Architektur Dachfenster mit Himmelblick, Fußbodenheizung, Parkett aus Eichenholz, Raumklima-Sensor und Strom aus Sonnenenergie: Dachaufbauten könnten für Wohnraum sorgen, ohne neue Flächen zu versiegeln. Doch die Idee setzt sich nicht durch


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Ausgabe 39/2023

Vorführ-Loftcube am Spreeufer in Berlin-Kreuzberg: der erste und letzte, den die Hauptstadt sah

Vorführ-Loftcube am Spreeufer in Berlin-Kreuzberg: der erste und letzte, den die Hauptstadt sah

Simon Becker von der Firma Home One aus Berlin freut sich: Seine Tiny Houses, die sonst überall nur auf der Erde stehen, werden demnächst ein Hoteldach im Harz schmücken. Das ist architektonisch interessant, bietet für die Gäste beste Ausblicke und ist zudem auch noch nachhaltig – denn für die Dachaufbauten in Würfelform muss kein Boden versiegelt werden, theoretisch können sie auf jedem Flachdach installiert werden. Was nach einer einfachen Erweiterung bestehender Bauten klingt, ist in der deutschen Wirklichkeit allerdings so einfach nicht.

Den Vorwurf, der Gesetzgeber in Deutschland lege den Häuslebauern auf dem Dach durch ausufernde Auflagen und Sicherheitsvorschriften Steine in den Weg, weist Sprecherin Larissa Schulz-Trieglaff vom Bund

f vom Bundesbauministerium erst einmal von sich. Allerdings ist ihre Entgegnung in Behördendeutsch etwas gewunden: „Vor dem Hintergrund des Wohnraummangels in Deutschland und den Zielen der Bundesregierung, das Planen und Genehmigen von Bauprojekten zu fördern und die Innenstadtentwicklung zu priorisieren, unterstützt das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen ausdrücklich das Ziel, Dachaufbauten zu beschleunigen.“ So weit, so gut.Doch dann schränkt Schulz-Trieglaff ein: „Das betroffene Bauordnungsrecht liegt jedoch in der Gesetzgebungskompetenz und Ausübungskompetenz der Länder. Somit besitzt der Bund keine Genehmigungskompetenz und keine Entscheidungskompetenz.“ Schulz-Trieglaff führt dann weiter aus, dass Bund, Länder und Kommunen eine Deregulierung des Baugenehmigungsverfahrens insbesondere bei nachträglichen Dachausbauten vereinbart hätten. Die Länder, so Schulz-Trieglaff, hätten eine Änderung der Musterbauordnung auf den Weg gebracht, die eine Genehmigungsfreistellung für nachträgliche Dachausbauten vorsieht.Es könnte also durchaus sein, dass im Jahr 2090 der Dachaufbau einfacher wird. Im Moment ist es so, dass Dachaufbauten in jedem Bundesland anders geregelt sind, es herrscht ein schwer zu durchschauender Wust an Regulierungen.Architekturmagazine waren von Loftcube in Berlin begeistertMit dem Loftcube fing einst die schöne neue Welt der ultramodernen Dachaufbauten an, in Berlin im Jahr 2003. Architekt Werner Aisslinger entwarf einen futuristischen Würfel auf vier Beinen, ringsum verglast, den man theoretisch auf jedes Flachdach stellen kann und so eine kleine Designer-Wohnung für ein bis zwei Personen schafft. Eine kleine Treppe führt von der Dachterrasse hinauf in den Cube, der „alle wichtigen Funktionen – leben, schlafen, arbeiten, sowie Küche und Bad – kombiniert“, wie es im Werbetext hieß.Architekturmagazine waren von der Erfindung begeistert, allein: Der Vorführ-Cube am Spreeufer in Berlin-Kreuzberg blieb der erste und letzte, den die Hauptstadt sah. Dirk Borchering, Geschäftsführer vom Studio Aisslinger, sieht die misslungene Geschäftsidee heute nüchtern: „Es lag ganz einfach an den Baurechten. Für den Prototyp auf dem Dach von Universal Music hatten wir eine Sondergenehmigung, doch die wird normalen Bauherren heute normalerweise verweigert.“ Die Sicherheitsvorschriften, stöhnt Borchering, die ufern ja heute immer mehr aus. Da müssen zwei Fluchtwege vom Dach vorhanden sein, was bei praktisch keinem Hausdach der Fall ist. Dann ist da noch das Problem der Versorgung des Dachhäuschens mit Strom, Wasser und Abwasser. Doch diese Versorgungsleitungen, die beim Loftcube ästhetisch durchdacht durch einen Fuß des Häuschens geführt werden, wären das geringste Problem.Der Würfel ist ausgefeilt konzipiert und bietet einen 360-Grad Rundblick, was gerade auf Hausdächern reizvoll ist. Zudem lässt er sich schnell auf- und abbauen, ein Umzug ist also kein größeres Hindernis. Nachhaltig ist das rund 150.000 Euro teure Eigenheim auch noch: Es konsumiert wenig Energie, dank einer Dreifach-Verglasung, auch Geräusche werden im Inneren gedämmt. Durch eine Stahlkonstruktion ist es sturmbeständig und hält Erdbeben stand. Nicht nur auf Hausdächern, auch auf Naturgrundstücken oder in den Bergen schindet der Loftcube Eindruck. Echtholz-Lamellen an den Außenwänden verleihen ihm eine warme Ausstrahlung.Kein Interesse der ImmobilienwirtschaftSimon Beckers Häuschen für das Dach nennt sich Cabin Spacey. Das Minimalhaus mit 30 Quadratmeter Nutzfläche stellte der Architekt 2017 auf der Tech Open Air Berlin auf dem Gelände des Funkhauses Nalepastraße zum ersten Mal vor. Die Pläne klangen vielversprechend: funktionales Design, Bauteile aus nachhaltigen Materialien und Versorgung mit Solarstrom. Eine Luft-Wärme-Pumpe soll dafür sorgen, dass es im Sommer nicht zu heiß wird und im Winter nicht zu kalt.Seine Strategie war es anfänglich, mit großen Immobiliengesellschaften zu kooperieren, die in ihrem Bestand eine Vielzahl an realisierbaren Flächen haben. Doch da waren die obligatorischen genehmigungsrechtlichen Aspekte: Zugänge, Anschlüsse, Brandschutz, Schallschutz, Statik und spezifische Verordnungen für das Quartier. In Deutschland gibt es eine Vielzahl von Richtlinien für die Sicherheit und für die Statik, zudem müssen Baugenehmigungen geprüft werden. Dies sorgt zwar für ein gutes Maß an Sicherheit, stellt aber auch Hürden für die Dachbauer dar.Technisch, davon war der Architekt überzeugt, stünden genug Lösungen zur Verfügung, um die Aufbauten schnell zu realisieren. Allein in Berlin könnten auf diese Art und Weise rund 50.000 Apartments auf Hausdächern gebaut werden. Eine Kooperation mit der Gewobag in Berlin war angedacht, doch sie scheiterte, so erzählt es Becker, an einer Analyse der operativen Kosten. Denn Wohnungsbaugesellschaften sind nun einmal gebunden an Preisobergrenzen für Mietwohnungen. Die Firma versuchte, an andere Hauseigentümer heranzukommen, die leere Dächer als ungenutztes Potenzial hatten. Doch auch hier sei er auf Widerstände gestoßen, sagt Becker.Kein Hauseigentümer in Deutschland hatte Erfahrung damit, auf ein Hausdach einen Wohnwürfel zu setzen. Da muss vom Treppenhaus ein Zugang geschaffen werden, und die ganze Haustechnik muss für das Häuschen auf dem Dach „angezapft“ werden. Vor diesen unbekannten Größen scheuten die meisten angesprochenen Hauseigentümer zurück. Nur einmal, im niedersächsischen Cloppenburg, konnte ein Home-One-Würfel für ein privates Hausdach verkauft und installiert werden.Alternative: Tiny House im GartenDie gescheiterte Geschäftsidee ging für Beckers Firma dennoch gut aus: Mittlerweile verkauft sie den Wohnwürfel erfolgreich an Kunden, die ihn auf privatem Grund einfach auf der Erde aufstellen, als Minimalhaus im Garten. Drei Versionen sind erhältlich, mit 35, 54 und 66 Quadratmetern, die größte ist die am meisten verkaufte. Die Preise liegen zwischen 120.000 und 220.000 Euro, wobei die Ausstattung hochwertig ist und höchste Energiestandards erfüllt: außen robustes Fichtenholz, in den Wänden Zellulosedämmung, Dachfenster mit Himmelblick, Fußbodenheizung, Parkett aus Eichenholz, Raumklima-Sensor und Strom aus Sonnenenergie.Dachaufbauten könnten natürlich auch nachhaltig aus recyceltem Material gebaut werden. Im Jahr 2010 konstruierte der Architekt Christof Mayer für die Kulturwissenschaftlerin Vera Tollmann und den Komponisten Christian von Borries einen Dachaufbau in Berlin aus einem alten Gewächshaus mit 90 Quadratmetern Wohnfläche, als Lowtech-Antwort auf die Frage des ökologischen Bauens. 600 Euro Baukosten pro Quadratmeter fielen für das Haus an.Absagen aus der ForschungWissenschaftler, die im Bereich der Stadtplanung und der urbanen Konzepte tätig sind, können mit der Idee der Würfel auf dem Flachdach wenig anfangen. An der TU Berlin war am Institut für Stadt- und Regionalplanung niemand ausfindig zu machen, der sich befähigt fühlte, etwas zu diesem Thema zu sagen. Absagen kommen auch aus dem Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung in Erkner, man könne oder wolle zu diesem Thema nichts sagen. Die Technische Universität München trumpft auf mit dem Fachbereich Urbanistik; doch leider, so Pressesprecher Andreas Huber, kann zu dem Würfel auf dem Hausdach niemand etwas sagen.Und das Deutsche Institut für Stadtbaukunst in Frankfurt am Main, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Leitbild eines nachhaltigen, dauerhaften und schönen Bauens für jegliche städtebauliche Planung in Deutschland zu etablieren, antwortet erst gar nicht auf die Anfrage. Ist der Würfel auf dem Dach zu innovativ?



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Von Veritatis

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