Ich habe eine neue Vokabel gelernt. Sie ist zackig und präzise wie jedes gute deutsche Wort, und ich werde sie mit Vergnügen in meinen Sprachgebrauch übernehmen: PKW-Dichte. Würdest du bitte das Fenster schließen, die PKW-Dichte draußen macht mir heute zu schaffen. Endlich auf dem Land, herrlich, diese niedrige PKW-Dichte!
Die Anzahl der Autos pro 1.000 Einwohner beläuft sich bei uns, wie das Statistische Bundesamt mitteilt, aktuell auf 538. Das ist ein Rekordwert. Wir könnten diese Meldung zur Kenntnis nehmen, unsere Autonutzung ein wenig reflektieren, aufgeregte Fahrradfahrer zu Besonnenheit mahnen und zur Tagesordnung übergehen. Aber wir sind in Deutschland. In diesem unseren Land, wo das Auto der edelste Teil von einem Menschen ist, gibt es keine sachlichen Verkehrsdebatten, nirgends.
Schnelle, laute, böse, schöne, wilde Autos
Da hilft es auch nicht gerade, dass die Nachricht mitten in die Zeit der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in München fällt. In den Schreibstuben der Autofahrerbrigaden herrscht also ohnehin verstärkte Kampfstimmung. Die Faszination „schneller, lauter, böser, schöner, wilder Autos“ sei ungebrochen, schreibt etwa Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt und beklagt die Scheu der Industrie, „diese Leidenschaft zu feiern“. Für „Deutschlands größte Protestbewegung“ hält der liberale Publizist Jan Fleischhauer die neuen Zahlen zur PKW-Dichte und lässt offen, ob das sein Ernst ist. Bild-Kolumnist Franz Josef Wagner verabschiedet sich von seinem Verbrenner mit den Worten: „Es war schön mit dir. Nie war ich glücklicher, als das Fenster herunterzukurbeln, meinen Arm im Wind zu spüren.“ Nie glücklicher. Franz Josef Wagner ist verheiratet und Vater einer Tochter.
Ich habe keinen Führerschein und möchte den Betroffenen ihre Gefühle nicht absprechen. Der uns bahnfahrenden Großstädtern zugedachten Rolle im Kulturkampf ums Auto muss ich aber widersprechen. Mir ist es egal, was, wie oft und wie schnell unsere deutschen Mitbürger fahren, solange sie sich an unsere Werte und Normen halten. Ich glaube jedem, der sagt, er sei auf sein Auto angewiesen. Spätestens, seit ich wegen Berliner ÖPNV-Chaos mehrfach nicht rechtzeitig zum Hauptbahnhof kam und meinen Zug verpasste, gilt das auch für den urbanen Raum. Seitdem beginnt jede Fernreise für mich mit einer Taxifahrt. Das können sich viele nicht leisten – weshalb man mich mit der Idee von autofreien Innenstädten jagen kann.
Autofanatiker und Öffifreunde, vereint euch
Liebe Politik, die Rechnung ist denkbar einfach. Wer mit der Anschlussfinanzierung des 49-Euro-Tickets nicht aus dem Mus kommt, versprochene Bahnausbauprojekte um Jahrzehnte verschiebt und Expertenratschläge wie die Förderung von Car-Sharing nicht befolgt, braucht sich nicht zu wundern, dass die Leute sich mit einer fast erotischen Versessenheit an ihre Autos klammern. So deutsch ist dieses Phänomen im Übrigen gar nicht: Im europäischen Vergleich landen wir gerade einmal auf Platz acht, Polen, Luxemburg und Italien – Achtung – überholen uns.
Eigentlich müssten sich die Autofanatiker und Öffifreunde Europas die Hände reichen und endlich den Mix aus Schienennetzausbau und mehr On-Demand-Verkehr fordern, den es für eine umweltverträgliche Mobilität braucht. Wenn ich ohne Nervenzusammenbruch zum Hauptbahnhof und von dort halbwegs günstig in aller Herren Länder komme, ist nämlich ein Verkehrsteilnehmer weniger auf der Straße. Dann können die Ulfs und Franz Josefs meinetwegen nach Herzenslust über den Asphalt brettern und Glücksmomente erleben. Den Rest wird der Markt schon regeln.