Im Leben eines Schauspielers passiert es nicht allzu oft, dass ihm Rollen auf den Leib geschrieben werden. Noch seltener wird daraus auch noch ein herausragender Film. Passages von Ira Sachs ist ein solcher Glücksfall. Vor einigen Jahren war dem amerikanischen Regisseur in Michael Hanekes Film Happy End von 2017 ein junger Nebendarsteller aufgefallen: Franz Rogowski. Sachs sagt, er habe den Schauspieler „so faszinierend und aufregend gefunden, dass ich diesen Eindruck in einem Spielfilm festhalten wollte“. Woraufhin er in seinem neuen Drehbuch die Rolle eines in Paris lebenden Deutschen für den 37-Jährigen schrieb, ohne ihm davon zu erzählen.

„Das hat er mir erst bei unserem zweiten Treffen verraten“, erinnert sich Rogowski. „Zum Glück, sonst hätte mich das sicher eingeschüchtert. So konnte ich das Drehbuch erst mal ohne Erwartungen und Druck lesen.“ Trifft man Rogowski persönlich, fällt auf, wie viel wuchtiger und größer er auf der Leinwand durch Spiel und physische Präsenz wirkt. Am Cafétisch macht er dagegen einen zarteren Eindruck, er spricht leise und ruhig, angenehm zurückgenommen, dabei sehr aufmerksam und zugewandt. Und erst mal will er lieber über seinen Regisseur reden als über sich. „Ich liebe Iras Filme schon lange, und er wird oft eine Ikone des Queer Cinema genannt. Für mich ist er als Allererstes ein Cinephiler, der die Mittel des Kinos nutzt, um Realität auf eine Art erfahrbar zu machen, die ich sehr besonders und beeindruckend finde.“ Für Rogowski geht es nie nur um die Figur, die er spielen soll, viel wichtiger seien der Regisseur und das Drehbuch. „Es gibt keine gute Rolle in einem schlechten Film“, sagt er.

Tomas, den er in Passages spielt, ist alles andere als einfach. Er lebt als deutscher Filmemacher seit vielen Jahren zusammen mit seinem britischen Ehemann Martin (Ben Whishaw) in Paris. Eines Tages verliebt er sich unverhofft in eine Frau. Nach der ersten Nacht mit der jungen Schullehrerin Agathe (Adèle Exarchopoulos) erzählt er Martin von seinem Abenteuer. Und findet Gefallen an dem ungewohnten Begehren, will mehr, selbst wenn er damit die Gefühle sowohl von Martin als auch von Agathe verletzt.

Rogowski ist eine Wucht als dieser selbstbezogene Unruhegeist. So widersprüchlich seine Figur ist – kreativ und witzig, sexuell und fordernd, dann wieder jungenhaft Anerkennung heischend, immer zugleich anziehend und unerträglich –, so fasziniert schaut man ihm zu, wie er immer wieder damit durchkommt. Dieser narzisstische Zauber, der schon Martin und dann Agathe gefangen genommen hat, überträgt sich auch auf das Publikum. „Es besteht natürlich die Gefahr, dass man verstört, weil er sich so verhält, weil er so verletzend und auch gewalttätig agiert. Aber wenn man genauer hinschaut und sich darauf einlässt, erkennt man, dass er mit sich selbst kämpft, dass er versucht, zu lieben, sich und andere, Kreatives zu erschaffen, zu leben. Und dass er immer wieder daran scheitert und sich mies verhält.“ Ihn faszinieren solche Protagonisten, sagt Rogowski, Figuren, die ambivalent sind, weder gut noch böse, und damit das Publikum auch herausfordern.

Nächste Station von Franz Rogowski: Venedig

Diese Präsenz, die bei Passages zu spüren ist, macht ihn seit Jahren zu einem der gefragtesten Charakterdarsteller im deutschen Kino, von den ersten Auftritten in Independentfilmen wie dem improvisierten Liebesdrama Love Steaks, über Victoria, Sebastian Schippers atemlose Odyssee durch eine Berliner Nacht, bis hin zu Filmen von Christian Petzold, für den er bislang zweimal vor der Kamera stand, als politischer Flüchtling in Transit und zuletzt als Taucher in Undine. In Thomas Stubers In den Gängen spielt er einen schüchternen Mitarbeiter eines Großmarkts, der sich in eine ältere Kollegin verliebt. Für die Rolle wurde er mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet. Immer wieder sind es Sonderlinge, die er spielt, oft wortkarg und rätselhaft, zwischen Härte und Verletzlichkeit. In Hanekes Happy End ist es der Fabrikantensohn, der mit seiner Mutter das Unternehmen leitet und mit den familiären Verlogenheiten hadert – die Rolle, durch die Ira Sachs auf Rogowski aufmerksam wurde. „In seiner Darstellung fiel mir gleich die Freiheit auf, die Energie, aber auch die technische Präzision. Er spielt mit feinsten Nuancen und scharfer Klarheit“, sagt der.

Wie Rogowski mit seinem Körper arbeitet, sich im Raum bewegt, das hat auch viel mit seinem persönlichen Hintergrund zu tun. „Ich habe ganz allgemein einen sehr physischen Zugang zur Welt, weil ich schwerhörig bin. Meine Kommunikation ist physischer, mein Sozialleben ist davon geprägt. Ich gehe in keine lauten Bars, unterhalte mich lieber mit einer Person oder verbringe viel Zeit allein in der Natur.“ Und er ist ausgebildeter Tänzer, „das hat sicher auch meine Art des Schauspiels beeinflusst. Ich versuche durch Bewegungen und Rhythmus einen Raum zu schaffen, den ich dann akzentuiere, mit dem Dialog, Schweigepausen und kleinen Gesten. Ich würde am liebsten alle Emotionen und das Psychologische rausnehmen und alles in Blicke, Schweigen, Bewegung und Beziehungen übersetzen.“ Deswegen werde er wohl so oft gebeten, vor der Kamera auch zu tanzen, was ihn eher befremde. „Ich bin kein Fan von Tanzszenen. Sie zu drehen, ist für mich intimer als eine Sexszene. Es erinnert mich an meine Zeit als Tänzer am Theater, die keine glückliche war. Ich ruinierte mir auf der Bühne den Rücken, nur um die Atmosphäre zu erschaffen, in der ein anderer Schauspieler einen großen Monolog abliefern kann.“

Das deutsche Kino ist für diese Energie zu eng geworden. International werden mehr und mehr Regisseure auf ihn aufmerksam, wollen mit Rogowski arbeiten. Der Österreicher Sebastian Meise besetzte ihn in seinem vielfach ausgezeichneten Gefängnisfilm Große Freiheit von 2021. Für Terrence Malicks Jesus-Epos The Way of the Wind, an dem der amerikanische Regisseur seit 2019 arbeitet, stand er vor der Kamera. Abgedreht ist die Komödie Wizards! des Australiers David Michôd, in der Rogowski und Pete Davidson zwei kiffende Strandbar-Betreiber spielen, die an Diebesgut gelangen und damit in Schwierigkeiten kommen. Und auch in Andrea Arnolds derzeit entstehendem britischen Drama Bird spielt er eine der Hauptrollen.

Rogowski sagt, er suche nicht nach Rollen. „Sie finden mich. Ich suche nicht aktiv nach Möglichkeiten, ich versuche durch meine Arbeit zu überzeugen. Wir haben nicht diese Kultur des Jagens nach interessanten Projekten, das ist eher die amerikanische Art. Aber ich habe mittlerweile auch einen Agenten in Los Angeles, und ich würde gerne mehr dort drehen. Mal sehen, was passiert.“

Passages ist ein weiterer Meilenstein für den 1986 in Freiburg im Breisgau geborenen Rogowski auf dem Weg zum international begehrten Charakterdarsteller. Bei der Berlinale im Februar, wo Sachs’ Film lief, war Rogowski außerdem noch in dem französischen Drama Disco Boy zu sehen, diesmal in der Rolle eines Belarussen, der in den Westen flüchtet und sich der französischen Fremdenlegion anschließt. Regisseur Giacomo Abbruzzese zeigt eine männlich dominierte Welt als Bilderrausch aus Körpern und Schweiß, auf dem Schlachtfeld in Nigeria ebenso wie im Nachtclub in Paris. Rogowski ist das Kraftzentrum des Films, und er tanzt als Alexei auch hier, als ginge es um sein Leben.

Während Passages in den Kinos anläuft, macht sich Rogowski auf den Weg nach Venedig. Dort feiert am 7. September ein weiterer Spielfilm mit ihm in der Hauptrolle Weltpremiere im Wettbewerb des Festivals. Auch Lubo ist keine deutsche Produktion, sondern ein italienisch-schweizerisches Historiendrama von Giorgio Diritti über einen jenischen Straßenkünstler, der während des Zweiten Weltkriegs Frau und Kinder verliert und jahrzehntelang für Gerechtigkeit kämpft, für sich und seine verfolgte Minderheit. Diritti gilt als Schauspieler-Regisseur. Für seinen letzten Film, die Filmbiografie Hidden Away über den Art-brut-Maler Antonio Ligabue, wurde Hauptdarsteller Elio Germano bei der Berlinale 2020 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet. Womöglich wird Rogowskis Venedig-Trip ähnlich erfreulich. So oder so steht Franz Rogowski die Welt weit offen.

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nserem zweiten Treffen verraten“, erinnert sich Rogowski. „Zum Glück, sonst hätte mich das sicher eingeschüchtert. So konnte ich das Drehbuch erst mal ohne Erwartungen und Druck lesen.“ Trifft man Rogowski persönlich, fällt auf, wie viel wuchtiger und größer er auf der Leinwand durch Spiel und physische Präsenz wirkt. Am Cafétisch macht er dagegen einen zarteren Eindruck, er spricht leise und ruhig, angenehm zurückgenommen, dabei sehr aufmerksam und zugewandt. Und erst mal will er lieber über seinen Regisseur reden als über sich. „Ich liebe Iras Filme schon lange, und er wird oft eine Ikone des Queer Cinema genannt. Für mich ist er als Allererstes ein Cinephiler, der die Mittel des Kinos nutzt, um Realität auf eine Art erfahrbar zu machen, die ich sehr besonders und beeindruckend finde.“ Für Rogowski geht es nie nur um die Figur, die er spielen soll, viel wichtiger seien der Regisseur und das Drehbuch. „Es gibt keine gute Rolle in einem schlechten Film“, sagt er.Tomas, den er in Passages spielt, ist alles andere als einfach. Er lebt als deutscher Filmemacher seit vielen Jahren zusammen mit seinem britischen Ehemann Martin (Ben Whishaw) in Paris. Eines Tages verliebt er sich unverhofft in eine Frau. Nach der ersten Nacht mit der jungen Schullehrerin Agathe (Adèle Exarchopoulos) erzählt er Martin von seinem Abenteuer. Und findet Gefallen an dem ungewohnten Begehren, will mehr, selbst wenn er damit die Gefühle sowohl von Martin als auch von Agathe verletzt.Rogowski ist eine Wucht als dieser selbstbezogene Unruhegeist. So widersprüchlich seine Figur ist – kreativ und witzig, sexuell und fordernd, dann wieder jungenhaft Anerkennung heischend, immer zugleich anziehend und unerträglich –, so fasziniert schaut man ihm zu, wie er immer wieder damit durchkommt. Dieser narzisstische Zauber, der schon Martin und dann Agathe gefangen genommen hat, überträgt sich auch auf das Publikum. „Es besteht natürlich die Gefahr, dass man verstört, weil er sich so verhält, weil er so verletzend und auch gewalttätig agiert. Aber wenn man genauer hinschaut und sich darauf einlässt, erkennt man, dass er mit sich selbst kämpft, dass er versucht, zu lieben, sich und andere, Kreatives zu erschaffen, zu leben. Und dass er immer wieder daran scheitert und sich mies verhält.“ Ihn faszinieren solche Protagonisten, sagt Rogowski, Figuren, die ambivalent sind, weder gut noch böse, und damit das Publikum auch herausfordern.Nächste Station von Franz Rogowski: VenedigDiese Präsenz, die bei Passages zu spüren ist, macht ihn seit Jahren zu einem der gefragtesten Charakterdarsteller im deutschen Kino, von den ersten Auftritten in Independentfilmen wie dem improvisierten Liebesdrama Love Steaks, über Victoria, Sebastian Schippers atemlose Odyssee durch eine Berliner Nacht, bis hin zu Filmen von Christian Petzold, für den er bislang zweimal vor der Kamera stand, als politischer Flüchtling in Transit und zuletzt als Taucher in Undine. In Thomas Stubers In den Gängen spielt er einen schüchternen Mitarbeiter eines Großmarkts, der sich in eine ältere Kollegin verliebt. Für die Rolle wurde er mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet. Immer wieder sind es Sonderlinge, die er spielt, oft wortkarg und rätselhaft, zwischen Härte und Verletzlichkeit. In Hanekes Happy End ist es der Fabrikantensohn, der mit seiner Mutter das Unternehmen leitet und mit den familiären Verlogenheiten hadert – die Rolle, durch die Ira Sachs auf Rogowski aufmerksam wurde. „In seiner Darstellung fiel mir gleich die Freiheit auf, die Energie, aber auch die technische Präzision. Er spielt mit feinsten Nuancen und scharfer Klarheit“, sagt der.Wie Rogowski mit seinem Körper arbeitet, sich im Raum bewegt, das hat auch viel mit seinem persönlichen Hintergrund zu tun. „Ich habe ganz allgemein einen sehr physischen Zugang zur Welt, weil ich schwerhörig bin. Meine Kommunikation ist physischer, mein Sozialleben ist davon geprägt. Ich gehe in keine lauten Bars, unterhalte mich lieber mit einer Person oder verbringe viel Zeit allein in der Natur.“ Und er ist ausgebildeter Tänzer, „das hat sicher auch meine Art des Schauspiels beeinflusst. Ich versuche durch Bewegungen und Rhythmus einen Raum zu schaffen, den ich dann akzentuiere, mit dem Dialog, Schweigepausen und kleinen Gesten. Ich würde am liebsten alle Emotionen und das Psychologische rausnehmen und alles in Blicke, Schweigen, Bewegung und Beziehungen übersetzen.“ Deswegen werde er wohl so oft gebeten, vor der Kamera auch zu tanzen, was ihn eher befremde. „Ich bin kein Fan von Tanzszenen. Sie zu drehen, ist für mich intimer als eine Sexszene. Es erinnert mich an meine Zeit als Tänzer am Theater, die keine glückliche war. Ich ruinierte mir auf der Bühne den Rücken, nur um die Atmosphäre zu erschaffen, in der ein anderer Schauspieler einen großen Monolog abliefern kann.“Das deutsche Kino ist für diese Energie zu eng geworden. International werden mehr und mehr Regisseure auf ihn aufmerksam, wollen mit Rogowski arbeiten. Der Österreicher Sebastian Meise besetzte ihn in seinem vielfach ausgezeichneten Gefängnisfilm Große Freiheit von 2021. Für Terrence Malicks Jesus-Epos The Way of the Wind, an dem der amerikanische Regisseur seit 2019 arbeitet, stand er vor der Kamera. Abgedreht ist die Komödie Wizards! des Australiers David Michôd, in der Rogowski und Pete Davidson zwei kiffende Strandbar-Betreiber spielen, die an Diebesgut gelangen und damit in Schwierigkeiten kommen. Und auch in Andrea Arnolds derzeit entstehendem britischen Drama Bird spielt er eine der Hauptrollen.Rogowski sagt, er suche nicht nach Rollen. „Sie finden mich. Ich suche nicht aktiv nach Möglichkeiten, ich versuche durch meine Arbeit zu überzeugen. Wir haben nicht diese Kultur des Jagens nach interessanten Projekten, das ist eher die amerikanische Art. Aber ich habe mittlerweile auch einen Agenten in Los Angeles, und ich würde gerne mehr dort drehen. Mal sehen, was passiert.“Passages ist ein weiterer Meilenstein für den 1986 in Freiburg im Breisgau geborenen Rogowski auf dem Weg zum international begehrten Charakterdarsteller. Bei der Berlinale im Februar, wo Sachs’ Film lief, war Rogowski außerdem noch in dem französischen Drama Disco Boy zu sehen, diesmal in der Rolle eines Belarussen, der in den Westen flüchtet und sich der französischen Fremdenlegion anschließt. Regisseur Giacomo Abbruzzese zeigt eine männlich dominierte Welt als Bilderrausch aus Körpern und Schweiß, auf dem Schlachtfeld in Nigeria ebenso wie im Nachtclub in Paris. Rogowski ist das Kraftzentrum des Films, und er tanzt als Alexei auch hier, als ginge es um sein Leben.Während Passages in den Kinos anläuft, macht sich Rogowski auf den Weg nach Venedig. Dort feiert am 7. September ein weiterer Spielfilm mit ihm in der Hauptrolle Weltpremiere im Wettbewerb des Festivals. Auch Lubo ist keine deutsche Produktion, sondern ein italienisch-schweizerisches Historiendrama von Giorgio Diritti über einen jenischen Straßenkünstler, der während des Zweiten Weltkriegs Frau und Kinder verliert und jahrzehntelang für Gerechtigkeit kämpft, für sich und seine verfolgte Minderheit. Diritti gilt als Schauspieler-Regisseur. Für seinen letzten Film, die Filmbiografie Hidden Away über den Art-brut-Maler Antonio Ligabue, wurde Hauptdarsteller Elio Germano bei der Berlinale 2020 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet. Womöglich wird Rogowskis Venedig-Trip ähnlich erfreulich. So oder so steht Franz Rogowski die Welt weit offen.Eingebetteter Medieninhalt



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Von Veritatis

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