend bleibt es dennoch. Bei jedem zweiten Song wird nach dessen Ende noch mal der Refrain zum Chorgesang angestimmt. Die Menge tanzt, “als wär’s der letzte Tanz” und hält sich auch sonst an alle Durchsagen von der Bühne. “Ich spiel so schlecht Gitarre, dass ich durcheinanderkomme, wenn ihr mitklatscht”, sagt Aki Bosse, also wird zu einer herzerwärmenden Akustikversion von “Augen zu, Musik an” eben nicht mitgeklatscht. Für “Ein Traum”, musikalisch böse an “Dschingis Khan” oder “Moskau, Moskau” angelehnt, ein “Go West für die Kreisliga”, wie Bosses Manager gesagt haben soll, wünscht sich der Sänger einen Kneipenchor und bekommt auch diesen. Der Song ist ein Vorgriff auf das im Oktober erscheinende neue Album – “Übers Träumen” soll es heißen, sei zwar kein Konzeptalbum, verhandle aber doch das Thema in vielen Facetten.
Das schließt gut an den visionären Song “Das Paradies” von 2021 an: In Bosses Paradies verdienen Männer und Frauen das gleiche, niemand ertrinkt im Mittelmeer, Rabbis und Imame grillen gemeinsam auf dem Rasen, Depressionen sind abgeschafft und “am Eingangstor stand Peace”. Legt man die ausgelassene, friedvolle Stimmung zugrunde, die am Wasserschloss herrschte und sich bis in die übervolle vorletzte Straßenbahn Richtung Innenstadt fortsetzte, muss man wohl konstatieren: Ein Stück davon hat Bosse am Samstag für seine Fans nach Chemnitz geholt.